5.5.2019, Ausstellung Heinrich Groß

Künstler Heinrich Groß zeigt mehr als 20 Bilder

Neue künstlerische Ausstellung in Vöhler Synagoge

Geschichten aus dem Alten Testament und historische Ereignisse hat Heinrich Groß in Form von Holzschnitten dargestellt. Die Bilder – abstrakt und gegenständlich – sind in der Ausstellung „Torah und Schofar“ in der ehemaligen Vöhler Synagoge zusehen. 

Vöhl. Seit 2005 sind die Bilder des Künstlers Heinrich Groß  die erste Ausstellung, die es in den Sakralraum der ehemaligen Synagoge in Vöhl geschafft hat.

Die Werke des Malers aus Niederwalgern bei Marburg passen nach Einschätzung des Förderkreises „wunderbar“ in die religiöse, historische Umgebung, sagte der Vorsitzende Karl-Heinz Stadtler bei der feierlichen Eröffnung.

Mehr als zwei Dutzend Bilder menschlicher und abstrakter Darstellungen, mithilfe der Holzschnitt-Technik, zumeist in Schwarz-Weiß gehalten, zieren im Jahr des 20-jährigen Vereinsbestehens bis 11. August die Wände des Andachtsraums. Die technischen Voraussetzungen dafür hatten Peter Göbel und Walter Schauderna geschaffen.

Das Thema passt: Geschichten aus dem Alten Testament und weltliche Themen mit dem Schwerpunkt der jüdischen Kultur treffen hier unter dem Titel „Torah und Schofar“ aufeinander. Jüdische Rituale und Symbole finden immer wieder Beachtung. Der Künstler legt Wert darauf, Gemeinsamkeiten mit dem Christentum hervorzuheben und beschäftigt sich intensiv mit der Verfolgung der Juden und dem Holocaust.

"Bilder weiten unsere Perspektiven"

Heinrich Groß, geboren im Jahr 1935, habe seine Aufgabe als Zeitzeuge verstanden und sei ihr in diesem „Alterswerk“ gerecht geworden, lobte Dr. Siegfried Becker (Uni Marburg). Der ebenfalls in Niederwalgern wohnende Professor wertschätzte die vielseitige Hingabe des Künstlers, der bereits in „namhaften Galerien und Museen“ ausgestellt habe. Die aktuelle Ausstellung war 2018 nach zweijährigem Schaffen in der Landsynagoge Roth in der Gemeinde Weimar gezeigt worden. „Heinrich Groß überrascht mit seinen Bildern und weitet unsere Perspektiven.“ Der Künstler sei stets angetrieben von dem „Anderen, dem Experimentellen“. „Er hat sich nie beschränken lassen und gleichzeitig seine Bodenständigkeit bewahrt“, so Becker.

Diese Bodenständigkeit verbunden mit Tiefsinnigkeit werden beim Anblick der schlicht erscheinenden, aber ergreifenden Motive deutlich. Der erfahrene Künstler – gelernter Tischler – nutzt das ihm lieb gewonnene Material Holz als Medium für das künstlerische Ergebnis. Mit einem einfachen Schustermesser schneide er zumeist das Holz, das er dann oft mit Offsetdruckfarbe bemalt, bevor das Motiv auf Papier gebracht wird.

Erinnerungen aus der Kindheit

Inhaltlich greift der Christ in dieser Ausstellung ein Thema auf, das seine Kindheit geprägt und das ihn seitdem nachdenklich gestimmt hat.

Er habe erlebt, wie Juden verspottet wurden. „Wie muss sich das für die Menschen angefühlt haben?“, fragt Groß. In seinen Bildern zeige er die „bedrängte Existenz einer religiösen Minderheit“, so Becker.

„Erst die Erinnerungen machen die Bilder authentisch“, sagt Heinrich Groß. Bevor er ein Bild gestaltet, umtreibe es ihn oft tagelang. „Ich kann dann an nichts anderes denken.“

Der Vöhler Bürgermeister Matthias Stappert wünschte der Ausstellung breite Beachtung. Das wäre auch eine Herzensangelegenheit des Künstlers, dem daran gelegen ist, dass die Menschen Gemeinsamkeiten und Errungenschaften der verschiedenen Religionen achten. So hat er einem seiner Bilder diesen Namen gegeben: „Haltet Frieden“.

