28.1.2016, Es waren Nachbarn und Schulkameraden

Gedenkveranstaltung für Volkmarser Juden

Es waren Nachbarn und Schulkameraden

Gedenken in Volkmarsen auf dem jüdischen Friedhof.

Eine Gedenkveranstaltung für die ermordeten Volkmarser Jude fand am jüdischen Friedhof von Volkmarsen statt.

Seit 15 Jahren richtet der Verein "Rückblende Gegen das Vergessen" in Volkmarsen jeweils am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag,  eine besondere Gedenkfeier aus. Über 60 Gäste, unter ihnen Bürgermeister Hartmut Linnekugel und weitere Volkmarser Kommunalpolitiker, Bürgermeister Reinhard Schaake aus Wolfhagen, Vertreter der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Kassel, des Fördervereins Synagoge in Vöhl und des Internationalen Suchdienstes Bad Arolsen versammelten sich an der Villa Dr. Bock.

Ernst Klein erinnerte an die Schicksale der Volkmarser Juden, die während der NS-Zeit ausgegrenzt, gedemütigt und am Ende in den Vernichtungslagern ermordet wurden. Er machte auch am Beispiel der Familie Lichtenstein deutlich, dass sich viele deutsche Juden nicht vor der Verfolgung retten konnten, weil sie trotz verzweifelter Versuche keine Aufnahme in anderen Ländern fanden.

 

 Nach dem gemeinsamen Gang zum jüdischen Friedhof wurden dort die Namen der 26 ermordeten Juden verlesen, an der Lesung beteiligte sich auch ein Konfirmand und Pfarrerin Holk-Gerstung. Gleichzeitig wurden für alle Opfer Lichter angezündet und von den Gästen in die Öffnungen der Gedenkmauer gestellt.

2.3.2016, Klangwelten der mongolischen Musik

 
Klangwelten der mongolischen Musik
 

Einzigartige Mischung: Die Gruppe Sedaa, persisch für „die Stimme“, gastierte in Vöhl. Nasaa Nasanjargal, Ganzorig Davaakhuu, Omid Bahadori und Naraa Naranbaatar entführten die Besucher in neue Klangwelten. Foto: Hennig

Vöhl. Sedaa heißt auf persisch die Stimme. Der Einsatz von Kehlkopf-, Oberton- und Untertongesang ist ein Markenzeichen des Weltmusikensembles, das zuletzt vor drei Jahren in Vöhl aufgetreten ist. Ein Zeitraum, den die vier Musiker zur Weiterentwicklung des Instrumentariums und zur Einbindung neuer Stilmittel genutzt haben.

Im Rhythmus des Reitens komponiert das mongolisch-iranische Quartett Sedaa seine Musik, in der sich die Traditionen der Herkunftsländer zu neuen Klangwelten vereinigen, in die konstant neue Einflüsse integriert werden.

Quartett mit viel Humor

In Sachen Tempo gibt es, wie beim Reiten, zahlreiche bruchlos miteinander kombinierbare Varianten. Beim jüngsten Stück im Verlauf des Auftritts in der alten Synagoge sind die vier Musiker, nach etlichen Ausritten in unendliche musikalische Weiten gar im Wilden Westen angekommen. „Tun zerd mori“ ist ein augenzwinkernder Country-Song. Mit entsprechend viel Humor erzählt Percussionist Omid Bahadori bei der Vorstellung der Neukomposition die Geschichte eines jungen Nomaden, dem eine Frau und ein Pferd zum Glücklichsein fehlt.

„Pferd ist da“ kommentiert Bassist Naraa Naranbaatar schon mal den Wechsel in den charakteristischen Rhythmus. Beim Werben um die Frau und dem Bewältigen der größeren Herausforderung spielen dann nicht minder unmissverständliche, aber ironisch gebrochene Wildwestweisen eine große Rolle. Anschließend eröffnet ein Zupfen am mittlerweile dreisaitigen Bass den „Oriental Bazar“, zu dessen Klangbild Ganzorig Davaakhuu auf dem Hackbrett das Rollen der Wagenräder beisteuert, ehe Nasaa Nasanjargal auf der Pferdekopfgeige (Morin Khur) das Gewimmel herbei zaubert. Derweil legt der Geiger Bogen und Fidel beiseite und markiert mit dem Ruf der mongolischen Oboe Bischgur den Gipfelpunkt des erste Segments, dem eine ruhigeres folgt. Es lässt sich als Mittagshitze oder Gebet interpretieren.

