Mittwoch, 14. September 2022, Waldeckische Landeszeitung / Lokales
Schrecken der NS-Zeit aufgezeigt
Landkulturboten stellen in der Vöhler Synagoge ihre Abschlussprojekte vor
VON BARBARA LIESE
Vöhl – „Wir sind legal bis zur letzten Galgensprosse, aber gehenkt wird doch.“ Mit diesem Zitat von Joseph Goebbels beendete Luisa Wilke ihre beeindruckende Projektpräsentation in der Synagoge in Vöhl. Sie ist eine der sechs Schülerinnen und Schülerinnen, die in diesem Jahr an dem Projekt Landkulturboten des Förderkreises Synagoge in Vöhl teilnahmen.
Nach einer Einführung in die Geschichte des Gebäudes, die Entwicklung jüdischen Lebens in der Gemeinde und das Verschwinden der jüdischen Familien übernahmen die jungen Landkulturboten während der Sommerferien die Führungen durch das Haus. Gleichzeitig arbeiteten sie jeweils an einem persönlichen Projekt zu einem Thema ihrer Wahl.
„Diese Gruppe war sehr engagiert und selbstständig“, freute sich der Vorsitzende des Förderkreise, Karl-Heinz Stadler. „Hier zu arbeiten ist eine besondere und anspruchsvolle Aufgabe. Ich konnte dieser Gruppe von Anfang an vertrauen. Das Interesse der Jugendlichen an den Themen, mit denen sie bei uns konfrontiert werden, und die Intensität, mit der sie an ihrem Projekt arbeiten ist bemerkenswert“, betonte er.
Luisa Wilke ist Schülerin der Alten Landesschule in Korbach. Mit großer Sorgfalt hatte sie ihren Vortrag zu dem komplexen Thema „Von der Diktatur zur Demokratie“ vorbereitet. Es gelang ihr, sachlich und wertfrei den gesetzlich legalen Weg Deutschlands von der Demokratie zur Diktatur nachzuzeichnen. Sie verzichtete auf Schuldzuweisungen und persönliche oder politische Botschaften. Gerade diese Neutralität ermöglichte einen freien Blick auf die Verantwortung jedes Einzelnen, auch in einer funktionierenden Demokratie wachsam zu sein.
Die folgenden Präsentationen thematisierten die Folgen des 30. Januar 1933. Sorgfältig recherchierte Fakten und Zusammenhänge standen auch hier im Vordergrund. Gerade das aber ließ die geschilderten Schrecken des Nationalsozialismus besonders klar erscheinen.
Mali Klöcker aus Marienhagen, berichtete von Kindern und Jugendlichen in den Konzentrationslagern. Neben nüchternen Zahlen hatte sie sehr emotionale Geschichten zu erzählen, von den Kindern, die sie die „vergessenen Kinder“ nannte.
Kimberley Simon ist schon zum zweiten Mal Landkulturbotin. Sie hat sich in ihrer Muttersprache in der Hauptsache um den Ausbau des englischen Teils des Internetauftritts gekümmert. Mit dem Thema „Judenverfolgung im Mittelalter“ gab sie außerdem einen geschichtlichen Überblick über die Zeit und die Verfolgungen, die die Juden vor allem im Zusammenhang mit anderen Religionen erleben mussten.
Cara Richter ist ebenfalls Schülerin der Alten Landesschule. „Das Sonderkommando von Auschwitz war die schrecklichste Aufgabe, die die SS einem Häftling zuteilen konnte“, erfuhr man in ihrem Vortrag. Die Häftlinge mussten die Krematorien des Vernichtungslagers bedienen, die Ermordeten aus den Gaskammern entfernen, sie berauben, verbrennen und am Ende beseitigen. Sie waren Opfer und Helfer zugleich; gehasst von beiden Seiten und immer selbst dem Tod geweiht.
Niko Sell aus Marienhagen ist ebenfalls zum zweiten Mal Landkulturbote in der Synagoge. Für sein Projekt „Polnische Zwangsarbeiter“ fand er mit dem sogenannten „Polenkreuz“ bei einem Waldstück „Am Knapp“ in Herzhausen einen direkten regionalen Bezug.
Dort wo heute das Gedenkkreuz steht, jährt sich in diesem Jahr zum achtzigsten Mal der Tag der Ermordung von sechs polnischen Zwangsarbeitern. „Für den 19. Dezember, dem Todestag, haben wir wieder eine Gedenkfeier geplant, Nikos Arbeit wird dabei sicher eine große Rolle spielen“, kündigte Karl Heinz Stadtler an.
Lena Sell konnte das große Thema „Arisierung und Restitution“ in ihrem Heimatort Marienhagen nachempfinden. Die „Arisierung“ und Enteignung jüdischen Eigentums war ein sehr ein komplexer politischer und gesellschaftlicher Prozess mit vielen Beteiligten. Der Weg zu einer Wiedergutmachung nach dem Zweiten Weltkrieg war langwierig und kompliziert. Auch in Marienhagen fiel die Anerkennung und Unterstützung der Betreffenden den Behörden schwer.
synagoge-voehl.de
Es ist Freitagabend, kurz vor Sonnenuntergang. Zwischen all den Informationen der Präsentationen und Gefühlen, die mit den Erinnerungen auflebten, überraschte Sarah Küpfer in der Vöhler Synagoge mit einem weiß gedeckten Tisch. Auf ihm stehen zwei Kerzen, Wein und Brot bereit für den Kiddusch, dem Segensspruch über Wein und Brot. Sie spricht für alle den Segen, der den Sabbat, den Ruhetag im Judentum, einläutet. bl