Wal­deck-Fran­ken­berg – Vor 80 Jah­ren be­gann die zwei­te De­por­ta­ti­on von Ju­den aus 62 Dör­fern und Städ­ten des Kas­se­ler Re­gie­rungs­be­zirks. Sie wur­den ge­walt­sam aus ih­ren Woh­nun­gen ge­holt und in ein Sam­mel­la­ger nach Kas­sel ge­bracht.

Am 1. Ju­ni 1942 star­te­te der Son­der­zug „DA 57“ mit 508 Män­nern, Frau­en und Kin­dern. Die Zie­le wa­ren die Ver­nich­tungs­la­ger im Di­strikt Lu­blin – als ein­zi­ger über­leb­te Ro­bert Ei­sen­städt.

Un­ter den De­por­tier­ten wa­ren auch min­des­tens 42 jü­di­sche Ein­woh­ner aus dem heu­ti­gen Wal­deck-Fran­ken­berg. Al­lein 20 Män­ner, Frau­en und Kin­der hat­ten den Ge­burts- und Wohn­ort Kor­bach – 3,93 Pro­zent. Kei­ner von ih­nen soll­te über­le­ben.

Mi­nu­ti­ös wur­de auch die­se De­por­ta­ti­on vor­be­rei­tet. Be­reits am 20. März 1942 in­for­mier­te die Ge­hei­me Staats­po­li­zei­stel­le in Kas­sel die Land­rä­te und Po­li­zei­dienst­stel­len über schon „lau­fen­de Eva­ku­ie­rungs­ak­tio­nen“, bei de­nen in nächs­ter Zeit „auch aus dem Re­gie­rungs­be­zirk Kas­sel ca. 840 Ju­den nach dem Os­ten ab­ge­scho­ben“ wer­den soll­ten.

Auf der De­por­ta­ti­ons­lis­te stan­den auch Ju­den, die vom ers­ten Trans­port am 9. De­zem­ber 1941 zu­rück­ge­stellt wor­den wa­ren – et­wa die bis 1937 in Kor­bach le­ben­den Al­bert und Ehe­frau Frie­da Gold­berg. Schon Wo­chen vor der Ver­schlep­pung war Wr­e­xen zum Ghet­to-Sam­mel­la­ger für jü­di­sche Men­schen aus Kor­bach, Vöhl und Dör­fern des Uplan­des ge­wor­den.

Am 31. Mai 1942, heu­te vor ge­nau 80 Jah­ren, muss­ten auch in den da­ma­li­gen Krei­sen Wal­deck und Fran­ken­berg 42 Ju­den mit we­ni­gen Hab­se­lig­kei­ten im Ge­päck in Zu­lei­tungs­zü­gen nach Kas­sel auf­bre­chen.

Es ist zu ver­mu­ten, dass die Kor­ba­cher Ju­den erst re­la­tiv spät von der be­vor­ste­hen­den „Um­sied­lung“ er­fuh­ren. Ihr Zug nach Kas­sel fuhr um 6.20 Uhr ab. Der frü­he Ter­min er­mög­lich­te ei­nen Ab­trans­port oh­ne öf­fent­li­ches Auf­se­hen.

Wel­che Angst, Ver­zweif­lung und Not die be­vor­ste­hen­de De­por­ta­ti­on aus­lös­te, kann nur er­ahnt wer­den. Die nach Wr­e­xen ge­brach­ten Kor­ba­che­rin­nen An­na und El­la Ba­er sa­hen schein­bar kei­nen an­de­ren Aus­weg, als sich am Vor­abend der De­por­ta­ti­on das Le­ben zu neh­men.

Dass bei die­ser Ver­schlep­pung in den Tod, zy­nisch „Aus­wan­der­er­trans­port“ über­schrie­ben, herz­los ge­zählt und bü­ro­kra­tisch ver­wal­tet wur­de, zei­gen die er­hal­te­nen Trans­port­lis­ten ab Kas­sel, die die Na­men al­pha­be­tisch und oh­ne Rück­sicht auf Orts- oder Fa­mi­li­en­zu­sam­men­ge­hö­rig­keit bis zur Zif­fer 508 auf­zäh­len. Die 508 wa­ren in den Wag­gons, als der Zug am 1. Ju­ni 1942 in Kas­sel star­te­te. In Hal­le wur­den wei­te­re 155 Men­schen ein­ge­la­den. Es war heiß und sti­ckig in den Wag­gons, schnell gin­gen Was­ser und Es­sen aus. Die La­ge war aus­sichts­los: „Die Leu­te wa­ren völ­lig mut­los“, schil­der­te Ro­bert Ei­sen­städt spä­ter.

Am 3. Ju­ni 1942 er­reich­te der Son­der­zug den Bahn­hof in Lu­blin. Auf ei­nem Ne­ben­gleis wur­de „ent­la­den“ – um die 100 kräf­ti­ge, ar­beits­fä­hi­ge Män­ner zwi­schen 15 und 50 Jah­ren wur­den für das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ma­jd­anek „se­lek­tiert“ – sie muss­ten dort Schwerst­ar­beit leis­ten.

Dann fuhr der Zug wei­ter – di­rekt ins Ver­nich­tungs­la­ger So­bi­bor. Dort wur­den die üb­ri­gen De­por­tier­ten ver­gast.

Die De­por­ta­ti­on am 1. Ju­ni war die zwei­te gro­ße aus dem Re­gie­rungs­be­zirk, be­vor am 7. Sep­tem­ber 1942 die letz­ten noch in den Krei­sen le­ben­den Ju­den nach The­re­si­en­stadt und von dort in To­des­la­ger ab­trans­por­tiert wur­den.