Vortrag: Die ehemalige Synagoge Vöhl

Unscheinbares renoviertes Fachwerkhaus mit grünen GebälkFoto: Kurt-Willi Julius

Die Synagoge in Vöhl
von Karl-Heinz Stadtler 2002

INHALT
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Der Förderkreis "Synagoge in Vöhl" und das Gebäude
Vorstellung des Gebäudes
- Das Äußere des Hauses
- Ehemaliger Sakralraum
- Die anderen Räume des Gebäudes
Zur Geschichte des Gebäudes
- Bau der Schule 1827
- Warum eine jüdische Schule?
- Weihe der Synagoge 1829
- Die Finanzierung der Synagoge
- Warum wurden Schule und Synagoge 1827/29 gebaut?
- Der Unterricht in der jüdischen Schule
- Große Reparatur 1846
- Vermögen der jüdischen Gemeinde
- Spätere Bewohner des Gebäudes
Was ist eine Synagoge?
Geschichte und Bedeutung der Juden in Vöhl, Basdorf und Marienhagen
- Ersterwähnung eines Vöhler Juden 1682
- Häuserverzeichnis von 1705
- Entwicklung im 19. Jahrhundert
- Das Dritte Reich
Was soll aus dem Gebäude werden?
Bitte um Unterstützung und Hilfe

Die einzelnen Gliederungspunkte erreichen sie nach drücken des Buttons:
Fortsetzung

Der Förderkreis "Synagoge in Vöhl" und das Gebäude

Natürlich wussten Vöhler Einheimische, dass sich in ihrem Dorf die alte jüdische Synagoge befand. Und unter Kommunalpolitikern aus Vöhl und Vorstandsmitgliedern des Geschichtsvereins Itter-Hessenstein sprach man auch darüber, dass dieses Gebäude, wenn es denn einmal verkauft wird, in öffentlichen Besitz übergehen müsse, um dieses herausragende Kulturdenkmal für die Gemeinschaft zu bewahren. Es war bekannt, das der Sakralraum einigermaßen erhalten, die Empore recht stabil und die Deckenkuppel noch sehr ansehnlich war. Erst im Zusammenhang mit der Errichtung des Denksteins für die in den Kriegsjahren ermordeten Juden und der Entscheidung über den richtigen Platz für diesen Stein war Mitte der 90er Jahre immer wieder über dieses Gebäude gesprochen worden. Und Karl-Hermann Völker, renommiertester Heimathistoriker der Region, hatte sogar Ende der 90er Jahre noch im Rahmen eines Diavortrags das Innere der alten Synagoge vorgestellt. Doch es befand sich in Privatbesitz, und man wollte der alten Frau Marie Röhling, die dort seit einigen Jahren allein wohnte, keine Schwierigkeiten machen. Also wurde der Denkstein am Ortsausgang in der Arolser Straße errichtet.

Nachdem die Bewohnerin das Haus aus gesundheitlichen Gründen verlassen musste, wandten sich deren Angehörige Ende Mai 1999 an den Geschichtsverein Itter-Hessenstein mit dem Wunsch, das Haus zu verkaufen. Vöhls Bürgermeister wurde sofort in Kenntnis gesetzt. Es wurde ihm vorgeschlagen, dass die Gemeinde das Gebäude kauft und der Geschichtsverein mit Hilfe von Spenden und Eigenleistung die Restaurierung in die Wege leitet. Im Juli wurde eine Vereinbarung zwischen dem Gemeinde Vorstand und den Angehörigen der Besitzerin abgeschlossen, der die Gemeinde ermächtigte, die Bausubstanz überprüfen zu lassen, um die Restaurierungskosten ermitteln zu können. Das Amt für Denkmalpflege in Marburg wurde eingeschaltet, das seinerseits das "Deutsche Zentrum für Handwerk und Denkmalpflege – Probstei Johannesberg, Fulda e.V." mit der Feststellung eventueller Restaurierungskosten beauftragte. Diese Prüfarbeiten wurden im August vorgenommen, das Ergebnis im September vorgelegt. Zwar gab es einen sehr ausführlichen Prüfbericht, eine Kostenangabe allerdings nur zu den unbedingt notwendigen Sofortmaßnahmen vorgelegt (15 000 DM). Das Amt für Denkmalpflege sagte zu, die Sofortmaßnahmen zu finanzieren, die Kosten für einen Architekten zu übernehmen und sich in den folgenden Jahren in nicht bezifferter Höhe an den Restaurierungskosten zu beteiligen.

Als die Gemeindevertretung Vöhls im Oktober über den Erwerb des Gebäudes zu entscheiden hatte, war ihr die zukünftige Kostenentwicklung zu ungewiss. Sie entschied gegen einen Kauf, erklärte sich jedoch bereit, einem noch zu gründenden Förderverein 40 000 DM für den Erwerb des Gebäudes zur Verfügung zu stellen.

Der Geschichtsverein Itter-Hessenstein, dessen Vorstand sich bereits vorher entschieden hatte, das Gebäude nicht zu erwerben, und zahlreiche weitere interessierte Bürger aus der Gemeinde hatten im Vorfeld der erwähnten Sitzung der Gemeindevertretung die Unterschriften von 171 Personen gesammelt, die die Gemeinde aufforderten, die alte Synagoge zu erwerben. Nach dem negativen Votum des Parlaments fand am 31. Oktober ein Treffen der Initiatoren im Gemeindehaus der Evangelischen Kirche statt, auf der die Gründung eines Förderkreises "Synagoge in Vöhl" verabredet und vorbereitet wurde.

Der Förderkreis wurde am 9. November 1999, dem 61. Jahrestag der Pogromnacht, in der Henkelhalle in Vöhl gegründet. 74 Personen traten ihm am Gründungstag bei.

Noch im November wurde der Kaufvertrag für die alte Synagoge unterzeichnet, im Februar 2000 wurde der Förderkreis dann endgültig Eigentümer des Gebäudes.

Vorstellung des Gebäudes

Das Äußere des Hauses

Man sieht es dem alten und unscheinbaren Fachwerkgebäude von außen nicht an, was sich hinter den Mauern verbirgt. Als Oberkonservator Professor Neumann vom Landesamt für Denkmalpflege dieses Haus zum ersten Mal sah, meinte er, es verstecke sich zwischen den anderen Häusern; diese Formulierung wird schon ihre Berechtigung auch aus der Geschichte heraus haben.

Das zweigeschossige Fachwerkhaus ist 15,15 m lang und 9,32 m breit und mit einem Satteldach versehen. Die Fachwerkkonstruktion besteht aus Eichenholz und ist sehr einfach gehalten. Die Sockel bestehen zum Teil aus verputztem Bruchsteinmauerwerk bzw. – vielleicht aber auch als Folge von Umbauarbeiten – aus Schichtmauerwerk. Zum Teil wurde für die Gefache Strohlehm, zum anderen Teil Ziegel- oder Bimssteine benutzt.

Dass es sich um ein besonderes Gebäude, nämlich um eine Synagoge handelt, war auch vor 1938 nur an drei Elementen erkennbar: Die Balkeninschrift zwischen den Geschossen verriet, dass es als eine "Sinego" gebaut worden war; ebenfalls zur Straßenseite hin hieß es auf einer Tafel im Bereich des Sockels "Zur Ehre Gottes und würdigen Andenkens 1827-28", und in der von der Straße aus kaum sichtbaren Firstwand auf südöstlicher Seite befand sich ein rundes Fenster mit Davidstern.

Ehemaliger Sakralraum

Im Sakralraum feierten zwischen 1829 und 1938 die Juden aus Vöhl, Marienhagen und Basdorf ihre Gottesdienste. Er hat ungefähr quadratischen Grundriss bei einer Fläche von ca 80 qm. Der Raum wirkt - wenn man von der Decke absieht - sehr schmucklos, dies gilt auch für die Zeit vor 1938. Synagogen kennen allenfalls ornamentalen Schmuck; der Sakralraum war auch früher nur weiß verputzt. Aller Schmuck sollte sich auf das konzentrieren, was heute nicht mehr da ist, das Wichtigste: den Thoraschrein mit der Thora.

An der Südostwand, die die Richtung nach Jerusalem und dem vor 2000 Jahren dort befindlichen Tempel andeutet, sehen wir in der Mitte - etwas dunkler vom umgebenden Putz abgesetzt - den Platz, an dem der Thoraschrein vorher stand. Zum Vöhler Thoraschrein ging man, wie wir von einem um 1933 entstandenen Foto wissen, zwei oder drei Stufen hinauf, die beidseitig mit einem hölzernen Geländer versehen waren. Dieses Geländer bestand im unteren Bereich aus vertikalen Stäben, im oberen Viertel befand sich ein durchlaufendes geschnitztes Ornament, wohl mit einem Weinrankenmotiv. Auf den zum Sakralraum weisenden Endpfosten des Geländers lag je ein geschnitzter Unterarm, in dessen Hand sich Halter für je eine Kerze (um 1933 bereits durch eine kerzenförmige Glühbirne ersetzt) befand.

Der Thoraschrein ist einem Schrank vergleichbar. In Vöhl war er weiß. Das dreieckige Dach zeigte vorn einen halbkreisförmigen 9-strahligen hellen Strahlenkranz auf dunklem Hintergrund.