1.4.2019, Adolf Kopp in SS-Familie gegeben

Verein Lebensborn vermittelte heute 76-Jährigen an Fremde 

Als Kind in SS-Familie gegeben: Adolf Kopp kennt seine Eltern nicht

Seine Geburtsurkunde hält Adolf Kopp hier in die Kamera. Dort ist vermerkt, dass eine Hebamme die Geburt in Metz eingetragen hat. Im Hintergrund sind kleinere Kunstwerke zu sehen. Kopp malt seit Jahrzehnten. 

Asel – Mutter und Vater? Adolf Kopp hat sie nie kennengelernt, nicht einmal ihre Namen kennt er. Was er weiß: Als Baby wurde er vom sogenannten Verein Lebensborn in eine Nazi-Familie gegeben.

Erfahren hat Adolf Kopp das jedoch erst, als er bereits 49 Jahre alt war.

Am 27. Januar 1943 kam Adolf Kopp im französischen Metz zur Welt. Auf der Geburtsurkunde – die Angaben machte damals die Hebamme – sind nicht die leiblichen Eltern eingetragen. Sein Adoptivvater sei ein „höherer SS-Mann gewesen“, sagt Kopp. Er und dessen Frau hätten ein Kind gehabt, das an Diphtherie gestorben sei, fand Adolf Kopp später heraus. Deshalb sei er in die Familie gegeben worden, als Ersatzkind.

 Adolf Kopp als Kind
Kindheit: Adolf Kopp (rechts) mit Adoptivbruder Lothar. 

Schon bevor er in die neue Familie kam, wurde ihm der Name Adolf gegeben, benannt nach Adolf Hitler. So war es bei vielen Jungs üblich, die in Lebensborn-Heimen zur Welt kamen. Dass er in der falschen Familie lebte, wurde Kopp früh bewusst. „Mit zehn Jahren habe ich begriffen, dass ich in der Familie nicht angesehen war. Es gab keine Wärme, ich war isoliert. Ich bin bald gestorben vor Heimweh.“ Obwohl er nie wusste, wohin er gehört.

Adolf Kopp wuchs schließlich bei Verwandten seiner Adoptivfamilie auf, in zehn verschiedenen Familien in Frankreich und Deutschland lebte er. „Ich hatte kein Zuhause.“ Im Alter von 17 Jahren ging er zur Bundeswehr, wo er mehr als 40 Jahre bis zur Pensionierung blieb. Erst, als Kopp 49 Jahre alt war, erfuhr er durch Zufall – beim Aufeinandertreffen mit einem älteren Arzt – dass er ein Lebensborn-Kind ist. Wirklich überrascht hat den heute 76-Jährigen das nicht. Auch wenn in seiner Kindheit und Jugend alle beharrlich geschwiegen hätten: Das Gefühl der Fremdheit war stets da, als Fremdkörper habe er sich gefühlt.

"Du bist mein Knecht"

Als er 16 Jahre alt war, so erinnert er sich, habe er einmal eine Truhe mit Dokumenten gefunden, in denen es um ihn ging. Er sprach seine Adoptivmutter darauf an, ob er ihr Kind sei, doch sie sagte nur: „Du bist mein Knecht.“ Das bedeute so viel wie Sohn, sagt Kopp.

Erst, als er längst erwachsen war, fügten sich die Puzzleteile: Nach der Aussage des Arztes recherchierte Adi, wie er genannt wird, und fand heraus, dass die HIAG, die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS, für ihn zahlte, er fuhr nach Metz, schaute sich viele Dokumente an. Möglicherweise, so sagt er heute, habe er einen Onkel in Ostdeutschland. Beweisen könne er das aber nicht.

Früher hatte Kopp kein Zuhause, heute fühlt er sich in der Gemeinde Vöhl heimisch, er lebt im Seniorenheim Asel. Schon 1965 kam er nach Frankenberg, wurde in der Burgwaldkaserne stationiert, und war von dort aus für die Bundeswehr in der ganzen Welt unterwegs.

Zwei Mal war Adi Kopp verheiratet, hat einen Sohn und eine Tochter. Seine bewegende Lebensgeschichte hat er bereits in Büchern aufgeschrieben, an einem weiteren arbeitet er bereits. Öffentlich über sein Leben und die Verbindung zum Verein Lebensborn zu sprechen, scheuen sich viele, das weiß der 76-Jährige. Doch er will das bewusst erzählen. Auch, um zu warnen. Er ist sich sicher: Vereine wie Lebensborn könnten auch heute noch entstehen.

