Kor­bach/Vöhl – Der da­mals 18-jäh­ri­ge Le­on Wein­traub wur­de mit ei­nem der letz­ten Trans­por­te von Lodz nach Ausch­witz ge­bracht und über­leb­te – mit Glück und auf­grund ei­ner ge­wis­sen Chuz­pe. Heu­te wird Wein­traub in den Be­ruf­li­chen Schu­len in Kor­bach und am mor­gi­gen Frei­tag in der ehe­ma­li­gen Syn­ago­ge Vöhl über sein Le­ben be­rich­ten.

15 Jü­din­nen und Ju­den aus Wal­deck und Fran­ken­berg wur­den im Ok­to­ber 1941 in das Ghet­to Lodz de­por­tiert. Am 20. Ok­to­ber fuhr ein Zug mit mehr als 1100 Ju­den von Frank­furt in den Os­ten. In ihm sa­ßen auch Emil Isaak und sei­ne aus Bad Wil­dun­gen stam­men­de Frau Sa­bi­na, ei­ne ge­bo­re­ne Flörs­heim, sie hat­ten in Lich ge­wohnt. Ob sie in Lodz, in Chelm­no oder in Ausch­witz star­ben, ist un­be­kannt. Leo Neu­hof und sei­ne Frau Ro­sa, geb. Lö­wens­tern, aus Hö­ring­hau­sen stam­mend, wohn­ten in Schlüch­tern. Für Ro­sa nennt das Ge­denk­buch des Bun­des­ar­chivs Lodz als To­des­ort, ein Da­tum ist nicht ver­merkt. Für Ehe­mann Leo gibt es kei­nen Hin­weis, wo er starb. Ju­li­us Flörs­heim, frü­her in Vöhl Leh­rer an der jü­di­schen Schu­le, kam zu­sam­men mit sei­ner Frau Jen­ny und Sohn Kurt im Frank­fur­ter Zug nach Lodz. Sie wur­den in ei­ner ehe­ma­li­gen Schu­le un­ter­ge­bracht, wo Ju­li­us nach Aus­kunft ei­nes Über­le­ben­den be­reits An­fang 1942 an Ent­kräf­tung starb.

Der­sel­be Zeu­ge will Kurt Flörs­heim im Au­gust 1944 in Ausch­witz ge­trof­fen ha­ben. Das Ge­denk­buch des Bun­des­ar­chivs teilt mit, dass Kurt Flörs­heim am 10. Ju­li 1944 in Chelm­no ge­tö­tet wur­de.

Am 22. Ok­to­ber fuhr ein Zug mit 1018 Jü­din­nen und Ju­den von Köln aus nach Lodz. Im Zug saß Jo­han­na Blu­men­thal, die aus Ro­sen­thal stamm­te. Sie starb am 10. April 1942 in Lodz. Drei Ta­ge spä­ter, am 25. Ok­to­ber, star­te­te ein Zug mit 1034 Ju­den von Ham­burg in den War­the­gau. In ihm saß El­se Daltrop, geb. Ba­ruch, aus Volk­mar­sen. Wann und wo sie starb, ist un­be­kannt.

Wei­te­re zwei Ta­ge spä­ter wur­den 1011 Ju­den von Düs­sel­dorf ab­trans­por­tiert. In ihm sa­ßen die aus Adorf stam­men­den Lou­is und Kla­ra Kann, geb. Wei­ler. Sie starb am 11. Mai 1942 in ei­nem Gas­wa­gen im Ver­nich­tungs­la­ger Chelm­no. Für Lou­is ver­merkt das Ge­denk­buch des Bun­des­ar­chivs, er sei im Sep­tem­ber 1942 in Chelm­no er­mor­det wor­den.

Ein letz­ter Zug mit Ju­den aus un­se­rer Re­gi­on fuhr am 30. Ok­to­ber 1941 mit 973 oder 1011 Ju­den (die Quel­len wi­der­spre­chen sich) von Köln nach Lodz. In ihm sa­ßen die aus Arol­sen stam­men­de Gre­te Lö­wen­stein, geb. Ro­sen­thal, so­wie Er­nes­ti­ne, Her­mann und Il­se Schwe­rin aus Men­ge­ring­hau­sen. Gre­te Lö­wen­stein starb wohl im Mai 1942 in Chelm­no, Er­nes­ti­ne Schwe­rin, geb. Rapp, und Toch­ter Il­se im Ju­li 1944 in ei­nem Gas­wa­gen in Chelm­no, Her­mann Schwe­rin am 4. Ju­ni 1942 in Lodz.