Vor dem Schrein ist in aller Regel keine Tür, sondern ein Vorhang, häufig kunstvoll bestickt, um auch dadurch zu zeigen, dass sich dahinter das Allerheiligste verbirgt: die Thora. Auf den weinroten Samtvorhang der Vöhler Synagoge waren - wie bei vielen anderen Synagogen auch - die zwei Gesetzestafeln aufgestickt, die Moses von Gott auf dem Sinai empfangen und dem Volk Israel gebracht hat. Aufgrund des Berichts früher in Vöhl lebender Juden vermuten wir, dass auch zwei goldene Löwen den Vorhang schmückten.

Die Thora beinhaltet die fünf Bücher Moses, die wir aus dem Alten Testament kennen. Der Kern sind die "Zehn Gebote", ergänzt um die Geschichte der Erzväter und weitere 603 Pflichten, die Juden einhalten sollen.

Die Thora ist nun kein Buch, wie wir es kennen, sondern besteht aus Rollen aus gegerbtem oder pergamentenem Leder. Die einzelnen Lederstücke sind mit Sehnen zusammengenäht; die äußersten Lederseiten wiederum werden an kunstvoll gedrechselten bzw. verzierten Holzstöcken befestigt, mit deren Hilfe die Rolle an einer bestimmten Textstelle "aufgeschlagen" oder eben "gerollt" werden kann. Die heiligen Texte werden mit einem Schreibrohr oder - in Europa - mit einem Gänsekiel geschrieben. Man benutzt dazu eine besonders haltbare Tusche. Die Thora muss mit größter Sorgfalt und Konzentration geschrieben werden, weil Fehler zur Unbrauchbarkeit führen können. Neben ihrer religiösen Bedeutung macht diese Notwendigkeit zur Sorgfalt die Thora sehr wertvoll. Thorarollen sind mit kostbar verzierten "Mänteln" bekleidet, mit Schildern aus Silber oder anderen Metallen versehen; am oberen Ende befinden sich entweder eine Krone oder zwei kleine "Rimonim" (Granatäpfel). Reichere Gemeinden können mehrere Rollen besitzen. Für das Purim-Fest wird darüber hinaus eine weitere Rolle mit dem Buch Esther benötigt. Diese Esther-Rolle ist meist an nur einem Holzstab befestigt.

Vor dem Thoraschrein ist das "ewige Licht" – oft von der Decke herunter hängend -, daneben der achtarmige Chanukka-Leuchter, acht Arme für die acht Tage des meist im Dezember stattfindenden Lichterfestes, der mittlere neunte Arm trägt den "Diener", mit dessen Hilfe die anderen Kerzen entzündet werden. Einen kleinen Chanukka-Leuchter bekamen wir anlässlich des entsprechenden Festes Anfang Dezember 1999 geschenkt.

Ebenfalls vorhanden sind üblicherweise in Synagogen ein Podest für die Thoralesung ("bima" oder "almenor") und das Lesepult des Vorbeters. Die im breiten Mittelgang stehende Bima kann man auf dem Bild nur teilweise erkennen. Es handelte sich um ein Podest, das man über eine Stufe von den beiden Bankseiten aus betreten konnte Zum Thoraschrein hin hatte die Bima ein schräg gestelltes Pult für die Thorarolle. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bima befand sich eine Sitzbank, die die Wimpel zum Umwickeln der Thorarolle enthielt. Das Lesepult ist auf dem in unserem Besitz befindlichen Bild gut zu erkennen und einem heutigen Rednerpult durchaus vergleichbar.

Die weißen Holzbänke der Männer standen in je fünf Reihen auf der Straßen – und auf der Gartenseite der Synagoge. Sie mögen insgesamt 50 bis 60 Personen Platz geboten haben. Über der Rückenlehne jeder Bank befand sich, ähnlich wie in vielen christlichen Gotteshäusern, eine schräg gestellte Ablage für die in der nächsten Bankreihe Sitzenden.

Männer und Frauen saßen und sitzen in Synagogen getrennt, wenn man von wenigen Ausnahmen absieht. Diese Trennung kann auf verschiedene Weise geschehen. Manchmal sitzen die Frauen hinter den Männern, von ihnen durch einen Vorhang getrennt; in manchen Gemeinden sitzen die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite. In orthodoxen Gemeinden wird diese Regel strenger angewendet als in liberaleren Gemeinden. In Deutschland saßen die Frauen meist - wie hier bei uns in Vöhl - auf einer rundum verlaufenden Empore und schauten dem Gottesdienst von oben zu, (fast) ungesehen von den Männern. Die Emporenplätze für die Frauen in der Vöhler Synagoge sind nummeriert; die Nummern befinden sich an der Lamperie, die oberhalb der Stehplätze verläuft. Im 19. Jahrhundert befand sich zwischen der Brüstung der Empore und der Lamperie wahrscheinlich ein rautenförmiges Gitter aus schmalen Lattenstreifen, das den Einblick für die Männer zusätzlich erschweren sollte. Ein solches Gitter wurde auf dem Dachboden der Synagoge gefunden. Es passt genau zwischen Brüstung und Lamperie, und auf der Brüstung sind die Reste von metallenen Halterungen für die Gitter noch erkennbar.

Besonders eindrucksvoll in der Vöhler Synagoge ist die kuppelförmige Decke, die sich wie ein Himmel über diesen Raum wölbt: hellblau gestrichen und mit unzähligen goldenen Sternen versehen, mit der Sonne im Zentrum. Es ist erstaunlich, wie gut diese Decke ihre Farben behalten hat, angesichts jener 60, wahrscheinlich eher 70 Jahre, in denen dieser Raum nun nicht mehr als ein Ort des Gebets und der Andacht genutzt wird.

Ausgeleuchtet wurde der Raum durch drei Kronleuchter, einen großen, dessen Halterung wir in der Mitte des Raumes sehen, und zwei kleinere, die an dem Metallband befestigt waren, das vor der Thorawand verläuft. Die Leuchter sind nicht mehr vorhanden. Der große wurde erst Anfang der 70er Jahre verkauft. Der damalige Besitzer des Gebäudes kann sich an den Namen des Käufers nicht mehr erinnern; er weiß nur noch, dass er in der Nähe von Kassel wohnte.

Einen der kleineren Leuchter kann man auf der mehrmals erwähnten Fotografie erkennen, allerdings auch nur sehr ungenau. Nach dem Bild und den uns vorliegenden Beschreibungen könnten alle drei aus Holz gewesen sein und sieben kreisförmig angeordnete Arme mit nach oben ragenden Kerzenbirnen gehabt haben.

In einem Bericht des Amtes für Denkmalpflege vom November 1929 ist von "völlig ungenügenden" Leuchtern die Rede, die "am besten durch schlichte Holzkronen in Ringform, die man weiß, mit feinem Goldrande abgesetzt, streichen und mit Kugelbirnen beschicken würde" zu ersetzen seien.

Die Fenstergläser der Vöhler Synagoge waren undurchsichtig, was gegen die Blicke ungebetener Neugieriger schützen sollte. In anderen Synagogen behalf man sich meist, indem man die Fenster oberhalb der Kopfhöhe anbrachte. Der Vöhler Sakralraum war recht gut ausgeleuchtet: in Erdgeschosshöhe gibt es je 3 Fenster zu Straßen- und Gartenseite; im Bereich des Obergeschosses weisen sogar je vier Fenster zu diesen Seiten, und es gibt zusätzlich zwei Fenster auf der Südostseite.

In der Mitte zwischen diesen letztgenannten Fenstern - genau über dem Thoraschrein – war bei Übernahme des Gebäudes durch den Förderkreis von innen wie von außen zu erkennen, dass dort früher ein weiteres rundes Fenster war, das man nach 1938 zugemauert hat. Ältere Vöhler erinnerten sich an einen Davidstern in jenem runden Fenster. Im Januar 2001 ließ der Förderkreis auf Grundlage einer Zeichnung von Dr. Thea Altaras, der Verfasserin eines Grundlagenwerkes über hessische Landsynagogen, wieder ein solches Fenster einbauen.

Wie ein Verschlag in den Raum hineingebaut wurde in den 70er Jahren eine Speisekammer und eine Toilette. Beschädigt wurde bei diesem nachträglichen Einbau wohl nichts; auch die Säulen der Empore sind in diesem Bereich noch erhalten. So bereitete es auch kein Problem, diesen Verschlag im Mai 2002 wieder zu entfernen.

Der Fußboden ist, soweit wir das wissen können, in seinem ursprünglichen Zustand. Die eine oder andere Unebenheit wird schon vor 1938 vorhanden gewesen sein. Wahrscheinlich sind einige Absenkungen in der Zeit entstanden, als dieser Raum Baustofflager war und sehr großes Gewicht auf den Steinen lastete.

Die anderen Räume des Gebäudes

Im Erdgeschoss gibt es außer dem Flur noch zwei Räume von je ca 20 qm. Der Raum gegenüber vom Hauseingang wurde wahrscheinlich zu allen Zeiten als Wohnküche benutzt; der vordere Raum mag in den ersten Jahrzehnten wie auch in den letzten 25 Jahren als "gute Stube" gedient haben; zwischendurch war er Schusterwerkstatt, zeitweise auch Laden.