Im Herbst wird Adi Kopp bei einer Veranstaltung des Förderkreises der Synagoge in Vöhl von seiner Lebensgeschichte berichten.

Der Verein Lebensborn

1935 wurde der Verein Lebensborn auf Initiative von Heinrich Himmler gegründet. Durch die Einrichtung der Heime in Deutschland und anderen Ländern sollte die Zahl der Abtreibungen verringert werden. Denn: Dadurch hätte „arisches Blut“ verloren gehen können. Mitglieder der SS wurden außerdem dazu ermutigt, Kinder zu zeugen – nicht unbedingt nur mit den Ehefrauen. Schwangere konnten anonym bei Lebensborn entbinden, die Kinder wurden dann in Nazi-Familien gegeben. Lebensborn-Kinder, die ihre Geschichte erzählen wollen, können sich bei Karl-Heinz Stadtler melden, Vorsitzender des Förderkreises der Vöhler Synagoge unter Tel. 05635 / 1491.

26.3.2019 Interessante Lernorte

Waldeckische Landeszeitung, 26.03.2019

Interessante Lernorte
„Lebendiges Gedenken“: (von links) Claudia Papst-Dippel,ihr Landtagskollege Dimitri Schulz und Karl-Heinz Stadtler vor dem Mahnmal im Garten der Vöhler Synagoge. Foto: pr
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Vöhl - Die AfD-Landtagsabgeordneten Claudia Papst-Dippel und Dimitri Schulz haben mit Stefan Ginder (Fraktionsvorsitzender der AfD im Kreistag) und Hakola Dippel (Kreistagsmitglied und Sprecher des Stadtverbandes Volkmarsen) das Gustav-Hüneberg-Haus in Volkmarsen, die Synagoge in Vöhl und den Internationalen Suchdienst ITS in Bad Arolsen besucht.

Die erste Station war im Gustav-Hüneberg-Haus in Volkmarsen die jüdische Schachtmikwe aus dem 16. Jahrhundert. Der Verein „Rückblende - gegen das Vergessen“ hatte das Haus im vergangenen Jahr erworben. Vom Vorsitzenden des Vereines, Ernst Klein, erhielten die Besucher einen Überblick über die wertvolle Arbeit des Vereines. „Durch diese Ausstellung lebendig gemachte Geschichte erleichtert auch den Bezug zur Gegenwart“, meinte Hakola Dippel. „Der kritische Besucher“ könne sehr leicht „Parallelen der Entwicklung in der heutigen Zeit erkennen“.

„Die Synagoge Vöhl strahlt lebendiges Gedenken aus und ist für mich darüber hinaus ein kulturelles Zentrum im Landkreis“, sagte Claudia Papst-Dippel. Ihr Landtagskollege Dimitri Schulz, Mitbegründer der Bundesvereinigung Juden in der AfD (JAfD), zeigte sich beeindruckt davon, dass sowohl in Volkmarsen als auch in Vöhl lebendige Gedenkstätten und interessante Lernorte entstanden seien. Der Vorsitzende des Fördervereines, Karl-Heinz Stadtler, habe es geschafft, innerhalb von einer guten Stunde das jüdische Leben in Vöhl vor dem inneren Auge entstehen zu lassen.

Der Suchdienst in Bad Arolsen habe zum Abschluss noch einmal deutliche Hinweise darauf geliefert, dass noch immer viel Aufarbeitungsbedarf bestehe, so die Abgeordneten. Beeindruckend sei die riesige Menge der Schicksale, die dort sozusagen gespeichert sind und die mehr und mehr online sichtbar werden.

Man könne nur den Hut vor den Mitarbeitern ziehen, die sich mit schwersten Schicksalen befassen müssen und doch eine in die Zukunft gerichtete Arbeit haben, so die Besucher. Selbst wenn es nur noch wenige Überlebende der NS-Zeit gebe, so sei die Arbeit doch für die Familien und Nachfahren sinnvoll.

