Montag, 9. November 2020, Online-Gedenkfeier zur Progromnacht


Foto: Walter Schauderna
 
Zum ersten Mal seit 1985 wird es in Vöhl keine öffentliche Gedenkfeier geben. Die Beschlüsse der Bundesregierung und der Landesregierungen zum Teil-Lockdown im November, die wir ausdrücklich akzeptieren, lassen uns keine Wahl!
Gleichwohl: Ein Gedenken findet statt - aber in anderer Form. Viel mehr Menschen als sonst werden sehen, wie die Namen der Ermordeten genannt und Kerzen angezündet werden. Wir laden Sie und euch alle dazu ein, am 9. November auf unserer Website an unserem Gedenken teilzunehmen.




Englische Übersetzung:
 
 
Begrüßung: Früher nein sagen

Karl-Heinz Stadtler

Herzlich willkommen in der Vöhler Synagoge.
Herzliche willkommen zum Gedenken an den 9. November 1938, an die sogenannten Novemberpogrome.
Am 9. November 1938 wurden überall in Deutschland Synagogen angezündet, die Geschäfte und Wohnhäuser von Juden gestürmt, zerstört und geplündert. 30.000 jüdische Männer wurden verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen bei Berlin gebracht. Unter ihnen auch die Vöhler Max Mildenberg, Martin Sternberg und Alfred Rothschild, aber auch Bruno Frankenthal und der Lehrer Ferdinand Stern.
Fortsetzung Der 9. November gilt als ein Tag, an dem die Deutschen die Möglichkeit gehabt hätten, nein zu sagen zu dem, was sie bisher schon gesehen und erlebt hatten an Widerwärtigkeiten, an Benachteiligungen, an Diskriminierungen der jüdischen Bevölkerung, und sie hätten durch ihr Nein verhindern können, was nachher geschah. Die Deutschen haben es nicht getan. Sie haben nicht nein gesagt. In der Nachschau war dieser Tag offensichtlich zu spät. Man hätte früher nein sagen müssen.
Im Hof unserer Synagoge haben wir einen uralten Stein, den wir den Sag-Nein-Stein nennen. Und wenn ich Schüler durch die Synagoge führe oder über den Hof, dann sage ich ihnen angesichts dieses Steins, wenn 1933, 1935 mehr Menschen früher nein gesagt hätten, dann wäre nicht passiert, was geschehen ist.
Und darauf kommt es heute an, dass man frühzeitig nein sagt, dass man frühzeitig opponiert, wenn man den Eindruck hat, dass Rechtsradikale, Rechtsextremisten, faschistoide Strömungen das Klima vergiften. Wir sehen auch in den letzten Jahren in der Bundesrepublik und in unseren Nachbarländern, dass terroristische Taten geschehen, dass Menschen getötet werden. Ich erinnere an den Anschlag auf die Synagoge in Halle oder an die Ermordung von zehn Menschen in Hanau erst in diesem Jahr.
Der erste Satz des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ In diesem Satz heißt es nicht „Die Würde des Deutschen ist unantastbar.“ Oder „Die Würde des Weißen ist unantastbar.“ Oder: „Die Würde des Christen ist unantastbar.“ Sondern die Würde des Menschen, jedes Menschen ist unantastbar. Lassen Sie uns das Verpflichtung sein für uns selbst. Lassen Sie uns gegenseitig versprechen, dass wir rassistischen, antisemitischen, fremdenfeindlichen Äußerungen immer wieder aufs Neue entgegentreten. Auch dann, wenn es in unserem persönlichen Umfeld, in unserem Bekanntenkreis, in unserer Familie der Fall sein sollte. Lassen Sie uns irgendwelche Äußerungen dieser Art nie unwidersprochen lassen. Wenn wir uns das fest vornehmen, werden wir auch entsprechend handeln. Und wenn wir alle so handeln, dann verhindern wir die Gefahr von Entwicklungen, die wir alle nicht wollen. Lassen Sie uns gemeinsam eintreten für Frieden, Freiheit, Demokratie, für Toleranz und für ein solidarisches Miteinander. Ein Miteinander mit allen Menschen.
Dem Gedenken an die Novemberpogrome, aber auch an die rassistischen und antisemitischen Verbrechen der Gegenwart ist der heutige Tag gewidmet. Sie hören anschließend eine Gedenkrede des Ehrenvorsitzenden des Landesverbandes Hessen im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Herrn Jürgen Damm. Anschließend werden die 72 Namen der Vöhler Opfer des Holocaust genannt und für jeden von ihnen eine Kerze angezündet. Sahra Küpfer trägt danach das Kaddisch auf Aramäisch vor, das dann Günter Maier in die deutsche Sprache überträgt. Zum Schluss hören Sie ein kleines Musikstück von Sarah Küpfer.