Im 1. Stock befanden sich zur Zeit des Erwerbs durch den Förderkreis drei Räume. Zur Straße hin ist der Raum so groß wie der darunter liegende; zur Gartenseite gab es einen sehr kleinen und einen mittelgroßen Raum. Beim Entfernen alter Tapeten wurde deutlich, dass diese beiden letzteren Räume vorher durch einen fast zimmerbreiten Durchgang mit Rundbogen verbunden waren. Wahrscheinlich ist der Durchgang erst während oder nach dem Krieg geschlossen worden. Für die anfängliche Vermutung, dass sich hier eine beheizbare Wintersynagoge befand, gibt es bisher keine weiteren Anhaltspunkte. Zumindest im 20. Jahrhundert ist dieser Raum wie auch der benachbarte zum Schlafen benutzt worden. Insgesamt bieten die Wohnräume eine Fläche von ca 80 qm.

Über den Zimmern befindet sich ein nicht ausgebauter Dachboden. Von diesem Dachboden aus kann man durch eine Luke auch über den Sakralraum gelangen, kann allerdings nur tief gebückt außen um die Kuppel herum gehen.

Auf dem Dachboden fand Jürgen Evers, Mitglied des Förderkreises, Ende Februar 2000 zwischen dort lagernden Dachpfannen und der Kuppeldecke der Synagoge einige alte religiöse Schriften, die zu Gottesdiensten genutzt wurden. Im einzelnen handelt es sich um

• ein "Sidur", der die täglich, ab Schabbat oder an Festtagen zu lesenden Gebete regelt;

• Kapitel aus den Büchern der Propheten, die nach der Thoralesung vorzutragen sind;

• eine Sammlung von 54 Abschnitten (Paraschot) aus der Thora, die ganz bestimmten Wochen zugeordnet sind und übers Jahr hinweg entsprechend gelesen werden;

• eine kleine Zeitschrift, mit deren Hilfe sich angehende Rabbiner und Prediger auf ihre Tätigkeit vorbereiten.

Die Wohnräume sind unterkellert, Flur und Sakralraum nicht. Der Keller ist nur von außen begehbar und ist wohl als Stall für Schafe oder Ziegen gebaut worden. Darüber hinaus könnte er als Vorratsraum für Kartoffeln oder Brennstoffe gedient haben.

Zur Geschichte des Gebäudes

Bau der Schule 1827

Die Synagoge wurde 1827 erstmals in den vorliegenden Unterlagen erwähnt. Planungsaufzeichnungen aus den Jahren oder auch nur Monaten vorher sind unbekannt. Vorerst wurde sie allerdings wohl nur als Schule benutzt. Dass das Gebäude von Anfang an als Synagoge vorgesehen war, geht aus dem Spruch hervor, der in den Balken über dem Erdgeschoß geschnitzt ist:

„Im Jar 1827 den 17. Juli wurde diese Sinego durch Hülf und Macht durch den Schreinermeister Hillemann von Kirchlotheim und Heinrich Lai mit seinen Gesellen glücklich in Stant gebracht. Gott segne diesen Bau und alle, die gehen ein und aus”.

Für das Jahr 1827 nennen die Unterlagen sieben Personen, die den Vorstand der israelitischen Religionsgemeinschaft bildeten: Joseph Blum, Bär Katzenstein, Joseph Kugelmann, Meyer Mildenberg, Ascher ...... ? Rothschild, Selig Rothschild, Selig Stern. (Bei Ascher Rothschild ist der zweite Vorname unleserlich.) Diese große Zahl von Vorstandsmitgliedern ist durchaus ungewöhnlich; in der Regel bildeten zwei oder drei Personen den Vorstand.

Wegen der Finanzierung der Schule gab es Streit, der vor dem Gericht in Vöhl ausgetragen wurde. Die Vöhler Judenschaft verklagte die Glaubensgenossen in Basdorf und Marienhagen, weil diese zugesagte Beiträge zum Bau der Schule nicht entrichteten. Vor Gericht erschienen nur die Beklagten aus Basdorf, die frühere Zusagen nicht bestreiten, sich aber nun nicht daran halten wollten. David Külsheimer beispielsweise erklärte, dass es inzwischen in Basdorf so viele Juden gebe, dass man über eine eigene Schule nachdenke; Feisth Keyser meinte, daß er als alter Mann die Schule sowieso nicht benützen könne, und er habe sich auch vorher zu nichts verpflichtet; Israel Löwenstern rechtfertigte sich ebenso wie der erwähnte Külsheimer, dass man sich an Zusagen deshalb nicht gebunden fühle, weil auch der Vöhler Ascher Rothschild nicht die versprochenen 250, sondern nur 200 Gulden gezahlt habe.

Deutlich wird jedenfalls, daß die jüdische Religionsgemeinde den Bau selbst und allein zu finanzieren hatte.

Warum eine jüdische Schule?

Heutige Zeitgenossen mögen sich fragen, wieso es damals eine jüdische Schule gab. Heute gibt es ja schließlich auch keine Schulen der einen oder anderen religiösen Richtung in dieser Region. Uns erscheint es auch als selbstverständlich, wenn z.B. türkische Kinder muslimischen Glaubens in unsere Schulen gehen. Damals allerdings war es anders. Die Vöhler Schule galt als eine evangelische Schule, und die Trennung von Kirche und Staat wurde erst viel später eingeführt. Die Schule orientierte sich in ihren Erziehungsrichtlinien und in den Unterrichtsinhalten der einzelnen Fächer ganz selbstverständlich an der christlichen Religion, und wenn man sich die Unterschiede der Religionen und des religiös bestimmten Verhaltens vor Augen führt, leuchtet ein, dass ein jüdisches Kind nur schwer in eine evangelische Schule gehen konnte und umgekehrt. Angesichts des hohen Stellenwertes, den Bildung gerade auch in der jüdischen Religion genoss und genießt, ist es ganz selbstverständlich, dass eine jüdische Schule errichtet wurde, sobald man sie sich leisten konnte und die Anfeindung der Juden durch die christliche Umgebung zurückging.

Weihe der Synagoge 1829

Zur Synagoge geweiht wurde das Gebäude 1829, und zwar am Freitag, dem 28. August. Einiges spricht dafür, dass es am Abend in einem Gottesdienst zu Beginn des Schabbat geschah.

In der Synagoge wurde eine bereits 1808 fertiggestellte pergamentene Votivtafel zu Ehren Ludwigs, des ersten Großherzogs von Hessen, angebracht. In hebräischer und deutscher Sprache stand dort:

„Im Jahre 5568 = 1808
Der Sieg verleiht den Königen Herrschaft, den Gesalbten. Er, der David seinen Knecht vom mörderischen Schwerdt gerettet. Er, der im Meer einen Weg, im starken Wasser eine Bahn macht, der segne, behüte, beschirme, unterstütze, erhebe, vergrößere und bringe hervor unsern Herrn Ludewig, Großherzog von Hessen und vermehre seine Herrlichkeit. Der König aller Könige erhalte mit seiner Allbarmherzigkeit sein Leben, behüte ihn vor jedem Unfall, vor jeder Trauer und vor jedem Schaden und sei sein Schutz. Lasse fremde Völker sich unter ihm beugen, seine Feinde vor ihm fallen und ihn bey allen seinen Unternehmungen glücklich sein. Der König aller Könige neige durch seine Allbarmherzigkeit sein Herz und das Herz aller seiner Räthe zur milden Regierung, daß er uns und das ganze Israel mit Wohlwollen beherrsche, daß in seinen und unsern Tagen Juda gerettet werde und Israel ruhig wohne. O, daß nach Zion der Erlöser komme, sei des Ewigen wohlgefälliger Wille und laß uns darauf sagen: Amen."


Übrigens erlebte der Förderkreis im Zusammenhang mit dieser Tafel eine angenehme Überraschung. Jürgen Evers hatte diesen Text unter den Aufzeichnungen des Vöhler Heimatforschers Walter Kloppenburg gefunden, ergänzt um eine Beschreibung der Tafel, aus der hervorging, dass sie auch eine hebräische Version enthielt. Evers bemühte sich nun um einen Übersetzer, und die Angelegenheit zog sich über einen langen Zeitraum hin, ohne dass eine hebräische Version entstand. Carol Baird, eine in Kalifornien lebende Nachfahrin der Vöhler Familie Frankenthal, schickte uns dann außer einem Foto von der Tafel auch die Kopie einer Abschrift, die ihr Vater Ernst Davidsohn Anfang der 30er Jahre von eben dieser Tafel gemacht hatte. Und so ist der Förderkreis ganz unerwartet in den Besitz dieses Textes gelangt. Dr. Thea Altaras ließ dann in Israel von einem Fachmann den Druck anfertigen, den wir heute in unserem kleinen Museum zeigen können.