„Ich werde die drei Orte, die ich heute kennengelernt habe, zum Besuch weiter empfehlen“, sagte Schulz nach der Reise durch den Landkreis.  red

 

13.3.2019, Heitere Ständchen und schaurige Romantik

Heitere Ständchen und schaurige Romantik
Eingespieltes Team: Pianistin Masako Ono und Bariton Christian Backhaus beim Konzert. Foto: zecher-christ
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Nadja Zecher-Christ

Vöhl - Liebhaber der Klassik sind Samstagabend in der gut gefüllten Vöhler Synagoge voll auf ihre Kosten gekommen. Bariton Christian Backhaus aus Vöhl und Pianistin Masako Ono aus Leipzig bescherten einen faszinierenden Liederabend unter dem Motto „Von Abendrot bis Morgentod“.

Zu Gehör kamen Gedichtvertonungen von Franz Schubert, Robert Schumann und Carl Loewe. Zunächst konnte man Werken von Robert Schumann lauschen. Den Auftakt bildete das heitere Ständchen, Op. 36/2 - „Komm’ in die stille Nacht“ nach Robert Reinick. Lebensfreude pur vermittelten „Zwei venezianische Lieder - „Leis’ rudern hier, mein Gondolier“ (I) und „Wenn durch die Piazzetta die Abendluft weht“ (II) nach Thomas Moore. Mit dramatischem Gesang trug Backhaus die Ballade Belsazar, op. 57 - „Die Mitternacht zog näher schon“ vor, bei dem Heinrich Heine den Untergang des babylonischen Königs Belsazar beschreibt. Einen Ohrenschmaus bescherte Ono, als sie einfühlsam „Träumerei“ aus Schumanns „Kinderszenen“ spielte. Sehnsuchtsvoll kam „Lust der Sturmnacht op. 35/1 - „Wenn durch Berg und Tale draußen“ nach Justinus Kerner daher.

Zauberhaft waren Franz Schuberts romantische Kunstlieder, wie das schwärmerische „Du bist die Ruh“ aus „Schwanengesang“, D.957 nach Friedrich Rückert und Kriegers Ahnung - „In tiefer Ruh liegt um mich her“ nach Ludwig Rellstabs Liebeslyrik. Eine unheimliche, spannungsvolle Atmosphäre verbreitete die Ballade „Der Zwerg“ op. 22/1 - „Im trüben Licht verschwinden schon die Berge“ nach Matthäus von Collin, ebenso wie der Erlkönig op. 1 - „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ nach Johann Wolfgang von Goethe.

Den Abschluss bildete Schauerromantik von Carl Loewe, wie Der späte Gast, Op. 7/2 - „Was klopft ans Thor?“ nach Willibald Alexis, die nordische Volksballade Herr Oluf op. 2/2 - „Herr Oluf reitet spät und weit“ nach Johann Gottfried Herder und Der Totentanz op. 44 Nr. 3. - „Der Türmer, der schaut zu Mitten der Nacht“ nach Goethe. Mit stehendem Applaus und Bravorufen forderte das begeisterte Publikum eine Zugabe ein und bekam diese auch: „O du, mein holder Abendstern“ aus Richard Wagners „Tannhäuser“.  nz

 

25.2.2019, "Lebensborn"-Kinder gesucht

Förderkreis der Synagoge Vöhl möchte Betroffenen eine Stimme geben

Waldeck-Frankenberg: „Lebensborn“-Kinder gesucht

Wenige Dokumente rund um den Verein Lebensborn sind noch vorhanden, viele wurden zerstört oder sind verschwunden. Der Suchdienst in Arolsen besitzt einige Originaldokumente, unter anderem die von Himmler signierte Vereinssatzung.  

Waldeck-Frankenberg – Es ist ein Thema, über das heutzutage noch immer selten gesprochen ist, das gerade für Betroffene mit großer Scham besetzt ist: Der Verein Lebensborn, den Heinrich Himmler im Dritten Reich gründete.

Doch noch gibt es Kinder, die in einem der Heime geboren und dann weggegeben wurden und Kinder, die aus ihren ursprünglichen Familien gestohlen wurden. Nach ihnen sucht der Förderkreis der Synagoge in Vöhl jetzt.

Die Männer der SS sollten sexuell möglichst aktiv sein, sagt Karl-Heinz Stadtler, Vorsitzender des Förderkreises. Mindestens vier Kinder gab Heinrich Himmler vor. Ob die mit der eigenen Ehefrau oder einer Geliebten gezeugt wurden, war dem SS-Chef gleichgültig. 

