Vöhl – An den Einmarsch der Amerikaner in die 15 Dörfer der heutigen Gemeinde Vöhl vor 80 Jahren wurde bei einer Veranstaltung der Henkelhalle erinnert. Eingeladen dazu hatten die vier Kirchengemeinden, der Geschichtsverein Itter-Hessenstein und der Förderkreis Synagoge in Vöhl.

Nach arbeitsintensiven Recherchen und Vorbereitungen stellten Volker König, Andreas Schultze, Susanne Sell, Dr. Heinrich Knoche und Karl-Heinz Stadtler dar, was seinerzeit in den Orten geschah. Für die musikalische Unterhaltung an diesem Nachmittag bei Kaffee und Kuchen sorgte Nadine Fingerhut mit hervorragend vorgetragenen, selbst getexteten und komponierten Liedern.

Zu Beginn informierte Dr. Frank Hartung über den Zug der amerikanischen Armeen von der Brücke bei Remagen bis in heimische Region. Ziel der US-Truppen war zum einen Paderborn, um sich mit anderen Armeen zu vereinigen und das noch von deutschen Truppen gehaltene Ruhrgebiet einzukesseln. Zum anderen sollte auf dem Weg nach Kassel und weiter nach Osten die Sperrmauer erreicht werden, um deren Sprengung durch deutsche Soldaten zu verhindern.

Kind starb durch eine Handgranate

Die folgenden Referenten thematisierten dann den schnellen Rückzug deutscher Soldaten, die nicht immer folgenlosen Schüsse amerikanischer Panzer bei der Annäherung an die Vöhler Orte, die Durchsuchung der Häuser nach Soldaten und Waffen, die Behandlung der Nazis und den Wechsel der Bürgermeister und anderer Verantwortungsträger. Auch das Verhalten von Kriegsgefangenen, Fremd- und Zwangsarbeitern kamen zur Sprache.

In Ederbringhausen hatten 30 SS-Leute aus der Arolser Kaserne Widerstand leisten wollen. Sieben von ihnen bezahlten die unsinnige und von verantwortungslosen Vorgesetzten befohlene Aktion mit ihrem Leben. Auch in Buchenberg kam es zu einem Todesfall. In Dorfitter wurde die Tochter russischer Zwangsarbeiter durch den Schuss eines Panzers getötet und ein Parteiaktivist brachte sich selbst um. In Harbshausen starb ein fünfjähriges Kind, weil es mit einer in einem zurückgelassenen amerikanischen Panzer vergessenen Handgranate spielen wollte.

Eine schlimme Geschichte schilderte Karl-Heinz Stadtler. Das zu Beginn der Nazizeit auf dem Vöhler Masloh errichtete Arbeitsdienstlager wurde gegen Kriegsende zu einem wohl von der SS betriebenen Wehrertüchtigungslager, wo Hitlerjungen vorbereitende Lehrgänge für den Kriegseinsatz besuchten. Wenige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner verließ eine Gruppe von zehn Lehrgangsteilnehmern das Lager Richtung „Festung Harz“, wo sie Mitte April eintrafen. Am 18. April wurden neun von ihnen, der Zehnte hatte sich verstecken können, von Amerikanern festgenommen und am nächsten Tag erschossen.

Erst Anfang der 1990er Jahre hatte jener zehnte Junge, die Angelegenheit zur Anzeige gebracht. Das Grab der Jungen wurde im Wald bei Treseburg gefunden und geöffnet. Festgestellt wurde, dass die Jungen durch Genickschuss getötet worden waren. Wegen des großen zeitlichen Abstands zum Geschehen kam die Untersuchung der Staatsanwaltschaft zu keinem Ergebnis. In Vöhl bekannt wurde die Angelegenheit durch ein Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaft in Magdeburg.

Über 300 Soldaten ließen ihr Leben

An einer Wand der Henkelhalle hing eine Liste mit über 400 von Stadtler und Volker König ermittelten Namen von Opfern von Krieg und Gewalt mit Bezug zu den 15 Vöhler Dörfern. Darunter waren über 300 Soldaten; bei den anderen Personen handelte es sich um die vom NS-Regime ermordeten Juden, die Toten von Ederbringhausen, Buchenberg und Dorfitter, die Opfer im Zusammenhang mit den Ereignissen am Polenkreuz und die neun Jungen vom Wehrertüchtigungslager.

Mitgeteilt wurde auch die Zahl der Fremd- und Zwangsarbeiter. In den 15 Dörfern lag die Gesamtzahl bei 513, wobei die in Obernburg und Hof Lauterbach beschäftigten Kriegsgefangenen noch nicht miterfasst waren. Und sie wurden – das wurde in den Gesprächen deutlich – durchaus nicht alle von ihren Arbeitgebern gut behandelt. Man machte Unterschiede nach „rassischen“ Gesichtspunkten: französische und niederländische Fremd- und Zwangsarbeiter durften mit den Bauernfamilien am Küchentisch essen, bei Polen und Russen war das nur selten der Fall.

Man hatte manchmal Angst vor den Zwangsarbeitern, verhielt sich ihnen gegenüber distanziert, manchmal auch schroff und provozierte damit hin und wieder Reaktionen der Verärgerung und des fehlenden Respekts. Susanne Sell machte dies am Beispiel der am späteren Polenkreuz hingerichteten polnischen Zwangsarbeiter deutlich, die vorher wegen Bagatelldelikten im Lager Breitenau oder im Kasseler Gefängnis in Welheiden inhaftiert waren, bevor man sie bei Herzhausen wegen der Tat eines anderen aufhing.

Den Nachmittag in der Henkelhalle beschloss Pfarrer Andreas Reichwein von der Kirchengemeinde Viermünden, zu der auch Ederbringhausen und die beiden Orkedörfer gehören. Er sprach das „Gebet der Vereinten Nationen“, das der amerikanische Präsident Roosevelt 1942 erstmals öffentlich im Radio gesprochen hatte und in dem Gott um den Sieg über die Tyrannen gebeten wird, die alle freien Menschen und Nationen versklaven würden. Als Aufgabe der Menschen definiert er, „aus der Erde einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden“.
RED