Samstag, 17. Dezember 2022, Waldeckische Landeszeitung / Lokales
GEDENKEN
Sühnemord an sechs jungen Zwangsarbeitern vor 80 Jahren
„Polenkreuz“ mahnt bei Herzhausen
VON KARL-HERMANN VÖLKER
Vöhl-Herzhausen – Am Samstag, 19. Dezember 1942, fünf Tage vor Heiligabend, führten SS-Leute „auf Befehl des Reichsführers SS Himmler“ in einem Waldstück bei Herzhausen, hoch über dem Edersee, eine brutale Schauexekution an sechs unschuldigen polnischen Zwangsarbeitern aus. Sie wurden gezwungen, unter einem provisorischen Galgen zwischen Bäumen mit Schlingen um den Hals auf eine Bank zu steigen, die unter ihren Füßen weggetreten wurde. Todeszeitpunkt war 12 Uhr 48, mit deutscher Gründlichkeit in den Sterbeurkunden des Standesamts Kirchlotheim vermerkt.
Etwa 200 vormittags aus der Waldeck-Frankenberger Region zusammengetriebene Polen mussten der Hinrichtung an ihren Landsleuten zuschauen und, angetrieben von Kolbenstößen, an den Gehenkten vorübergehen.
An diesen Massenmord am sogenannten „Polenkreuz“ vor 80 Jahren soll am heutigen Samstag in einer Veranstaltung, die bereits seit Jahrzehnten einen festen Platz in der Gedenkkultur der Gemeinde Vöhl hat, erinnert werden.
Anfangs war es ein in Vergessenheit geratenes Kreuz mit schwarzer Schrifttafel, 1947 errichtet von der UNRRA (Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen), mit dem die bis dahin unbekannten Terroropfer gewürdigt wurden. Es sank nach 30 Jahren morsch in sich zusammen.
Alljährlich versammelten sich Mitglieder der Frankenberger Friedensbewegung in Eigeninitiative an der ungeliebten Gedenkstätte, bis endlich die Gemeinde Vöhl in den 1980er-Jahren bewusst die Verantwortung übernahm und ein neues, großes Holzkreuz errichtete.
In Anwesenheit von Vertretern der polnischen Botschaft und des Vorsitzenden des Verbandes der im Dritten Reich ausgebeuteten Polen, Michal Gawalkiwiez, fand im Dezember 1987 eine erste offizielle Gedenkfeier mit Vertretern aus Kirche, Politik und Bevölkerung statt.
Schauhinrichtungen von polnischen Zwangsarbeitern durch das NS-Regime waren in den Kriegsmonaten des Jahres 1942 in Nordhessen keine Seltenheit. In Ellnrode wurde bereits am 26. Oktober 1942 der polnische Zwangsarbeiter Romuald Kuczynski, der zeitweilig in Eifa und Wangershausen eingesetzt gewesen war, wegen eines tätlichen Streits mit einem Landsmann erhängt. Auch hier mussten etwa 75 Zwangsarbeiter „zur Abschreckung“ zusehen.
Allein aus dem NS-„Arbeitserziehungslager“ Breitenau wurden 18 polnische Zivilarbeiter am Rand von Ortschaften wegen geringfügiger Verfehlungen oder Beziehungen zu Frauen („Rassenschande“) ohne Gerichtsverfahren hingerichtet, unter ihnen auch die selektierten sechs jungen Männer für Herzhausen. Völlig willkürlich: Sie büßten dafür, dass am 22. November 1942 der 27-jährige Pole Nikolay Gluszko, Zwangsarbeiter im Gut Asel, mit dem Vorwurf der „Brandstiftung“ auf dem Weg zum Amtsgericht in Korbach den ihn begleitenden Herzhäuser Hilfsgendarmen Fritz Hamel umgebracht hatte. Dank seiner guten Ortskenntnis konnte sich der geflohene Gluszko wochenlang in den Wäldern des Edersees verbergen. Mit einer „Abschreckungs- und Sühnemaßnahme“ meinte die Gestapo nach vier Wochen ohne Fahndungserfolg die Bevölkerung beruhigen zu können.
Erst im Januar 1943 gelang es im „Unternehmen Banfe“ 500 Arolser SS-Leuten gemeinsam mit Förstern und Waldarbeitern den Flüchtigen in einem Erdloch bei Asel-Süd zu finden. Eine Handgranate verletzte ihn dort tödlich.