 

Dafür gab es die sogenannten „Lebensborn“-Heime. Dort konnten schwangere Frauen anonym gebären. „So sollte die Zahl der Abtreibungen verringert werden“, sagt Stadtler. Ledige Frauen, die schwanger wurden, seien damals oft von Zuhause rausgeworfen worden, sie hätten ihre Arbeit verloren, seien diskriminiert worden. In den Heimen konnten sie die unehelichen Babys zur Welt bringen.

Aus dem Nachwuchs wurden "stramme Nazis"

Die Amerikaner hätten nach dem Krieg die Heime zunächst auch als karitative Einrichtungen verstanden, so Stadtler. Allerdings: Der Nachwuchs wurde nach der Geburt in Pflegefamilien gegeben oder an Adoptiveltern, „in der Regel an stramme Nazis“. Auch geraubte Kinder aus eroberten Ländern, die möglicherweise „arische“ Vorfahren gehabt haben könnten, steckten die Nazis in die „Lebensborn“-Heime, bevor sie in linientreue Familien gegeben wurden.

„Die Heime waren aber keine Zuchtanstalten“, sagt Historiker Dr. Georg Lilienthal, der mitwirkt an der Reihe „Facetten des Rassismus“, in der es sich auch um „Lebensborn“-Kinder drehen soll. Lilienthal und Stadtler gehen davon aus, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass sie „Lebensborn“-Kinder sind.

Bis heute sind viele ehemalige Lebensborn-Kinder traumatisiert

Doch bei vielen, die es längst wüssten, hätte es mit einem Gefühl angefangen. Dem Gefühl, „dass etwas nicht simmte“, sagt Lilienthal. Hatten die Kinder Zweifel und fragten nach, seien sie von den neuen Familien meist belogen worden, wenn sie denn überhaupt eine Antwort bekommen hätten. „Das war ein elementarer Vertrauensbruch. Bis heute sind viele deswegen traumatisiert“, sagt Georg Lilienthal.

Allein in den deutschen Heimen, so schätzt er, seien 8000 bis 9000 Mädchen und Jungen geboren worden. Einige wenige dieser Kinder leben in Waldeck-Frankenberg, Lilienthal und Stadtler haben bereits Kontakte geknüpft. Doch für die Ausstellung im Rahmen der Reihe „Facetten des Rassismus“ suchen sie weitere „Lebensborn“-Kinder, die ihre Geschichte erzählen wollen – auch anonym, wenn gewünscht. Beide wissen: Viele scheuen die Öffentlichkeit. Dabei ist Lilienthal sicher: „Für die Betroffenen kann das auch eine Art Therapie sein.“

Und die beiden Geschichtsexperten bieten auch ihre Hilfe an: Wer Zweifel an der eigenen Identität habe und im Zeitraum bis zur Vereinsauflösung am Ende des Krieges geboren wurde, dem wolle man gern auch bei der Erforschung der Familiengeschichte helfen.

Georg Lilienthal hat vor einigen Jahren bereits einer Österreicherin dabei geholfen, ihre wahre Herkunft zu klären. Ursprünglich stammte die Österreicherin aus Jugoslawien, berichtet er. Und dort fand Lilienthal sogar noch einige Verwandte der Frau – und sorgte so für eine besondere Familienzusammenführung.

5.2.2019, Sinfonie der Steppe

 
Sinfonie der Steppe
 
Perlende Klänge und Kehlkopfgesang: Nasaa Nasanjargal, Ganzorig Davaakhuu, Omid Bahadori und Naraa Naranbaatar verzauberten das Publikum mit einer Melange aus mongolischer und orientalischer Musik. Foto: Nadja Zecher-Christ
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Nadja Zecher-Christ

VON NADJA ZECHER-CHRIST

Vöhl - „Sedaa“ bedeutet auf Persisch „Stimme“ und ist der Name einer faszinierenden Musikgruppe. Am Samstagabend entführten die Meistersänger Nasaa Nasanjargal, Naraa Naranbaatar und Hackbrettspieler Ganzorig Davaakhuu aus der Mongolei gemeinsam mit dem iranischen Multiinstrumentalisten Omid Bahadori in der voll besetzten Vöhler Synagoge in eine exotische Welt zwischen Orient und mongolischer Steppe.

„Es ist höchste Zeit, dass wir uns wieder haben blicken lassen“, sagte Omid Bahadori. Es sei schon drei Jahre her, dass sie hier gespielt hätten. Das Publikum begab sich mit den Musikern auf eine Reise entlang der Seidenstraße, bei der sie auch Titel der neuen CD „East West“ präsentierten. Es kamen auch exotische Musikinstrumente wie die Pferdekopfgeige, das Yochin (mongolisches Hackbrett) und die Bischgur (mongolische Oboe) zum Einsatz.