Mit einem eiligen Gitarrenlauf leitet Omid Bahadori das Finale mit seinen rasanten Unisonopartien aller Instrumente ein. „Noch mal ‘ne Runde reiten?“, fragt der iranische Multi-Instrumentalist und schwenkt dabei seine Rahmentrommel, bevor es mit „Unique Horse“ weiter geht, einer Komposition, die das musikalische Markenzeichen schlechthin ist.

Das Publikum in der Alten Synagoge genoss die einzigartige Mischung aus dynamischer Steppenmusik, Obertonmystik und unverwechselbarem musikalischen Humor in vollen Zügen und bekam zuletzt ein besonderes Erfolgserlebnis. Selbst mitsingen und dabei gut klingen, dies konnten die Zuschauer bei der Zugabe „Altai“ erleben. Mit einem ganz großen Tutti klang ein rundum gelungener musikalischer Abend aus.

 

24.3.2016, Einzigartige Klangmuster

Einzigartige Klangmuster

Das Trio Santiago (auf dem Bild ohne Percussionist Christoph Repp) gastierte mit dem Oud-Spieler Faleh Khaless (Mitte) in der Vöhler Synagoge. Foto: Hennig

Von Armin Hennig

Vöhl. Ein überaus erfreuliches Wiederhören gab es beim 134. Synagogenkonzert mit Johannes Treml. Der Gitarrist und Weltmusiker ist seit Jahren immer wieder in den unterschiedlichsten Konstellationen in der Alten Synagoge aufgetreten und hat das Publikum jedes Mal angenehm überrascht. So auch beim zweiten Gastpiel des Trio Santiago und dem Oud-Virtuosen Faleh Khaless.

Erfreute das Quartett die Zuhörer beim ersten Mal mit einer Reise durch die musikalischen Kulturen rund ums Mittelmeer, so gelang im Verlauf des Konzerts am Samstag die bislang einzigartige Kombination von arabischen und lateinamerikanischen Klangwelten.

Im Eröffnungsstück „La Partida“ verschränkten sich die leichtere andalusische Gitarre Johannes Tremls mit dem etwas gewichtigeren orientalischen Klang der Oud von Faleh Kaless, ehe Katharina Fendel mit der Querflöte eine sich immer schneller drehende Accelerandospirale in Gang setzte.

Von Mexiko bis in die Anden

Doch schon im zweiten Stück wagte die arabische Laute den Sprung über den großen Teich nach Brasilien: Im elastischen Groove des Bossanova „Xodo“ gaben die vier Musiker die erste überzeugende Kostprobe der neuen Cross-over-Qualitäten, auch die orientalischen Soli von Faleh Kaless entwickelten sich aus dem lateinamerikanisch geprägten Kontext.

Von Mexiko bis in die Anden führte der musikalische Weg der dritten Komposition „Huapango“, in deren Verlauf die vier Musiker unverkennbare charakteristische Rhythmen und Klangfarben einsetzten, bis hin zu Piccololäufen, die an die Inkas und ihre Panflöten erinnerten.

Alle drei Flöten kamen in der arabischen Trilogie „Ya Bent Bladi/Anoreza/Chihlet Layeni“ zum Einsatz, in dessen Mittelteil die Bassflöte das rhythmische Fundament für den Zwiegesang der Saiteninstrumente lieferte, während die Piccolo beim abschließenden, immer schneller werdenden Tanz die Spitzenakzente setzte.

Das atmosphärische und rhythmisch vertrackte „Nubes de buenos aires“ mit seinen zahlreichen Wechseln bei Tempo und melodischer Führungsrolle erwies sich als weiteres Glanzstück der musikalischen Crossover-Qualitäten des Trio Santiago und des tunesischen Oud-Spielers.