Unter den Bildern aus Amerika war auch die schon mehrmals erwähnte bisher einzige Fotografie vom Inneren der Synagoge aus der Zeit vor 1938, die – fachkundig aufbereitet – einen guten Einblick in das Aussehen des Sakralraumes gewährt. Darauf erkennen wir (und finden dies durch einen Brief des Bezirkskonservators aus dem Jahr 1929 bestätigt), dass diese Tafel an einem Stativ hing und neben dem Thoraschrein (zur Straßenseite hin) stand. Den künstlerischen Wert der Tafel schätzte der Konservator gering ein, meinte aber, sie füge sich "vorzüglich in den einheitlichen Raum ein" und solle deshalb auf Leinwand auggezogen werden.

Die Finanzierung der Synagoge

Die Finanzierung der Synagoge war, wie schon bei der Schule, Sache der "israelitischen Religionsgemeinde", wie die Judenschaft des Ortes offiziell bezeichnet wurde. Wie das frühere Vorstandsmitglied dieser Gemeinde, Selig Stern, 1844 dem Kreisrath Zimmermann erklärte, hatten die Juden freiwillige Beiträge in einen Fonds gegeben. Stern sprach von drei- bis vierhundert Gulden, die folgende 14 Männer möglicherweise gegeben hätten: Selig Stern, Isaak Rothschild, Löb Külsheimer (B), Joseph Kugelmann, Isaak Kugelmann, Simon Katzenstein, Bär Katzenstein, Jakob Katzenstein (M), Löb Schaumburg, Meier Mildenberg, Löser Mehrgeld (M), Israel Löwenstern (B), Joseph Blum und Ascher Rothschild. (B= Basdorf, M= Marienhagen)

Zunächst 1834 und dann wieder 1844 hatte der israelitische Vorsteher Simon Kugelmann ein weiteres Finanzierungsmodell erwähnt: Die genannten Männer und außerdem Feisth Kaiser aus Basdorf (der Ältere) hätten sich bereiterklärt, zur weiteren Finanzierung die Stände in der Synagoge für 12, 10, 8 usw. Gulden zu versteigern. Selig Stern habe den ersten Platz für ein Gebot von zwölf Gulden bekommen. Dieses Geld sei aber nie bezahlt worden und fehle nun der jüdischen Gemeinde. Kugelmann bat Kreisrath Zimmermann, die Außenstände durch den Rechner eintreiben zu lassen; mit den fehlenden ca 80 Gulden nebst Zinsen könnten dann die Juden einen Teil ihrer Schulden bei der Gemeinde abtragen. Andere Vorstandsmitglieder - Bär Stern und Isaak Rothschild - widersprachen dieser Darstellung. Zwar seien die Stände versteigert, doch vielleicht auch das Geld gezahlt worden. Zahlungsbelege habe man allerdings nicht gefunden.

Aus dem Jahr 1834 stammt ein Dokument, in dem eine große Gruppe jüdischer Männer ganz kategorisch weitere Zahlungen für die Synagoge ablehnen, unter anderem deshalb, weil sie sich gegenüber solchen Gemeindemitgliedern benachteiligt fühlten, die nach dem Bau von Schule und Synagoge zugezogen waren und nach neueren Regierungserlassen keine Aufnahmegelder zu entrichten hatten.

Warum wurden Schule und Synagoge 1827/29 gebaut?

Das 19. Jahrhundert brachte einige Liberalisierungen mit. Die französische Revolution versetzte auch die deutschen Fürsten in Angst vor einem Volksaufstand. Die Eroberung Deutschlands durch das napoleonische Frankreich brachte den sogenannten Code Napoleon; in den Schulen wird auch heute noch gesprochen über die sogenannten Stein-Hardenbergschen Reformen. Die Bauernbefreiung, Einführung der Gewerbefreiheit, größere religiöse Toleranz (auch als Folge von Lessings "Nathan der Weise") nutzten auch dem Zusammenleben von Christen und Juden und ermöglichten den Juden die Wahrnehmung von Rechten ohne oder mit geringerer Furcht vor Sanktionen durch die christliche Umgebung.

Der Unterricht in der jüdischen Schule

Bis 1835 wurden die jüdischen Kinder von ständig wechselnden Lehrern unterrichtet. Deshalb bat der Vorstand der Vöhler Israeliten in jenem Jahr den Kreisrat, den seit sieben Jahren in Vöhl wohnenden und aus Altenlotheim stammenden David Schönhof fest einzustellen. Gleichzeitig sollte Schönhof das Amt des Vorbeters versehen. Es gibt einigen Schriftwechsel, weil die Schulaufsicht von der Qualifikation Schönhofs nicht gleich überzeugt war. Sie stellte ihn zunächst zur Probe, dann jedoch fest ein. Dies wohl auch deshalb, weil seine Bezahlung wiederum allein Sache der jüdischen Gemeinde war.

Der Großhessische Rabbiner zu Gießen erlaubte Schönhof dann auch die Vornahme jüdischer Trauungen.

Aus dem "Verzeichniß des Salzbedarfs der Bürgermeisterei Vöhl - Gemeinde Vöhl nach Maasgabe der Seelenzahl und des Viehstandes vom Jahr 1840" geht hervor, dass zu Schönhofs Haushalt 3 Personen über 8 Jahre, 2 Person unter 8 Jahre und ein Stück Kleinvieh (Schaf oder Ziege) gehörten. Und da dieses Verzeichnis nicht in alphabetischer Reihenfolge, sondern wahrscheinlich entsprechend der Reihenfolge der Häuser erstellt wurde, können wir aufgrund der vor und nach ihm aufgeführten Personen vermuten, dass Schönhof in den Wohnräumen von Schule und Synagoge wohnte.

1841 wurde er von Salomon Bär abgelöst, der ihn schon seit 1839 als Referendar unterstützt hatte. Die Erlaubnis zur Durchführung von Trauungen erhielt Bär allerdings erst 1849. Bis dahin versah diese Aufgabe Jakob Goldenberg aus Höringhausen, der 1849 starb.

Bär arbeitetet 40 Jahre lang - bis zu seinem Tod - als Lehrer in Vöhl; mindestens bis Mitte der 60er Jahre im Synagogengebäude, und ab einem nicht bekannten Termin, möglicherweise ab dem genannten Zeitraum, in der neuen Schule, die in dem von Ascher Rothschild gebauten großen Haus in der späteren Arolser Straße eingerichtet wurde. Er soll ein guter Lehrer gewesen sein, dem auch die zahlreich in Vöhl vertretenen Beamten ihre Kinder in einigen Fächern anvertraut haben sollen, wie der schon erwähnte Heimatforscher Walter Kloppbenburg zu berichten wusste. Darüber hinaus versah er das Amt des Vorsängers in der Synagoge, war zeitweise Rechner der israelitischen Religionsgemeinde, übernahm mehrmals Vormundschaften von Kindern, wenn ein Elternteil starb, und war wohl insgesamt ein Mann, der engagiert arbeitete, - wenn es seine Gesundheit zuließ. Er selbst, aber auch seine Frau Wilhelmine und beider Kinder waren oft krank, vor allem im Winter, wenn der Wind durch die undichten Fenster pfiff und die Außenwände ganz klamm waren. Mehrmals beschwerte sich Bär beim Kreisrat in dieser Angelegenheit. Möglicherweise hing es mit den ungesunden Wohnverhältnissen zusammen, dass er schon mit ungefähr 65 Jahren starb.

Von ihm wissen wir ziemlich genau, was er verdiente; im Jahr 1855 waren dies 249 Gulden 15 Kreuzer, die sich folgendermaßen aufschlüsselten:

Leistung Betrag
• für Besoldung
• Neumondsgelder von 30 Kindern, von jedem 54 Kreuzer jährlich
• für’s Schopharblasen
• für’s Vorlesen der Bücher Esther
• Miethwerth der Lehrerwohnung
200 fl - kr
27 fl - kr
1 fl 30 kr
- fl 45 kr
20 fl - kr

Große Reparatur 1846

Mitte 1845 - nicht einmal zwanzig Jahre nach dem Bau von Schule und Synagoge - beginnt ein reger Schriftwechsel über notwendige Reparaturarbeiten. Erste Kostenaufstellungen belaufen sich auf einen Betrag von damals immensen 2000 Gulden. In einem Brief an Kreisrat Zimmermann meint der Kreisbaumeister Biedenkopf, einen solchen Betrag sei das Gebäude gar nicht wert. Die Gemeinde sei gut beraten, das Haus zu verkaufen und neu zu bauen. Die Art der Schäden wird nicht genau bezeichnet, doch scheint das Fundament an einer Seite abgesackt zu sein. Außerdem wird erörtert, die Hohlziegel auf dem Dach durch Plattziegel zu ersetzen. Das erforderliche Geld, man hatte sich im Voranschlag auf knapp 900 Gulden geeinigt, sollte von der Sparkasse der Grafschaft geliehen werden.