Nach­dem die Wehr­macht am 1. Sep­tem­ber 1939 Po­len über­fal­len hat­te, ge­riet die jü­di­sche Be­völ­ke­rung ins Vi­sier. Über das gan­ze Land ver­teilt leb­ten et­wa 3,3 Mil­lio­nen Ju­den. In den gro­ßen Städ­ten wur­den Ghet­tos ein­ge­rich­tet, in de­nen die Ju­den kon­zen­triert wur­den.

Wie im Deut­schen Reich gab es auch in Po­len über­all dort, wo vie­le Ju­den leb­ten, ei­nen „Ju­den­rat“ oder ei­nen Vor­stand der jü­di­schen Ge­mein­den. Die Deut­schen nutz­ten die­se Gre­mi­en zur Durch­set­zung ih­rer Be­feh­le und Maß­nah­men. Am 13. Ok­to­ber er­nann­ten sie Mor­de­chai Chaim Rum­kow­ski zum „Ju­den­äl­tes­ten“. Die an­de­ren Mit­glie­der des Äl­tes­ten­ra­tes wur­den in den nächs­ten Wo­chen ver­haf­tet und er­mor­det.

Am 8. Fe­bru­ar 1940 be­fahl Po­li­zei­prä­si­dent Schä­fer die Ein­rich­tung ei­nes Ghet­tos und den Um­zug der Ju­den dort­hin. Der auf deut­schen Be­fehl ge­grün­de­te jü­di­sche Ord­nungs­dienst as­sis­tier­te der deut­schen Po­li­zei bei der Um­set­zung. Hun­der­te Ju­den wur­den in die­sem Zu­sam­men­hang ge­tö­tet. Am 10. Mai war das Ghet­to voll­stän­dig ab­ge­rie­gelt. Über 160 000 Ju­den leb­ten hier.

Zur „Ger­ma­ni­sie­rung“ des War­the­g­aus ge­hör­te die Um­be­nen­nung der bis­her west­pol­ni­schen Städ­te. Lodz wur­de in „Litz­mann­stadt“ um­be­nannt, wo­mit der ver­stor­be­ne NS-Funk­tio­när Karl Litz­mann ge­ehrt wer­den soll­te. Das Dorf Chelm­no er­hielt den Na­men „Kulm­hof“.

Chelmno: Ermordung im Lastwagen

Ziel der nationalsozialistischen Rassenpolitik war die Vernichtung der Juden. Weil in keinem Land Europas mehr Juden als in Polen lebten, haben die Nationalsozialisten dort ihre Vernichtungslager eingerichtet. Sie entstanden in relativer Nähe zu den Ballungszentren. Das letzte dieser Lager war Treblinka, rund 100 Kilometer nördlich von Warschau. Im östlichen Polen, nahe den Großstädten Lublin, Lemberg (heute Lwow in der Ukraine) und Bialystok wurden gleich zwei dieser Lager, Belzec und Sobibor, 1942 in Betrieb genommen. Auch Auschwitz lag damals im Einzugsbereich vieler Großstädte. Wichtig neben der Zahl der Juden in der Nähe war die Bahnanbindung. Sowohl für den Inlands- wie auch für den Auslandsanschluss waren Bahnlinien wichtig.

Das erste dieser Vernichtungslager allerdings war in Chelmno, etwa 100 Kilometer nordwestlich von Lodz. Im Dezember 1941 begann die Vernichtung dort. Der Tötungsvorgang war anders als in den anderen Lagern: In einem ehemaligen Herrenhaus wurden die Juden aus den umliegenden Dörfern und Städten in den Keller geführt; sie mussten sich entkleiden und sollten über einen langen Flur zur Reinigung und Desinfizierung unter die Dusche gehen. Am Ende des Flurs allerdings war keine Dusche, sondern eine Treppe, die in einen Lastwagen führte. Wenn die Ladefläche voll war, wurde die Tür des luftundurchlässigen Fahrzeugs geschlossen, der Fahrer kroch unter den Wagen und schloss einen Schlauch vom Auspuff an eine Öffnung an, die direkt in den Wagen führte. Er ließ den Motor an und tötete so die Insassen des Wagens. Dann fuhr er den Lkw in einen nahe gelegenen Wald, wo Arbeitsjuden die Leichen aus dem Wagen holten und in ein vorbereitetes Massengrab warfen.  red