Die Buena-Vista-Social-Club-Hommage „Chan Chan/Mandinga“ gehörte zu den Favoriten der zweiten Hälfte.

 

17.4.2016 „Offene Bühne“ in der Synagoge: "Total Vokal"

Ensemble „Total Vocal“ gastiert am 24. April in Vöhl

„Offene Bühne“ in der Synagoge

Vöhl. „Total Vocal“: Acht Männer und ein Pianist gründete 2009 aus dem Gesangverein Niederasphe heraus ein neues Ensembles. Seit dem verlassen sie die ausgetretenen Pfade des klassischen deutschen Männerchorgesangs und wenden sich modernen Musikgenres zu. Am Sonntag, 24. April, sind die Musiker bei der „Offenen Bühne“ in der Vöhler Synagoge zu Gast.

Den Schwerpunkt setzt das Ensemble auf Chorstücke mit Klavierbegleitung. Aber auch A-capella-Stücke gehören mit zum Repertoire. Originalkompositionen zeitgenössischer Komponisten und Bearbeitungen internationaler Arrangeure werden ergänzt um Eigenkompositionen. „Total Vocal“ singen deutsch und englisch. Dabei sind Stücke aus Pop und Musicals, Schlager, Folkmusik bis hin zu besinnlichen, meditativen und geistlichen Liedern. Das Konzert in der Vöhler Synagoge beginnt am kommenden Sonntag, 24. April, um 15 Uhr. Das Synagogencafé mit selbstgebackenen Kuchen und Torten ist bereits ab 14.30 Uhr und auch nach dem Konzert geöffnet. Der Eintritt in das Konzert ist frei, es wird um eine Spende gebeten, die je zur Hälfte an die Sänger und den Förderkreis Synagoge in Vöhl gehen. (r)

3.4.2016, Stadtler ist neuer Vorsitzender

Förderkreis der Synagoge in Vöhl wählt neuen Vorstand

Stadtler ist neuer Vorsitzender

Seit 17 Jahren setzen sich Ehrenamtliche für den Erhalt der alten Vöhler Synagoge ein.

Vöhl. Der Förderkreis der Synagoge in Vöhl hat Karl-Heinz Stadtler zu seinem neuen Vorsitzenden gewählt. Zwei Jahre lang hatte Ingeborg Drüner nach dem Tod von Kurt Willi Julius kommissarisch die Aufgaben an der Spitze des Vereins übernommen. Sie trat von ihrem Posten nun zurück.

Einstimmig entschieden sich die Vereinsmitglieder für Karl-Heinz Stadtler als ihren Nachfolger. Er hatte den Förderkreis vor 17 Jahren mit gegründet und als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats und dann auch als Beisitzer im Vorstand mitgearbeitet.

11.5.2016, Lebendige Erinnerung an Opfer

Förderkreis der Synagoge lädt mit vielen Partnern zum „Projekt Auschwitz“ ein – Eröffnung am 4. Juni

Lebendige Erinnerung an Opfer

Dnalor 01, Eingangstor des KZ Auschwitz, Arbeit macht frei (2007), CC BY-SA 3.0 AT

Vöhl. Es ist der Ort, an dem die meisten Vöhler Juden ermordet wurden. 150 deportierte jüdische Mitbürger aus der Region kehrten nicht aus Auschwitz zurück. „Deswegen widmen wir diesem Ort nun einen Themenschwerpunkt“, erklärt Karl-Heinz Stadtler vom Förderkreis der Vöhler Synagoge.

Vier Monate lang sollen unter dem Sternenhimmel der Vöhler Synagoge Menschen zu Wort kommen, die sich erinnern: an ihre Zeit in dem Vernichtungslager, an ihre Familien, ihre Eltern und Großeltern, an die Spuren, die die Nazis in ihrer Lebensgeschichte hinterließen. „Dr. Wolfgang Werner kam mit dem Wunsch auf uns zu, seine Fotografien aus Auschwitz in der Synagoge auszustellen“, erzählt Stadtler, „von diesem Punkt aus nahm das Projekt Gestalt an.“

Insgesamt zehn Veranstaltungstage zwischen Juni und September hat der Förderkreis terminiert (siehe Kasten). Und viele Vereine und Institute gestalten das Projekt mit: Dazu gehört der Internationale Suchdienst ebenso wie die Gedenkstätte in Auschwitz, das Lebenshilfewerk, die Stiftung Stanislaw Hantz, der Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie“, die Alte Landesschule, die Ederseeschule und das Bonhage-Museum.