Ein Hörgenuss war der Kehlkopfgesang von Nasaa Nasanjargal und Naraa Naranbaatar, bei dem ein lang gezogener, metallischer Ton den Raum erfüllte. Brummen, Pfeifen und nasale Laute erinnerten an ein Didgeridoo. Beeindruckend war der Untertongesang mit seinen unglaublich tiefen Klängen. Zum Gesang gesellten sich die perlenden Klänge des Hackbretts von Ganzorig Davaakhuu.

Die orientalische Prise fügte Omid Bagadori hinzu. Er gab das Tempo mit Gitarrenklängen und Percussion-Instrumenten vor, das sich über einen Klangteppich aus mongolischen Tönen legte. Dabei entstand eine gelungene Melange aus mongolischer und orientalischer Musik. Zwischen den einzelnen Stücken brandete donnernder Applaus auf.

Vorm geistigen Auge konnte man die Pferde durch die Wüsten- und Steppenlandschaft der Mongolei galoppieren sehen. Bei ernsten Themen, die sich mit Umwelt oder Unfreiheit der Nomaden befassten, muteten die Töne der Pferdekopfgeige, wie ein Wehklagen an. Auch Empfindungen wie Liebe und Sehnsucht wurden akustisch umgesetzt.

Das Publikum war am Ende so begeistert, dass es mit lauten Jubelrufen und donnerndem Applaus noch eine Zugabe einforderte.

 

30.1.2019, Große Kunst inmitten des Grauens

 
Große Kunst inmitten des Grauens
Winfried Radeke berichtete aus der Forschung und der Aufführungspraxis.
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VON KARL-HERMANN VÖLKER

Vöhl - „Ich wandre durch Theresienstadt, das Herz so schwer wie Blei…“ schrieb die jüdische Dichterin Ilse Weber, die als Kinderkrankenschwester im Ghetto Theresienstadt arbeitete, bis sie am 6. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Ihr Gedicht, geschrieben für ihren durch einen Kindertransport nach England geretteten Sohn Hanu, stand am Beginn des 159. Synagogenkonzertes in Vöhl mit dem Ensemble „Zwockhaus“.

Daraus entwickelte sich am internationalen Holocaust-Gedenktag ein tief beeindruckender Abend. Er war geprägt von bitterer Poesie, melancholischem Witz und bewundernswerter Auflehnung todgeweihter Komponisten und Textdichter.

Theresienstadt - das war eine ehemalige tschechoslowakische Garnisonstadt für etwa 4000 Soldaten, die von den deutschen NS-Besatzern ab 1940 zu einem Sammellager vorwiegend für jüdische Bürger umgerüstet wurde. Dort waren zeitweilig bis zu 50 000 Menschen eingepfercht. Auch die letzten Transporte von Juden aus dem heutigen Kreisgebiet von Waldeck-Frankenberg führten 1942 in dieses angebliche „Altersghetto“, das Nazi-Propagandisten mit verblenderischer Kulisse beim Besuch von Rotkreuz-Delegationen vorführten.

Es war dieses Leben „als ob“, in einem Gedicht beschrieben von Ghetto-Bewohner Dr. Leo Strauß (1897-1944), das das Ensemble Zwockhaus in der Vöhler Synagoge mit beklemmender Schärfe in Liedern und Texten sichtbar machte: Es gab im Ghetto tatsächlich nicht nur Theater und Orchester, sondern auch drei tschechische und fünf deutsche sogenannte „Kabaretts“, wie Moderator Winfried Radeke berichtete. In jüngster Zeit seien diese in der Zwangsgemeinschaft des Lagers entstandenen Kulturformen einer künstlerischen Elite immer besser erforscht, letzte Zeugnisse der Kabarettisten wiederentdeckt worden.

„Aus schlichten Liedern soll ein bisschen Glück und gütiges Vergessen erblühen“, heißt es in einem Text, mit dem Ilse Weber ihren Mithäftlingen gegen die Verzweiflung helfen wollte. Maria Thomaschke (Mezzosopran), Andreas Joksch (Tenor) und Nikolai Orloff (Klavier) ließen, musikalisch fein auf einander abgestimmt, in Liedern wie diesem Wehmut mitschwingen. Sie zeigten aber auch mit deklamatorischer Unerbittlichkeit, wie damals die Kabarett-Künstler von Theresienstadt mit sarkastischen Parodien selbst beim Schnulzentraum vom „kleinen Café“ auf „Wien“ nur noch den realistischen Reim „Terezin“ zu Papier brachten.