Aus dem Jahr 1846 liegt uns die öffentliche "Arbeitsversteigerung" des Vorstands der israelitischen Religionsgemeinde vor, wo es um die "Reparatur an dem Synagogengebäude zu Vöhl" ging. Die Ausschreibung umfasste Maurer- nebst Steinhauer-, Zimmer-, Dachdecker-, Schreiner-, Schlosser-, Glaser-, Weißbinder (=Maler)- und Spengler (=Klempner)-Arbeiten und belief sich auf 807 Gulden und 14 Kreuzer. Wie groß dieser Betrag war, kann man ermessen, wenn man berücksichtigt, dass die Kirchengemeinden des Kirchspiels 5 Jahre zuvor von Ascher Rothschild einen Kredit von 18 000 Gulden zum Bau der Martinskirche erbaten und erhielten. Da wird ein Betrag von knapp über 800 Gulden wohl nicht nur Reparaturarbeiten betreffen. Möglicherweise hat man im Rahmen dieser Arbeiten im Bereich des Sakralraums die Decken von Erdgeschoss und 1. Stock entfernt und die kuppelförmige Decke eingebaut, denn es gibt mehrere Hinweise, dass die Synagoge nicht von Anfang an ihre heutige eindrucksvolle Höhe hatte. Als Handwerker waren übrigens eingesetzt: Maurermeister Biggert, Pflasterer Jacob Schulburg (Frankenau), Dachdecker Wilhelm Daube (Battenfeld), Zimmer-, Glaser- und Schreinerarbeiten Simon Mildenberg (Vöhl), Schlosser Georg Schmal (Asel), Weißbinder Heinrich Wiesemann (Vöhl), Spenglerarbeiten Konrad Schmidt (Battenberg). Bezahlt wurden dann übrigens insgesamt 908,22 Gulden.

Im Dezember 1851 wurden die Fenster der Wohnung repariert. 1855 stürzten die Abtritte ein und mussten durch neue ersetzt werden. Zehn Jahre später waren es wieder die Fenster, die der Erneuerung bedurften.

Vermögen der jüdischen Gemeinde

Für das Jahr 1864 liegt uns ein sehr interessantes Dokument vor, dessen Abschrift hier vorgestellt werden soll: Verzeichnis und Schätzungdes sämmtlichen beweglichen u. unbeweglichen Vermögensder israelitischen Religionsgemeinde Vöhl, Basdorf, Marienhagen, OberWerba

Ord. Nr. Beschreibung der Vermögenstheile Kapitalwerth
fg kr
  a) Verzinsliche Kapitalien
Nichts
 
  b) unverzinsliche Forderungen
Nichts
 
  c) Mobiliar  
1 Thoras 150
2 5 Tische 20
3 5 Bänke 10
4 3 Leuchter 3
5 2 Wandtafeln 2
6 1 Rechenmaschine 3
7 1 Todtenbahre 1
8 2 Leichentücher 15
9 10 Lautir- und Lesetafeln 5
10 Ein Trezzchen beim Aufteilen der Lichter im Gebrauch 2
11 Ein Reinigungsbrett 1
12 Eine Teigwalze 50
13 Verschiedne andere Synagogengeräthschaften 5
  Summe 267
     
  d) Gebäude  
  Ein Synagogen- u. Schulgebäude 3.000
     
  e) Gärten u. sonstige Ländereien  
  Ein Friedhof 200
     
  f) Nutzbare Rechte
Nichts
 
     
  Zusammenstellung  
     
  a) verzinsliche Kapitalien -
  b) unverzinsliche Forderungen -
  c) Mobiliar 267
  d) Gebäude 3.000
  e) Gärten u. sonstige Ländereien 200
  f) Nutzbare Rechte -
  Hauptsumme 3.467
Aufgestellt am 11.2. 1864
Der Vorstand: Baer Stern, Abraham Katzenstein

Spätere Bewohner des Gebäudes

Genaue Übersichten über die Bewohner des Hauses gibt es nicht. Um 1880 herum, also vielleicht kurz nach Bärs Tod, wohnte Simon Mildenberg hier, allerdings wohl nur vorübergehend. Er hatte als Schreinermeister, der übrigens als erster Jude in Vöhl auch Lehrlinge ausbilden durfte, das übernächste Haus zur Arolser Straße hin gebaut, und wir wissen, daß er auch später wieder dort gewohnt hat.

Dann zog Levi Mildenberg hier ein. Nachdem sein Sohn Sally das größere Nachbarhaus gekauft hatte, zog er mit seiner Frau dort hin und überließ die Wohnung neben der Synagoge seinem Sohn Hermann. Der lebte hier zusammen mit seiner Frau Paula, die drei Töchter bekam – Hilde, Ilse und Charlotte – und 1921 an Krebs starb. Mildenberg heiratete dann Paulas jüngere Schwester Minna. Hilde, Ilse und zuletzt auch Lotte gingen nach der Schulzeit aus dem Haus und arbeiteten im Ausland. Bis 1938 lebten Hermann und seine Frau Minna in Vöhl. Er besaß ein Schuhwarenlager, auf das ein Schild hinweist, das wir bei Übernahme des Gebäudes vorfanden. Außerdem handelte er mit Tabakwaren und verschiedenen anderen Produkten. Seine Armut war fast sprichwörtlich; er galt überall als der "arme Hermann". Er war auch ein sehr frommer Mann, der den Synagogendienst versah. Bei offiziellen Angelegenheiten, wie z.B. bei Trauungen, versah Lehrer Louis Meyer die erforderlichen Dienste, doch die normalen Gottesdienste gestaltete im wesentlichen der "Schuster-Hermann".

In den 30er Jahren gestaltete sich das Zusammenleben von Juden und Nicht-Juden auch in Vöhl immer schwieriger. Der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933, daran sich zeitlich anschließende Berufsverbote, die Nürnberger Gesetze, die Juden zu Bürgern zweiter Klasse machten und eheliche Verbindungen verboten, drücken nicht die alltäglichen Behinderungen, Beschimpfungen und hin und wieder auch Tätlichkeiten aus, die Juden überall in Deutschland, und auch in Vöhl, zu erdulden hatten. Wir kennen Spottverse, die christliche Kinder der Beate Frankenthal nachriefen; wir wissen, dass Kinder die Fensterscheiben in jüdischen Häusern einwarfen und selbstverständlich weder von den Eltern noch von den Behörden bestraft wurden, weil die Juden es natürlich auch nicht wagten, Anzeige zu erstatten. Ursula Mildenberg berichtet, was in der Vöhler Schule los war, wenn die jüdischen Kinder erst zur zweiten Stunde kamen, nachdem in der ersten Stunde "Rassenkunde" unterrichtet worden war.

Aus all dem zogen viele Vöhler Juden die einzig mögliche Konsequenz, aus Deutschland auszuwandern. Zu denen, die gerade noch rechtzeitig wegkamen, gehörte auch Hermann Mildenberg mit seiner Familie. Sie gingen 1938 in die USA. Seine Tochter Ilse und wahrscheinlich auch Charlotte leben heute noch. Wenn sie geblieben wären, wären sie mit allergrößter Wahrscheinlichkeit seit fast 60 Jahren tot.

Diesem Umstand des gerade noch rechtzeitigen Verkaufs verdankt dieses Gebäude sicherlich, dass es die sogenannte Reichskristallnacht am 9. November 1938 einigermaßen unbeschadet überstand. Die Dorfkinder veranstalteten Schießübungen auf den Kronleuchter, wie uns berichtet wurde, aber größerer Schaden wurde nicht angerichtet. Allerdings wissen wir nicht, was mit den sakralen Gegenständen - den Thoras, dem Thoraschrein, den Leuchtern usw. - geschah. Wir hatten und haben die Information, dass diese Gerätschaften von Polizei und/oder SA und SS nach Kassel verbracht und dort zerstört worden seien; doch wenn man von einem einigermaßen ordnungsgemäßen Verkauf des Gebäudes ausgeht - eine solche Formulierung ist noch sehr beschönigend angesichts des Drucks, den es sicherlich von seiten des Staates gab, und angesichts der Angst der jüdischen Familien -, dann erscheint es durchaus möglich, dass diese sakralen Gegenstände in irgendeiner Weise zumindest vorübergehend in jüdischem Besitz geblieben sind.

Dieses Haus kaufte eine Familie Rost, die nur vorübergehend hier wohnte. Dann übernahm es der Maurermeister Wilhelm Kunz, der es seiner Tochter Anna und deren Mann überließ. Die Sprengers wohnten hier bis Anfang der 70er Jahre. Herr Sprenger richtete als Schuster in demselben Raum seine Werkstatt ein, den Hermann Mildenberg schon zum selben Zwecke genutzt hatte. In dieser Zeit diente der ehemalige Sakralraum als Baustofflager.

Von den Sprengers kaufte ein in Marienhagen wohnender Holländer namens Stevens das Gebäude und überließ es der Familie Röhling. Von dieser Familie wiederum kaufte der Förderkreis "Synagoge in Vöhl" das Haus.

Was ist eine Synagoge?

Eine einfache Erklärung gibt natürlich der Satz: "Sie ist die Kirche der Juden"; doch dies ist nicht ganz richtig. Ein Gotteshaus oder "Gottes Haus" war und ist die Synagoge nach jüdischem Verständnis nicht. Diese Eigenschaft kam wohl nur dem zweimal zerstörten Tempel in Jerusalem zu. Das griechische Wort "Synagoge" - in hebr. Übersetzung "Beth hak-Knesseth" bedeutet "Versammlung" oder "Vereinigung", meint also mehr die Menschen als den Ort. Gleichwohl wurde diese Bezeichnung sehr früh schon auch auf den Ort angewandt, an dem Juden sich versammeln, um die Bücher der Propheten zu lesen und zu deuten. Während in Jerusalems Tempel das Opfer zentrale Bedeutung hatte, steht im Synagogen-Gottesdienst die Schriftlesung im Mittelpunkt.

