Montag, 03. Juli 2023, Waldeckische Landeszeitung / Lokales
Gestapo hörte Predigten mit
Förderkreis Synagoge Vöhl erinnert an Pfarrer der „Bekennenden Kirche“
Vöhl – In der letzten Bank der Vöhler Kirche saßen sonntags zwei Männer der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), die sich bei der Predigt von Pfarrer Lic. Ferdinand Hoffmann Notizen machten. Es folgten Verhöre im Pfarrhaus. Eine Verhaftung vor einem Gottesdienst scheiterte, weil sich sogar NSDAP-angehörige Vöhler Gemeindemitglieder ultimativ schützend vor ihren Pfarrer stellten. Hoffmann, von 1938 bis 1967 Kreispfarrer und Dekan, wirkte von Beginn an als Obmann der 15 Pfarrer, die sich im evangelischen Kirchenkreis Frankenberg im Herbst 1933 zur „Bekennenden Kirche“ zählten und damit einen entschiedenen Gegenkurs zu Hitlers „Deutschen Christen“ steuerten.
Bei einem Vortragsabend mit vielen Bildern und Zeitzeugenberichten wurden in der ehemaligen Vöhler Synagoge jetzt Schicksale von diesen „Pfarrern im Widerstand“ sichtbar, ein Thema, das bisher noch wenig in den Blickpunkt der Forschungen zur NS-Zeit in der Waldeck-Frankenberger Region gelangt sei, wie Karl-Heinz Stadtler als Vorsitzender des Förderkreises Synagoge in Vöhl zu Beginn erklärte.
Karl-Hermann Völker (Wiesenfeld), selbst aufgewachsen im Pfarrhaus von Viermünden, wo er als Kind auf dem Dachboden noch die Hakenkreuzfahne des einzigen NS-linientreuen Pfarrers gefunden hatte, und Friedrich Hoffmann (Herzhausen), Sohn des Vöhler Obmannes der Bekennenden Kirche, beschrieben bei der Veranstaltung in der Vöhler Synagoge eindrucksvoll die spannungsvolle Situation am Beispiel konkreter Pfarrerbiografien.
Mit großer Begeisterung waren noch am 1. Mai 1933 im Kreis Frankenberg auch Pfarrer und Lehrer der „nationalen Erhebung“ gefolgt, bei der der sich anfangs noch besonders fromm gebende Demagoge Adolf Hitler die Kirche als „wichtigsten Faktor zur Erhaltung unseres Volkstums“ umworben hatte.
Bernhard von Haller (1874-1954), von den Nazis 1934 amtsenthobener Oberkirchenrat, stellte in Bezug auf das später von ihm betreute Waldeck sehr deutlich fest: „Die Kirche hat bei uns zu ihrem Teil mit dazu geholfen, den Boden zu bereiten, in dem die Saat des Nationalsozialismus aufgehen konnte. Auch lange vor der Machtergreifung der NSDAP ist vom Landeskirchenamt bei jeder Gelegenheit die Wichtigkeit der Pflege guter Beziehungen zu ihr betont worden.“
Spätestens seit dem „Sportpalastskandal“ vom 13. November 1933, als 20 000 „Deutsche Christen“ offen ihren Antisemitismus bekannten und die Befreiung vom Alten Testament mit seiner „jüdischen Lohnmoral, von diesen Viehhändler- und Zuhältergeschichten“ forderten, war für Kirchenmitglieder klar, welchen Kurs diese abgespaltene Kirchenversion Hitlers steuerte.
Karl-Hermann Völker beschrieb, wie sich auch anfänglich noch NS-begeisterte Pfarrer dem „Bruderrat“ und „Pfarrernotbund“ der Bekennenden Kirche anschlossen. Als Beispiele nannte er Georg Baltz (Bottendorf) oder Wilhelm Möller (Löhlbach), schilderte dann die Ausschreitungen der Nazis gegen Pfarrer Gustav Hammann sen. in Löhlbach oder Theodor Dannert in Haina. Einer der Haupträdelsführer war bei den Überfällen auf das Löhlbacher Pfarrhaus SS-Hauptsturmführer Gottfried Hartmann, ab 1952 bis 1964 problemlos wieder Bürgermeister von Haina.
Friedrich Hoffmann und Karl-Hermann Völker gedachten am Ende des Abends der mutig bekennenden Pfarrer wie Ferdinand Hoffmann oder Heinrich Balzer (Frankenberg) sowie des aus Bottendorf stammenden Lehrers Georg Maus, der am 15. Februar 1945 als Märtyrer umkam und im KZ Flossenbürg seine letzte Ruhestätte fand. zve