Gedenkrede

Jürgen Damm

Ehrenvorsitzender des Landesverbands Hessen im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorte

Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten!
Si vis pacem para pacem!

Das ist die Konsequenz aus den unvorstellbaren Folgen von Krieg und Gewalt, wenn wir uns die letzten 110 Jahre – also von 1910 bis heute - anschauen.
Wenn wir uns die Entwicklung der Zeit ab 1910 vor Augen führen, dann erkennen wir: Was Anfang des 20sten Jahrhunderts nicht vorstellbar war, entwickelte sich in kurzer Zeit zu einem katastrophalen Flächenbrand in der ganzen Welt. Die Friedensbotschaft – zum Beispiel die der ersten Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner 1905: „Der nächste Krieg wird von einer Furchtbarkeit sein, wie noch keiner seiner Vorgänger, blieb ungehört.
Bertha von Suttner hat auch gesagt:
„Wer die Opfer nicht schreien hören, nicht zucken sehen kann, dem es aber, sobald er außer Seh- und Hörweite ist, gleichgültig ist, dass es schreit.“

Fortsetzung Meine Frage: Sind wir heute außer Hörweite, sehen und hören wir nicht mehr das Schreien und Zucken der gequälten, gefolterten, ermordeten Menschen in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten.
Aber auch das Gebet von Papst Franziskus kann uns auf dem Weg zum Frieden helfen. Das Gebet das er anlässlich des Besuches des Präsidenten des Staates Israel, Schimon Peres, und des Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas im Vatikan am Sonntag, 08. Juni 2014. gesprochen hat
„Herr, Gott des Friedens, erhöre unser Flehen!
Viele Male und über viele Jahre hin haben wir versucht, unsere Konflikte mit unseren Kräften und auch mit unseren Waffen zu lösen; so viele Momente der Feindseligkeit und der Dunkelheit; so viel vergossenes Blut; so viele zerbrochene Leben; so viele begrabene Hoffnungen. … Doch unsere Anstrengungen waren vergeblich. Nun, Herr, hilf Du uns! Schenke Du uns den Frieden, lehre Du uns den Frieden, führe Du uns zum Frieden! Öffne unsere Augen und unsere Herzen und gib uns den Mut zu sagen: ‚Nie wieder Krieg! Mit dem Krieg ist alles zerstört!‘ Flöße uns den Mut ein, konkrete Taten zu vollbringen, um den Frieden aufzubauen. Herr, Gott Abrahams und der Propheten, Du Gott der Liebe, der Du uns erschaffen hast und uns rufst, als Brüder zu leben, schenke uns die Kraft, jeden Tag Baumeister des Friedens zu sein; schenke uns die Fähigkeit, alle Mitmenschen, denen wir auf unserem Weg begegnen, mit wohlwollenden Augen zu sehen. Mach uns bereit, auf den Notschrei unserer Bürger zu hören, die uns bitten, unsere Waffen in Werkzeuge des Friedens zu verwandeln, unsere Ängste in Vertrauen und unsere Spannungen in Vergebung. Halte in uns die Flamme der Hoffnung am Brennen, damit wir mit geduldiger Ausdauer
Entscheidungen für den Dialog und die Versöhnung treffen, damit endlich der Friede siege. Und mögen diese Worte – Spaltung, Hass, Krieg – aus dem Herzen jedes Menschen verbannt werden! Herr, entwaffne die Zunge und die Hände, erneuere Herzen und Geist, damit das Wort, das uns einander begegnen lässt, immer ‚Bruder‘ laute und unser Leben seinen Ausdruck finde in ‚Shalom, Frieden, Salam‘! Amen.“
Mir ganz persönlich ist dieses Gebet des Papstes Ansporn, für den Frieden zu arbeiten und unseren Herrgott zu bitten, mir die Kraft dazu zu geben.
Ja, schauen wir ganz bewusst auf die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg; schauen wir auf den grausamen Zweiten Weltkrieg; schauen wir auf den Koreakrieg, den Vietnamkrieg, aber auch auf die Kriege, die heute in vielen Teilen der Welt täglich Menschenopfer fordern. In Mali, in Afghanistan, in der Ostukraine , aber auch in Bergkarabach!