Religionshistoriker sehen verschiedene Ursprünge der Synagoge. Einige meinen, Synagogen habe es auch schon im vorchristlichen Israel für die von Jerusalem entfernten Orte gegeben; andere wiederum vertreten den Standpunkt, sie seien in der Zeit der babylonischen Gefangenschaft entstanden als Ausdruck des Bedürfnisses nach einem Ort, an dem man beten und Gott anrufen konnte zu einer Zeit, als der Tempel zerstört und Jerusalem weit weg war. Das älteste Gebäude mit der Inschrift "Synagoge" gibt es in der Nähe Alexandrias in Ägypten und stammt aus dem 3. Jhd. vor unserer Zeitrechnung.

Doch die Synagoge war meist nicht nur Ort gottesdienstlicher Handlungen, sondern oft auch Schule (in jiddischer Sprache heißt die Synagoge "Schul"), gesellschaftliches Zentrum, Versammlungsort für die Behandlung auch nichtreligiöser Angelegenheiten.

Geschichte und Bedeutung der Juden in Vöhl, Basdorf und Marienhagen

Ersterwähnung eines Vöhler Juden 1682

Aus dem Jahre 1682 stammt die erste urkundliche Erwähnung eines Juden in Vöhl: Für den Bau der Marienhagener Kirche hatte man bei ihm 60 Pfund Eisen gekauft, "woraus lange Nägel durch den Strich und Balken gemacht sind", und 1 Gulden 15 Albus bezahlt. Einen Namen hatte der Mann nicht, man sprach lediglich von dem "Juden zu Voehle". Dies mag den Schluss nahe legen, dass es zu diesem Zeitpunkt nur diesen einen Juden am Ort gegeben hat, doch das im folgenden erwähnte Dokument lässt vermuten, dass es auch im Jahr 1682 schon mehr als diesen einen Juden gegeben hat.

Häuserverzeichnis von 1705

Ein Häuserverzeichnis von 1705 nennt 8 Juden als Haus- und Grundbesitzer: Auscher Rothschild (die Nr. der "Hofraithe" entspricht dem heutigen Grundstück Fackiner in der Arolser Straße), Selig Schönhof, Isaac Moses Kugelmann (Arolser Straße; Teilgrundstücke von Familie Seibel und Frau Helga Schmal); David Isaac Stern (Arolser Straße, bewohnt von Martin Evers), Seligman Rothschild (in der Nachbarschaft eines früheren Backhauses, das sich aber derzeit noch nicht genauer lokalisieren lässt), Joseph Blum (in der Nachbarschaft der Kirche, also Schulberg oder Kirchweg); Bär Katzenstein (wieder in der Nachbarschaft eines noch nicht lokalisierten Backhauses, möglicherweise in der heutigen Basdorfer Straße) und Loeb Moses Schaumburg (vielleicht auf der anderen Seite desselben Backhauses).

Wahrscheinlich wurden schon damals jüdische Gottesdienste in Vöhl gefeiert, allerdings nicht in einem extra dafür gebauten Haus, sondern in einer Privatwohnung. Nach jüdischem Gesetz können Gottesdienste nur stattfinden, wenn 10 Männer über 13 Jahre - ein Minjan - anwesend sind. Im Ausnahmefall kann die Thora - die Schriftrolle mit den 5 Büchern Mose - den zehnten Mann ersetzen. Acht jüdische Familien im Jahr 1705 - das könnten bei damaliger Familiengröße 50 bis 60 Personen gewesen sein, und darunter waren ganz gewiss 10 Männer ab dem 13. Lebensjahr.

Ein in die USA emigrierter Mann namens Joseph Rosenthal berichtet von einem Schutzbrief aus dem Jahre 1732, der bis zur Flucht im Besitz seiner Familie gewesen sei. Dieser Schutzbrief habe einem "Joseph von Voehl" gegolten, der in jenem Jahr nach Geldern gezogen sei und dem der Graf von Solms diese Urkunde ausgestellt habe. Die Familie seiner Mutter trage deshalb seit jenem Joseph den Familiennamen Voehl.

1777 werden in verschiedenen Dokumenten die sogenannten Schutz-Juden Izzig Simon und Schlom Abraham als Geldverleiher erwähnt.

Entwicklung im 19. Jahrhundert

Anfang des 19. Jhds war eine deutliche Zunahme der Juden in Vöhl, Basdorf und Marienhagen zu verzeichnen. Folgende Zahlenangaben liegen uns vor: 

Jahr Personen
1705
1830
1852
1885
1905
1930
ca 50
76
136
ca 100
86
45
 Ab dem preußisch-österreichischen Krieg und der damit verbundenen Abtretung des Kreises Vöhl von Hessen-Darmstadt an Preußen ging die Zahl der Juden zurück. Vielleicht hing das mit den besseren Handels- und Verdienstmöglichkeiten in den auch zu Preußen gehörenden Städten der Umgebung zusammen. Es gab nun nicht mehr den Vöhler Vorteil eines freiheitlicheren Verfassungssystems.


Auch unter den nichtjüdischen Deutschen gab es um die Mitte des vorigen Jahrhunderts herum eine starke Auswanderungsbewegung. Selbstverständlich zog es ebenso die deutschen Juden verstärkt nach Amerika. Einige Auswanderungshinweise enthält das Archiv der Gemeinde Vöhl.

Um 1880 herum setzte ein rassisch motivierter Antisemitismus ein, der in Mittelosteuropa seinen Ausgang hatte, recht schnell aber auch in Deutschland Einzug hielt.

Schon in den 20er Jahren gab es vor allem gegen Juden gerichtete Wuchergesetze, wegen denen es auch in Vöhl zu - allerdings mit einer Ausnahme nur geringfügigen - Bestrafungen kam.

Das Dritte Reich

Die Eskalation der Ereignisse im sogenannten Dritten Reich ist bekannt. Auf die Diskriminierungen der Anfangsjahre wurde schon hingewiesen. Im Zusammenhang mit der Reichspogromnacht wurden auch in Vöhl zwei Männer verhaftet und über Kassel ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Einer der beiden - Max Mildenberg, verheiratet mit einer Christin und Vater eines evangelisch getauften Mädchens - wurde im März 1939 unter der Auflage nach Hause entlassen, umgehend aus Deutschland auszuwandern. In Frankreich wurde er allerdings wieder interniert und später entweder dort oder in den Vernichtungslagern des Ostens umgebracht. Der zweite Verhaftete der Pogromnacht, Alfred Rothschild, der hier in Vöhl eine Gastwirtschaft betrieb, zeitweise Gemeindevertreter und Regisseur der Laienspielgruppe war, wurde erst im September 1939 entlassen, war aber so schwer mißhandelt worden, daß er wenige Tage später im Korbacher Krankenhaus starb.


Bis zuletzt blieben die "alten Frauen". Johanna Frankenthal, die auf dem Schulberg wohnte, Frau des Bernhard Frankenthal und Mutter von Beate und Ida Frankenthal; Hermine Rothschild, Ehefrau des eben erwähnten Alfred, Mutter des heute in Süddeutschland lebenden Richard Rothschild; Selma Rothschild, Alfred Rothschilds Schwester; und schließlich Rickchen Katzenstein, Ehefrau von Samuel, genannt Schmul Katzenstein; diese vier alten Frauen lebten bis 1942 hier im Dorf, wurden dann deportiert und in verschiedenen Lagern umgebracht.

Was soll aus dem Gebäude werden?

Der Förderkreis "Synagoge in Vöhl" möchte, daß der Sakralraum zu einer Kultur- und Begegnungsstätte umgestaltet wird. Einige Elemente, wie das wieder eingesetzte Fenster mit Davidstern oder der dem Förderkreis im September 2000 geschenkte Vorhang eines Thoraschreins, sollen an die jüdische Geschichte des Hauses erinnern. In diesem Raum sollen dann – wie schon jetzt – Konzerte und Vortragsveranstaltungen, Kleinkunst- und Folklore-Abende stattfinden.

In den Nebenräumen soll ein Museum eingerichtet werden, das christlich-jüdisches Zusammenleben im Laufe der Jahrhunderte ebenso darzustellen versucht, wie es uns helfen soll, jüdische Kultur und Religion zu verstehen. Das Museum sollte so gestaltet werden, daß jede Schulklasse des Landkreises gern hierher kommt. Landfrauenvereine und Seniorenclubs der Region, historische interessierte Organisationen aus ganz Hessen und den benachbarten Landkreisen Nordrhein-Westfalens sollen es als einen Gewinn betrachten können, das Museum zu besuchen. Es müsste aber auch Edersee- und Kellerwald-Touristen interessieren, den Besuchern Medebachs und Willingens sowie Kurgästen Bad Wildungens und Bad Zwestens einen Tages- oder Halbtagesausflug wert sein.Einige Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein: jüdisches Leben und deutsch-jüdisches Zusammenleben in Vöhl soll thematisiert werden, aber

• das Museum darf nicht auf das Thema "Vöhl" beschränkt sein;
• dem Auge muss viel geboten werden und
• es muss Dinge zum Anfassen geben;
• das Museum muss die Verfolgung von Juden in der Geschichte Europas - auch und besonders in der Zeit des Nationalsozialismus - zum Gegenstand haben, aber
• es soll sich darin nicht erschöpfen, sondern auch zeigen, dass Menschen verschiedener Kultur und Religion friedlich und in gegenseitiger Achtung zusammenleben können.