Den Auftakt für ihr Projekt feiern die Initiatoren am Samstag, 4. Juni, in der Vöhler Synagoge. Dann wird auch die Fotoausstellung von Dr. Werner unter dem Titel „Unsere Stärke ist die Brutalität ...“ eröffnet. Die beiden Schulen beteiligen sich mit Vorträgen an dem Projekt: Ein Ethikkurs der Herzhäuser Schule recherchiert die Lebengeschichte eines Holocaust-Opfers und trägt sie vor, während die Landesschüler aus Korbach eine Tanzperformance mit nach Vöhl bringen.

Zeitzeugen zu Gast

Indes bereitet sich der Förderkreis auch auf den Besuch von Zeitzeugen vor: Dagmar Lieblova aus Prag hat Auschwitz überlebt und kommt mit ihrem Sohn in die Synagoge. Sie erzählt von ihrem eigenen Leben und dem Schicksal ihrer Familie. Im September ist dann Carol Baird in Vöhl zu Gast. Die Nachfahrin eines Vöhler Juden kehrt nicht zum ersten Mal in den Geburtsort ihrer Ahnen zurück. Sie erzählt von Auschwitz-Opfern ihrer Familie. Die Veranstaltung findet auf englisch statt und wird auf Leinwand ins Deutsche übersetzt.

Einen musikalischen Beitrag leisten Klarinettistin Annette Maye und Sängerin Verena Guido mit dem Akkordeon. Sie spielen „Musik aus Auschwitz“ – dazu liest Schauspieler Markus Hottgenroth.

Broschüre zum Projekt

Begleitet wird das Projekt von einer Broschüre, in der nicht nur das Konzentrationslager, sondern vor allem Opferschicksale Raum finden sollen.

„Ohne Sponsoren wäre dieses Projekt gar nicht zu stemmen“, betont indes Karl-Heinz Stadtler. Weitere Spenden seien herzlich willkommen. Hintergrund

Gemeinsam mit vielen Partnern aus der Region lädt der Förderkreis der Vöhler Synagoge zum Projekt „Auschwitz“ ein: Günter und Dorothea Maier und Karl-Heinz Stadtler. Fotos: Demski/pr

25.5.2016, Vöhl bejubelt Aquabella

Musikalisches Damen-Quartett begeistert in der Synagoge

Vöhl bejubelt Aquabella

Vöhl. „Ayadooeh“: Unter dieses Zitat aus Adiemus hatten die Sängerinnen von Aquabella ihr Weltmusikprogramm in der Vöhler Synagoge gestellt. Es streifte 20 Sprachen und lieferte gleich zahlreiche begeisterte Definitionen des Kunstwortes.

Entsprechend positive Reaktionen seitens des Vöhler Publikums stellten sich angesichts der mit viel Virtuosität und musikalschem Humor interpretierten Klassiker des Acapella-Quartetts schnell ein. Frische Klangfarben gaben der Präsentation und Interpretation der langjährigen Favoriten ein anderes Gepräge, die Umstände sorgten für zusätzliche Akzente: etwa wenn die drei Kolleginnen am Ende des finnischen Liedes auf den Bauch ihrer Kollegin im lila Kleid zeigten, die gerade erkenn

7.6.2016, Auftakt zur Reihe "Auschwitz"

Auftakt zur Veranstaltungsreihe „Auschwitz“ in der Vöhler Synagoge

Die doppelte Optik des Grauens

Vöhl. 155 Juden aus Waldeck-Frankenberg wurden im größten Vernichtungslager des Dritten Reiches ermordet. In Erinnerung an die Menschen veranstaltet der Förderkreis der Vöhler Synagoge mit vielen Partnern eine Veranstaltungsreihe.