Nun könnten wir fragen: Warum können wir in dieser Welt nicht friedlich miteinander leben? Warum müssen wir unsere Konflikte blutig ausfechten? Warum lernen wir nicht aus der Geschichte? Und jetzt sage ich etwas, was mich seit vielen Jahren umtreibt. Was kann ich, was können wir, jede und jeder Einzelne mit Blick auf die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt tun? Da erlebe ich bei vielen Menschen das berühmte Achselzucken. Diesem Achselzucken halte ich entgegen: Schauen wir genau hin, welche brutalen Folgen Krieg und Gewalt in der Vergangenheit gehabt haben; aber schauen wir auch auf unser angeblich so friedliches Leben. Schauen wir in unsere Familien, in unsere Vereine, in unsere Schulen, in unsere politischen Gemeinden. Ja, schauen wir uns in unserm unmittelbaren Lebensumfeld um. Überall ist Neid, ist Auseinandersetzung, die sehr oft die Würde des Menschen antastet. Und nun behaupte ich, dass diese Welt friedlicher wird, wenn jeder von uns nicht auf die unveränderbaren großen Auseinandersetzungen dieser Welt verweist, sondern ganz klein in seinem unmittelbaren Umfeld den Frieden schafft, der möglich ist. Ich behaupte - und das ist für mich lebensbestimmend -, wenn wir alle in unserem unmittelbaren Umfeld für Frieden arbeiten, dann wird die Welt friedlicher.
Der Leitspruch des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der im Jahre 1953 von jungen Menschen acht Jahre nach dem zweiten Weltkrieg mit seinen 55 Millionen Toten beim ersten großen internationalen Jugendlager auf der Kriegsgräberstätte Lommel in Belgien geprägt wurde, lautet: „Arbeit für den Frieden – Versöhnung über den Gräbern“ und bestimmt die friedenspädagogische Arbeit des Volksbundes. Diese baut auf der Erinnerung an die fürchterlichen Folgen von Krieg und Gewalt auf.
Heute hier in der Synagoge von Vöhl, vor dem Thora-Vorhang, denken wir an die grausamen Ereignisse des 09. November 1938 und der dann mit aller Brutalität des Volkszorns – auch hier im Waldecker Land – von deutschen Menschen, von Mitbürgern, Nachbarn - begangene Mord an Juden im Holocaust. Da handelten nicht asoziale Menschen, da handelten Menschen wie Du und ich, verblendet und hirnlos gemacht durch Propaganda.
Meine Generation - ich bin Jahrgang 1938, habe also noch Erinnerungen an Kriegsereignisse – kann bald nicht mehr befragt werden; deshalb ist es so wichtig, dass wir Orte der Erinnerung schaffen, Orte wie diese ehemalige Synagoge oder das Gustav-Hüneberg-Haus in Volkmarsen. Für mich als Angehöuger des Volksbundes sind natürlich historisch
aufgearbeitete Kriegsgräberstätten Orte, an denen wir deutlich machen können, welche Folgen Krieg und Gewalt haben können.
Ein Gedanke zum Schluss:
Neonationalsozialismus ist im Vormarsch: Heute zeigt er sich in Aussagen wie „Hitler und die Nazis seien nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte “, oder die Forderung nach einer “erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad”, was heißt, die Zeit des Nationalsozialismus positiv zu betrachten.
Diese Grundhaltungen sind es, meine Damen und Herren, die den Brunnen vergiften und auf eine Stimmung zielen, die endgültig zu Halle, Hanau und zur Ermordung von aufrechten Demokraten wie unserem verehrten Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke führen.
Was müssen wir tun:
Wir müssen Strategien gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entwickeln. Diese müssen wir in politisches und gesellschaftliches Handeln auf allen Ebenen umsetzen.
Wir müssen öffentlich eintreten für kulturelle Vielfalt und Toleranz.
Wie müssen Rechtsextremismus offensiv bekämpfen.
Wie hat sich unser Bundespräsident zu den Demonstrationen in Berlin am 30. August 2020 geäußert:
„Unsere Demokratie lebt“, betonte Steinmeier. Wer sich über die Corona-Maßnahmen ärgere oder ihre Notwendigkeit anzweifele, könne das tun, auch öffentlich, auch in Demonstrationen. „Mein Verständnis endet da, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen. Wer auf den Straßen den Schulterschluss mit Rechtsextremisten sucht, aber auch wer nur gleichgültig neben Neonazis, Fremdenfeinden und Antisemiten herläuft, wer sich nicht eindeutig und aktiv abgrenzt, macht sich mit ihnen gemein." Soweit unser Bundespräsident!
Meine Damen und Herren,
wir müssen – und das sage ich mit heißem Herzen - gerade junge Menschen an Fragestellungen, wie wir sie an Gedenktagen wie dem 09. November formulieren, heranführen und ihnen deutlich machen, was Verblendung bewirkt.
Dabei sollten wir als oberste Maxime unseres Handelns den Artikel 1 (1) unseres Grundgesetzes in den Mittelpunkt stellen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.