Jeder Raum kann einem anderen Thema gewidmet sein. Einige Themen sollten auf Dauer dargestellt werden; in einem oder zwei Räumen könnten wechselnde Ausstellungen gezeigt werden. Folgende Schwerpunkte sind denkbar:

• Vöhler, Marienhäger, Basdorfer Juden: Bilder von Personen oder Wohnräumen, Stammbäume, Häuserverzeichnisse, Anekdoten, Eheverträge, Kaufverträge;
• Juden in Waldeck-Frankenberg: Juden in Altenlotheim, Eimelrod, Höringhausen; Juden in Frankenau, Frankenberg, Gemünden usw., Juden im Waldeckischen;
• Geschichte der Verfolgung von Juden in der Welt, in Europa, in Deutschland und in Vöhl;
• Jüdische Religion und Kultur;
• Jüdische Feste; z.B. könnte ein Raum regelmäßig oder hin und wieder entsprechend dem jeweils anstehenden oder stattfindenden jüdischen Feier- oder Festtag dekoriert oder eingerichtet werden.

Einer der Räume sollte als Arbeits- bzw. Studierraum eingerichtet werden: mit einer kleinen Handbibliothek über das Judentum, mit PC und den modernen Kommunikationsmöglichkeiten (Internet, eMail, Fax).

Bitte um Unterstützung und Hilfe

Der Förderkreis "Synagoge in Vöhl" ist auf vielfältige Unterstützung angewiesen. Wir benötigen die finanziellen Mittel, um das Gebäude zu restaurieren, renovieren und so einzurichten, dass es für die beschriebenen Ziele geeignet ist. Wir hoffen auf Unterstützung durch verschiedene Institutionen des Staates, bitten aber auch Privatpersonen und Firmen um Zuwendungen und Spenden.

Die sonntägliche Öffnung der Synagoge für Besucher, die zahlreichen Konzert-, Kleinkunst- und Vortragsveranstaltungen, die Möglichkeit zur Mitgliedschaft im Förderkreis sollen dabei helfen.

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Vortrag: „Juden in Höringhausen“, 18. April 1999

Rekonstruktionszeichnung
Zeichnung der ehemaligen Synagoge von Thea Altaras; Dicker Strich: Bestand bis 1988, jetzt abgerissen

Juden in Höringhausen
von Anneliese Laartz (unveröffentlichtes Vortragsmanuskript)
11.02.1998/18.04.1999

Höringhausen -als Enklave im Fürstentum Waldeck- bot Juden schon um das Jahr 1700 die Möglichkeit, hier zu leben, ja sogar Haus und Grundstück zu erwerben.

Ich muß sagen, daß mich die Geschichte der Juden schon als Kind interessiert hat. Aber durch persönliche Begegnungen und besondere Ereignisse habe ich begonnen, hier im Ort zu schauen und mich zu informieren. So nenne ich mein heutiges Referat „Spurensuche" und gliedere es in 3 Abschnitte:

I. Häuser, in denen bis in die 30-er Jahre Juden gewohnt haben.
II. Die Synagoge und Schule
Schule
III. Der Friedhof
Schlussbemerkung

Fortsetzung

I. Häuser

Meine Mutter hatte als Schulkameradinnen zwei jüdische Mädchen: Gerti Kohlhagen und Hannah Rosengarten. Von denen, erzählte sie oft und in den 50-er Jahren, kam letztere 2 mal zu Besuch hier ins Dorf. Sie war verheiratet, lebte in Panama und brachte auch eine Tochter mit. Sie besuchte auch unsere Familie, und die Frauen hatten sich viel zu erzählen, zwischenzeitlich ist die Dame gestorben.

Die Familie Rosengarten hatte ein Haus, das stand dort, wo heute der Edeka-Laden Müller ist. Es war ein Fachwerkbau mit einer Laube vor dem Haus. Der wilde Wein verdeckte den desolaten Zustand des Gebäudes, der nur im Winter zu sehen war.

Dann kam vor mehreren Jahren Frau Miriam Brasloff. Sie besuchte Frau Böhme und wollte sehen, wo ihre Vorfahren gelebt hatten. Sie war, wie sich herausstellte, die Enkeltochter von Schafti Adler. Da weder Frau Böhme noch ich ihr befriedigende Auskunft geben konnten, packte ich die Dame kurz entschlossen ins Auto und brachte sie zu meinen Eltern Die Anspannung war zunächst auf beiden Seiten sehr groß. Erst als mein Vater sagte: „Sie sind also eine Verwandte von Herrn Adler, ich habe ihn gekannt. Was möchten sie denn wissen?", da war das Eis gebrochen. Ich überließ die drei Menschen (meine Eltern und Frau Brasloff) ihren Gesprächen und eine halbe Stunde später waren alle froh und zufrieden. Die Fragen von Frau B. waren weitestgehend beantwortet. Sie konnte nun das, was sie gehört hatte, an ihren Sohn weitergeben. Er lebt in den Staaten.

Das Haus von Schafti A d l e r steht in der Berghöfer Straße und gehört heute Herrn Karl-Heinz Pfeiffer. Die Scheune ist leider abgerissen. Dabei sind, wie ich erst jetzt erfuhr, mit einer Kiste auch wertvolle Aufzeichnungen der Juden verloren gegangen.

Die Familie Adler hatte einen Handel mit Blech- und Altwaren. Sie besaß Ländereien auf der Beiwitz (Piwitz), auf dem Krautgarten und auch Wald an der Straße nach Nieder-Waroldern. Die Flurbezeichnung „Adlers Alpen" weist heute noch darauf hin.

Angehörige der Familie nahmen am 1. Weltkrieg teil. Zwei Männer sind gefallen. Ihre Namen sind am Ehrenmal zu lesen. Sie wurden nicht, wie in einem Buch zu lesen, während der Nazizeit entfernt.

Familienmitglieder wanderten über Holland nach England und Südamerika aus. Eine Verwandte der Familie A d l e r wohnte im Haus Hans Siebert. Sie hieß Rickchen Gumpert.

Im Haus der Familie Heinrich Krumme! in der Alrafter Straße, lebte der reiche Fellhändler Hermann Katzenstein. Außer mit Fellen handelte er mit Leder und Schuhen und er betätigte sich als Makler. Er verkaufte u. a. Schwagers Hof. Hermann Katzenstein hatte zwei Töchter, Irma und Malla. Eine heiratete den Textilkaufmann Markof, der im heutigen Haus Manhenke in Korbach seine Waren verkaufte. Die andere heiratete den Seifenfabrikanten Wolf aus Schlüchtern. Diese Seifenfabrik wurde von Herrn Henlein übernommen und später als Seifenfabrik Dreiturm weitergeführt.

Wolf und seine Familie lebten in Israel und betrieben dort Landwirtschaft. Sie verzichteten darauf, ihre Firma in Schlüchtern zurück zu nehmen, obwohl die Möglichkeit dazu bestand. Sie sorgten aber dafür, daß Frau Luise Krummel das Haus in der Alrafter Straße nicht ein zweites Mal kaufen mußte, was bei allen anderen Judenhäusern im Ort der Fall war.

Hermann Katzenstein wurde angeblich im Februar 1936 schwer mißhandelt und zusammengeschlagen. Man lauerte ihm auf, und der Täter ist wohl in einem der Nachbarorte zu suchen. Katzenstein starb am 12. Februar 1936 und ist der letzte Jude, der auf dem hiesigen Friedhof beigesetzt ist.

Benjamin Katzenstein hatte einen Kolonialwarenladen im heutigen Haus Ullrich in der Berghöfer Straße. Die Leute aus dem Dorf konnten bei ihm auch noch samstags abends einkaufen. Allerdings bediente er sie erst nach Sonnenuntergang wenn der Sabbat zu Ende war und er sein entsprechendes Gebet gesprochen hatte.

Karl Kohlhagen hatte ein jüdisches Gasthaus, wohl das einzige in ganz Waldeck. Heute lebt in dem Haus die Familie Franke, die das Gebäude in den letzten Jahren grundsaniert hat.

Ich erinnere mich, daß an dem verschieferten Giebel in weißer Schrift ganz groß zu lesen stand: Gasthaus Kohlhagen. Mit diesem Gasthaus hat es eine besondere Bewandtnis. Im Fürstentum Waldeck durften sich Juden nur vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang aufhalten. Da man sich damals nur mit den Füßen oder auch per Pferdewagen vorwärts bewegte, konnte niemand das Fürstentum an einem Tag durchqueren. Höringhausen lag in der Mitte, und so war es eine gute Sache für alle Juden, daß sie hier einkehren konnten. Die meisten verdienten ihren Lebensunterhalt ja als herumziehende Händler.