Selbstironie über die „gelben Fleckerln“ (die zwangsweise zu tragenden Judensterne), über die „schönste Stadt der Welt“, Ansingen gegen die Verzweiflung im Schluss-Couplet „Jetzt ist alles aus“ - dem Publikum in Vöhl stockte manchmal sekundenlang die Hand zum Applaus.

Erst am Schluss gab es langen, herzlichen Beifall für vier Künstler, die am Abend des Holocaust-Gedenktages ein Stück Hochkultur inmitten des Grauens von Theresienstadt sehr eindrucksvoll zu würdigen wussten.

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Melancholie, Satire, bissiges Chanson: Die Künstler des Ensembles „Zwockhaus“ mit (von links) Nikolai Orloff, Maria Thomaschke und Andreas Jaksch erinnerten in der Vöhler Synagoge an ermordete, aber unvergessene Kulturschaffende des Ghettos Theresienstadt. Fotos: Karl-Hermann Völker
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29.1.2019, Gedenken der NS-Opfer

Gemeinsame Feierstunde am Holocaust-Gedenktag

Vöhl: Landkreis und Förderkreis Synagoge gedachten der NS-Opfer

Vier Brüder ihres Vaters und Großvaters Robert Ebender kamen in Auschwitz um: Ihrer Familienangehörigen und aller Sinti-Opfer des Holocaust gedachten Tochter Elisabeth Aydin geb. Ebender (vorn, Mitte), Enkel und Verwandte in der Synagoge Vöhl. 

Vöhl – „Wir können eine Wiederholung von Schreckensherrschaft und Völkermord nur verhindern, indem wir das Bewusstsein dafür bewahren, was in der Zeit zwischen 1933 und 1945 geschehen ist“, mahnte Karl-Heinz Stadtler, Vorsitzender des Förderkreises „Synagoge in Vöhl“, als er dort am Sonntag die gemeinsame Feierstunde mit dem Landkreis zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ eröffnete.

Es gebe nur noch wenige Zeitzeugen, die die Nazi-Diktatur bewusst erlebt hätten. Darum sei es heute Aufgabe aller, die als Politiker, Lehrer oder Eltern Verantwortung trügen, Bürger dafür zu sensibilisieren, dass sie Widerstand leisteten, wenn Menschenrechte, Freiheit und Toleranz gefährdet seien, sagte Stadtler.

Er freute sich deshalb besonders über die große Zahl junger Leute, die an der Gedenkfeier teilnahmen, darunter Schülerinnen der Ederseeschule Herzhausen. Von dem Auschwitz-Überlebenden Robert Ebender, gestorben 2003 in Frankenberg (WLZ berichtete), war die Tochter Elisabeth Aydin geb. Ebender mit Enkeln, Nichten und Neffen gekommen, um ihrer im Holocaust ermordeten Sinti-Vorfahren zu gedenken.

 

Der Vöhler Bürgermeister Matthias Stappert erinnerte in seinem Grußwort an den 27. Januar 1945, als das NS-Todeslager KZ Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit wurde. Es sei zu einem Symbol für alle Opfer des Nationalsozialismus geworden, und deshalb sei dieser Tag „wichtiger Teil unserer Erinnerungskultur“. Stappert dankte dem Landkreis, dass er dazu an solch einen geschichtsträchtigen Ort wie die Synagoge in Vöhl eingeladen habe.

In ihrer engagierten Gedenkrede stellte die Kreisbeigeordnete Hannelore Behle (Diemelsee) nach Beispielen aus der Geschichte die Frage, wie in der NS-Zeit Menschen, die in einem Umfeld von Kultur, Bildung und Menschlichkeit aufgewachsen waren, „diesen dünnen Firnis der Zivilisation so schnell abstreifen konnten“. Es sei eine Schutzbehauptung, so etwas könne uns heute nicht mehr passieren. „Nichts vermag uns vor dem Rückfall in die Barbarei zu schützen, außer unserem Gewissen!“

VON KARL-HERMANN VÖLKER

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