Zum Auftakt am vergangenen Samstag standen gleich drei Veranstaltungen auf dem Programm: Lesung, Theaterperformance und Ausstellung vermittelte in ihrer Kombination eine beeindruckende Zusammenschau.

Einzelschicksale im Blick

Fotografien aus dem Stammlager, Birkenau und und Monowitz zeigt Dr. Wolfgang Werner bis 11. September. Die Ausstellungsidee habe die Veranstaltungsreihe „Auschwitz“ überhaupt erst entstehen lassen, erzählte Karl-Heinz Stadtler vom Förderkreis der Vöhler Synagoge.

Dr. Werner beschrieb dann die großen Probleme bei der Annäherung an den Schauplatz des gewaltigen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Angesichts der hohen Opferzahl müsse man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass jede Nummer ein Einzelschicksal sei. Eindrucksvolle Bilder sind so entstanden: Ein auf dem Brett festgefrorener Schmetterling. Der Blick durch die Fenster des Bahnhofs des Vernichtungslagers Birkenau auf die Gleise. Gewissermaßen das Gegenstück zu jenem Bild, das zum optischen Synonym für Auschwitz geworden ist. Damit der Abstand zwischen Betrachter und Objekt nicht zu groß wird, hat sich der Fotograf bewusst gegen die Konvention von Schwarzweiß-Aufnahmen entschieden und mit farbreduzierten Bildern eine Balance zwischen Gegenwart und Historie versucht.

In seinem Grußwort und dem Gedenken an die in Auschwitz und anderen Todeslagern ermordeten Vöhler Bürger nahm auch Bürgermeister Matthias Stappert auf Motive der Ausstellung Bezug.

Nah am Publikum

Die Theatergruppe der Lebenshilfe setzte dann einen weiteren Akzent zum Auftakt: Unmittelbare Präsenz bei starker Korrespondenz mit dem Vorwissen der Zuschauer zeichnete die Choreografie über ein Gebet von Primo Levi aus. Aufrüttelnd und bewegend. Dabei gestaltete die Inszenierung von Sonja Schmitt zahlreiche Stationen auf dem Weg ins Lager und in die Vernichtung.

In großer Nähe zu den Zuschauern, die sich bei Selektion, Appell, Misshandlungen oder dem Wegbleiben der Luft in der Gaskammer zuweilen wie Zeitzeugen fühlten. Und dabei vom düsteren Bewusstsein bedrängt wurden, dass die Mehrzahl der Darsteller dieser Mahnung gegen das Vergessen im Dritten Reich auch als Kandidaten für die Vernichtungsmaschinerie gegolten hätten. WeitereR Artikel

Hintergrund

6.7.2016, Maria Thomaschke, Blicke in Fenster der Nachbarn

Blicke in Fenster der Nachbarn

Fein nuanciert und ganz persönlich: Maria Thomaschke in der Vöhler Synagoge. Foto: Hennig

Von Armin Hennig

Vöhl. Im Verlauf des abwechslungsreichen Abends kam es zu vielen Aha-Erlebnissen im besten Sinne des Wortes. Ob Hanns Eisler, Georg Kreisler, Hermann van Veen oder Kurt Weill – viele vermeintlich vertraute Klassiker des Genres klangen in der Gestaltung durch die Mezzosopranistin, die sich auch darstellerisch als Ausnahmekünstlerin erwies, erfrischend neu und ganz persönlich.

Erwachsen werden

Zum Auftakt war die „Manege leer“, das Publikum sollte in den Spiegel sehen und die eigenen Schwächen erkennen. Dabei stellte die Diseuse ein breites Bestiarium der menschlichen Eigenheiten vor, ehe ein Brand die düstersten Seiten der Erwachsenen zum Vorschein bringt. „Werd’ erst einmal erwachsen wie wir“, antwortet die Mutter auf die Fragen ihres Kindes, das verständnislos auf seinem Klappstuhl sitzen geblieben ist. Eine knappe, bitterböse Pointe zur dramatischen Eröffnung.

