12.10.2017, Grenzgänger zwischen den Stimmlagen

 
Grenzgänger zwischen den Stimmlagen
Konzert: Bariton Christian Backhaus und seine Begleiterin Masako Ono waren zu Gast in der Synagoge Vöhl. Foto: Hennig
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Hennig, Armin

Von Armin Hennig

Vöhl. Es war ein echtes Kontrastprogramm: Beim Synagogenkonzert in Vöhl zogen der Vöhler Bariton Christian Backhaus und seine Begleiterin Masako Ono die Zuhörer in der Alten Synagoge mit einer eigenständigen Interpretation von Franz Schuberts Winterreise in ihren Bann.

Beim Auszugslied „Gute Nacht“ legte die japanische Pianistin ein ziemlich forsches Tempo vor, das aber keineswegs auf Kosten der differenzierten Ausdeutung des lyrischen Gehalts durch den Bariton ging. Dieser erwies sich als großartiger Grenzgänger zwischen den stimmlichen Lagen. So schien bei der Textzeile „Es geht ein Mondesschatten“ viel tenorales Timbre auf, während er auf den dunkleren Tönen „des Wildes Tritt“ folgte.

Zum pianistischen Tippelschritt der „Gefrorene(n) Tränen“ nahm der Schmerz in der Stimme des Sängers zu, bevor Backhaus erstmals echte Bassqualitäten entwickelte, die später „Auf dem Flusse“ bis hin zum tiefsten Ton ein eindrucksvolles Gepräge geben sollten.

Das gezielte Ansteuern unterschiedlicher Stimmcharaktere war eines der Stilmittel, mit denen Christian Backhaus den Liedern des Zyklus seine persönliche Note gab, der sich dem bloßen Absingen schöner Melodien - auch beim zu Volksliedehren gelangten Lindenbaum - verweigerte und im Idyll die erste Ahnung des Todes anklingen ließ.

Bei der Gestaltung von „Rückblick“ setzte der Bariton die Atemlosigkeit von Wilhelm Müllers Lyrik nicht nur in Noten um und ließ im schmerzlichen Vergleich von einst und jetzt („Hab’ mich am Stein gestoßen“) auch ein Kratzen in der Stimme zu.

Vom rastlosen Kreisen um der Liebsten Haus, das aus immer neuen Perspektiven ins Visier genommen wird, bis zum Stillstand von „Einsamkeit“ beschreibt die Winterreise einen Bogen, den Christian Backhaus und Masako Ono vor der Pause auf unvergessliche Weise beschritten.

Die zweite Hälfte von Wilhelm Müllers Zyklus beschreibt den Weg in die Todesgewissheit, zerfällt aber eher in Momentaufnahmen, gleichbedeutend mit musikalischen Einzelbildern, deren individuelle Gestaltung dem Interpreten viel mehr abverlangen. Eine Aufgabe, mit der sich schon viele Größen schwer getan haben, ehe der unwiderstehlich schwermütige Zauber des Leiermanns alles zuvor zudeckt.

Seltsam neutral

Die zweite Hälfte der Synagogen-Winterreise war zwar schön anzuhören und stimmlich makellos, die innere Entwicklung blieb leider auf der Strecke, als hätte Christian Backhaus noch nicht die adäquaten Stilmittel für den schwierigeren Teil gefunden. Gerade „Mut“ (Will kein Gott auf Erden sein, Sind wir selber Götter), das ein letztes verzweifeltes Aufbegehren fordert, blieb seltsam neutral. Christian Backhaus verweigerte sich jeder Kopie, hatte aber offensichtlich noch keine eigene Lösung gefunden. Dennoch: die Zuhörer in der gut besuchten Synagoge waren komplett begeistert, der abschließende Leiermann zieht vom ersten schwermütigen Akkord an alle in seinem unwiderstehlichen Bann, der von Masako Ono und Christian Backhaus wirkte besonders stark.

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