Ermordet 1933-1945

Vöhler Opfer des Holocaust
 


Das Kaddisch 

1877 w:Lviv edition, Public domain, via Wikimedia Commons

Das Gebet können Sie auch ausdrucken, bitte antippen!


Jitgadal w'jitkadaš, Sch'meh rabah, b'Alma di hu Atid l'it'chadata.

Erhoben und geheiligt, sein großer Name, in der Welt die er erneuern wird.
Uleachaja Metaja, uleasaka jatehon leChajej Alma,
Er belebt die Toten, und führt sie empor zu ewigem Leben,
ulemiwnej Karta di-Jeruschelejm
Er erbaut die Stadt Jiruschalajim
uleschachelala Hejcheleh beGawah,
und errichtet seinen Tempel auf ihren Hoehen,
ulemaeeakar Palchana nucheratah min-Areaa,
Er tilgt die Goetzendienerei von der Erde
welaatawa Palchana di-Schmaja leAtra,
und bringt den Dienst des Himmels wieder an seine Stelle,
wejamlich Kudescha berich hu beMalchuteh Wikareh
und regieren wird der Heilige, gelobt sei er, in seinem Reiche und in seiner Herrlichkeit,
beChajejchon uweJomejchon
in eurem Leben und in euren Tagen
ubeChajej dechal-Bejt Jiserael
und im Leben des ganzen Hauses Israel
baAgala uwiSeman kariw,
schnell und in naher Zeit,
weimeru Amejn.
Und sprechet: Amejn.
Jehe Schemeh raba mewarach, leAlam uleAlmej Almaja!
Sein großer Name sei gelobt, in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten!
Jitbarach wejischtabach
Es sei gelobt und verherrlicht
wejitromam wejitnasej
und erhoben und gefeiert
wejithadar wejitealeh
und hocherhoben und erhoeht
wejitehalal Schemeh deKudescha berich hu,
und gepriesen der Name des Heiligen, gelobt sei er,
leajla min-kal-Birchata weSchirata,
hoch hinaus über jede Lobpreisung und jedes Lied,
Tuschbechata weNechaemata
jede Verherrlichung und jedes Trostwort,
daamiran beAlma,
welche jemals in der Welt gesprochen,
weimeru Amejn.
Und sprechet: Amejn.
Jehi Schem Adonaj Meworach meAtah wead Olam!
Es sei der Name des EWIGEN gelobt, von nun an bis in Ewigkeit!
Jehe Schelama raba min-Schemaja,
Es sei Fülle des Friedens vom Himmel herab,
weChajim,
und Leben,
alejnu weal-kal-Jiserael,
über uns und über ganz Israel,
weimeru Amejn.
Und sprechet: Amejn.
Aeseri me’im Adonaj, Oseh Schamajim waArez.
Meine Hilfe kommt vom EWIGEN, dem Schoepfer des Himmels und der Erde.
Oseh Schalom biMeromaw,
hu jaaeseh Schalom alejnu weal-kal-Jiserael,
Der Frieden schafft in seinen Hoehen, er schaffe Frieden unter uns und ueber ganz Israel, weimeru Amejn. Und sprechet: Amejn.

Quelle: https://www.hagalil.com/judentum/gebet/kadisch.htm

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