Im bunten Kaleidoskop der musikalischen Rundgangs durch die Nachbarschaft mit bezeichnenden Blicken in die Fenster ging es heiter bis hasslieblich zu, aber fein nuanciert und bis ins kleinste Detail ausdifferenziert. Begleiter Nikolai Orloff erwies sich dabei als kongenialer Partner, der mit ein paar subtilen Tangotakten das Titelstück einleitete und dem musikalischen Humor von Georg Kreislers Sympathiebezeugung für unorthodoxes Verhalten auf den Tasten klar zum Ausdruck brachte.

Absolut atemberaubend geriet die dynamische Steigerungskurve des Duos bei „Wie ein Mühlrad im Wind“, das als vermeintlich lyrische Perle begann, ehe erst kaum merklich, dann immer mächtiger die Energien der Naturgewalten in die Interpretation des Liedes hinein spielten. Die negative Gefühlskurve von der Schwärmerei für einen Seemann bis zum Umschlag in den Hass aus Enttäuschung über vergebliche Gefühle geriet zum großen Seelendrama.

Kontrastprogramm

Die Pantomime „Du schweigst“ über ein Paar, das beim Auspacken der Ikea-Möbel nicht so recht vorankommt, geriet zum gegenwartsnahen heiteren Kontrastprogramm nach so viel Leidenschaft. Überzeitlich komisch der anschließende Blick in den Spiegel als Auftakt zur Auseinandersetzung zwischen weiblichem Selbstbild und unpassendem Körper, die in der Feststellung „Ich bin weiblich, er ist männlich, was weiß ein Mann schon von der Frau?“ gipfelt.

Die finstere Flüsterpropaganda gegen die Hexe im Haus mit der Aufforderung zur Gewalt gegen die alte Außenseiterin sorgte dann noch einmal für Gänsehautstimmung bei den Zuhörern.

 

8.7.2016, Wahre Geschichten in Zahlen

Förderkreis der Vöhler Synagoge stellte „Auschwitz“-Broschüre vor – Auschwitzüberlebende zu Gast

Wahre Geschichten statt Zahlen

Vöhl. Am Sonntag ist Dagmar Lieblová in der Vöhler Synagoge zu Gast. Gleichzeitig stellt der Förderkreis der Vöhler Synagoge an diesem Tag eine neue Broschüre vor.

Rund 900 Kilometer liegt Auschwitz von Vöhl entfernt. „Aber das Unrecht geschah hier bei uns vor aller Augen“, sagt Ernst Klein, „hier begann es.“ Am Ende kostete es 155 Menschen aus Waldeck-Frankenberg das Leben. Insgesamt wurden Millionen Menschen in Auschwitz ermordet. „Unverständlich und auch unbegreiflich“, sagt Karl-Heinz Stadtler, „diese Zahlen können wir nicht fassen.“ „Um Demokratie kämpfen“ Und deshalb haben sich Vertreter aus einem Bündnis von Historikern und historisch Interessierten im Landkreis an einen Tisch gesetzt und recherchiert. Herausgekommen ist eine Broschüre über Auschwitz, die persönliche Schicksale in den Blick nimmt. Ernst Klein aus Volkmarsen hat ebenso mitgearbeitet wie Dr. Marion Lilientahl und Johannes Götecke aus Korbach, Karl-Heinz Stadtler vom Förderkreis hat Texte beigesteuert ebenso wie Carol Baird als Nachfahrin eines Zeitzeugen und Dr. Lukasz Martyniak vom Museum in Auschwitz.

Auschwitzüberlebende Dagmar Lieblová ist am Sonntag um 11 Uhr in der Vöhler Synagoge zu Gast. Sie wurde 1929 in Kutná Hora geboren. Im Juni 1942 deportieren die Nazis sie und ihre Familie in das Ghetto Theresienstadt. Bald wurden sie nach Auschwitz-Birkenau verlegt und im Theresienstädter Familienlager untergebracht. Dort ermordeten die Nazis ihre Eltern und ihre Schwester. Über viele andere Lager kam Dagmar Lieblová im März 1945 schließlich ins KZ Bergen-Belsen und wurde dort am 15. April 1945 von der britischen Armee befreit. Damals war Dagmar Lieblová gerade 15 Jahre alt. Zu dem kostenlosen Vortrag in der Synagoge sind alle Interessierten herzlich eingeladen. (resa)