Im Haus der Frau Lange - früher Hasenschar- in der Hauptstraße, lebte Isaak Kohlhagen mit seiner Familie. Er betrieb ein Tuchwarengeschäft und verkaufte seine Dinge, indem er mit dem Rucksack herumzog. Er hatte drei Kinder, eine Tochter, Gerti, einen Sohn, Max und einen Sohn, Kurt. Die Familie war recht arm. Während des Sabbats oder an bestimmten Festtagen ging eine Nachbarin hin um beispielsweise das Feuer in Gang zu halten oder sonstige Dinge zu erledigen, die den Juden an solchen Tagen untersagt waren.

Isaak wurde während der Nazizeit abgeholt und, nachdem man ihn furchtbar mißhandelt hatte, nach Hause entlassen. Er sprach nicht über das, was man ihm angetan hatte. Er starb an den Folgen der Verletzungen im Jahr 1938. Seine Kinder waren da schon lange fort.

Wo heute das neue Haus Voigtländer steht, war früher ein Fachwerkhaus, das Menko Löwenstein gehörte. Er hatte auch einen Tuch- und Handarbeitsladen. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts mußten die Juden allgemein verständliche Namen annehmen. In einem Buch steht zu lesen, daß die Familie Baer sich ab diesem Zeitpunkt Löwenstern nannte. Angeblich, weil die Grenzsteine, die die Gemarkung Höringhausen umgeben, auf der einen Seite den hess. Löwen und auf der anderen Seite den Waldecker Stern zeigen, also Löwenstern. Dieser Familienname war bis zuletzt in Höringhausen vertreten.

Im Haus Pohlmann, in der Alrafter Straße lebte die Familie Süßel. Das Fachwerkhaus brannte in den fünfziger Jahren ab. Die Familie betrieb einen Spirituosenhandel. Ob sie auch Schnaps brannte, ist nicht erwiesen. Die Töchter des Ehepaares waren gut verheiratet, und die Eltern wollten wegziehen. Sie stellten ihre Habe, die sie nicht mitnehmen wollten und konnten, auf den Hof und gaben die Gegenstände meistbietend ab.

In der Berghöferstraße, im früheren Haus Julemann, lebte die Familie Lazarus. Schon im letzten Jahrhundert war sie sehr angesehen. Als das neue evangelische Pfarrhaus (1835 -1837) gebaut wurde, lebte die Pfarrersfamilie dort.

Markus Lazarus, ein Sohn, nahm am deutsch - franz. Krieg teil (1870/71). Er gründete in Höringhausen den Kriegerverein mit und stiftete auch die Fahne. Er war verheiratet, hatte aber keine Kinder. So vermachte er vor seinem Tode der jüdischen, der evangelisch und der politischen Gemeinde jeweils 9.000 Mark. Dieses Erbe war mit der Auflage verbunden, es nur für Arme, Kranke und sonstige wohltätige Zwecke zu verwenden. Als er 1907 starb, beschlossen die Mitglieder des Kriegervereins in einer Sitzung, daß der Verstorbene Markus Lazarus mit allen militärischen Ehren beigesetzt werden sollte. Sie bestellten 8 ihrer Mitglieder, die den Leichenzug begleiten und 6 ehemalige Krieger, die die Ehrensalve abfeuern sollten. Eine Kapeile des 167. Infantrieregimentes in Kassel wurde bestellt und der Tote von einer riesigen Trauergemeinde zu Grabe getragen.

Das Badehaus für Frauen, das sogenannte Plunkhäuschen, stand zwischen dem heutigen Grundstück Rohde und Mettenheimer in der Alrafter Straße. Die Grenze wurde erst beim Verkauf des Hauses Zimmermann an Familie Rohde endgültig festgelegt. Das Badehaus, oder auch „Mikwe" genannt, wurde für rituelle Tauchbäder benutzt. Vor der Eheschließung und jeden Monat mußten die Frauen ein Bad nehmen. Das Wasser mußte sich selbst sammeln, sprich: es mußte Quellwasser oder ggf. auch Regenwasser sein. Die Frau mußte untertauchen können.

Weitere Judenhäuser waren:
Das frühere Haus Fleschenberg. das z. Zt. vollständig umgebaut wird.
Das Haus Mettenheimer im Kübenbom und das Haus Rüssel - früher Schluckebier, Mützenmaker - gleich bei der Kirche. Die Gebäude wurden zu Beginn dieses Jahrhunderts verkauft und gehörten ursprünglich den Familien Pickhard.

Wie ich eingangs schon sagte, boten die hess. Landgrafen den Juden schon sehr früh Gelegenheit, sich hier im Ort anzusiedeln. So besaßen 1704 schon 2 Juden nachweislich eigene Häuser und auch Grundstücke. Der Landesherr erhob zwar Schutzgelder, aber 1730 haben 3 Juden das verbriefte Recht, Pfänder anzunehmen und dafür Geld auszuzahlen. 8 Tage mußten die Gegenstände bereit gehalten werden, dann durften sie veräußert und zu Geld gemacht werden.

Die Wölfe von Gudenberg, die Höringhausen zu Mannlehen hatten, erstellten 1749 einen Lehnsbrief, in dem die Abgaben genau aufgelistet waren. Das Judenschutzgeld betrug jährlich 3 Schilling, 22 Albus und 4 Heller. Außerdem mußten Naturalien in Form von 1 1/1 Pfund Zucker, einem Kalbsbraten zwischen 7 1/4 und 8 Pfund sowie alle Zungen der geschlachteten Rindviecher geliefert werden.

Das Begräbnisgeld bei Erwachsenen war auf 1 Schilling, 15 Albus festgelegt, bei Kindern waren 22 Albus zu entrichten. Über diese Zahlungen gibt es genaue Auflistungen. Die Hälfte der Einkünfte wurde nach Vöhl abgeführt, die andere verblieb hier im Ort beim Lehnsherrn. Entstandene Unkosten wurden natürlich vorher in Abzug gebracht.

Genaue Daten, sprich: Geburten, Eheschließungen, Todesfälle wurden erst ab 1875 beim Standesamt erfaßt.

Mitte des 18. Jahrhunderts setzte ein verstärkter Zuzug von Juden ein. Das Einzugsgeld war erhöht worden auf 16 Gulden, 15 Albus. 1783 gab es bereits 24 jüdische Familien im Ort.

Das Dorf war landwirtschaftlich strukturiert. Die 19 Ackerleute, 39 Kötter und eine geringe Zahl von Handwerkern versorgten sich mit dem, was Haus und Hof hergaben. Durch die Ansiedlung der Juden, die unter landesherrlichem Schutz ihren verschiedenen Handelsberufen nachgingen, war ein starker Händlerstamm entstanden. Sie kauften überschüssige Produkte der Bauern und versorgten sie mit fehlenden Gütern des täglichen Bedarfs.

Unter den 65 Gewerbetreibenden waren 33 Juden. Davon arbeitete einer als Schuhmacher, einer als Küfer und sieben als Metzger. Die Metzger übten ihre Tätigkeit auch in den umliegenden Orten aus, damit ihre Glaubensbrüder auch koscheres, sprich: ausgeblutetes Fleisch, verzehren konnten. Sie mußten für die Ausübung ihres Berufes eine besondere Steuer bezahlen, die sogenannt Schlacht-Accis. Da ihnen diese Abgabe zu hoch erschien, beschwerten sich alle Metzger gemeinsam beim Rentamt in Vöhl, und die Steuer wurde daraufhin gesenkt.

Das Zusammenleben der Bewohner des Ortes war unproblematisch und gut. Dieses änderte sich erst ab Ende der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts.

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II. Die Synagoge

Im Jahr 1987 erschien in der Reihe „Die blauen Bücher" eine Ausgabe: Synagogen in Hessen - Was geschah seit 1945? Hier sind die Orte aufgelistet, die früher Synagogen hatten, und man untersuchte, was mit diesen Gebäuden geschehen war. In diesem Buch steht u. a. auf Seite 67 und folgende, daß die Höringhäuser Kirche ursprünglich Synagoge gewesen sei und später als Kirche geweiht wurde. Das gleiche steht auch in dem Buch „Juden in Hessen". Diese Behauptung stimmt n i c h t.

Kurze Zeit später kam eine Frau aus Gießen. Sie schaute sich intensiv die Kirche an. Als man sie fragte was sie denn suche, gab sie zur Antwort: „Ich suche ein Zeichen dafür, daß diese Kirche früher eine Synagoge war, aber ich finde nichts." Sie bekam dann zur Antwort, daß sie auch nichts finden könne. Die Synagoge habe dort gestanden, wo heute die Raiffeisenkasse sei. Die Angaben in dem angeführten Buch seien schlicht falsch. - Bei der Frau handelte es sich um Frau Prof. Thea Altaras, der Herausgeberin des Buches.

Im Laufe der Zeit kamen ab und an Leute, deren Vorfahren in Höringhausen gelebt hatten. Auch sie fragten nach der Synagoge. Der damalige Kirchenvorstand sah sich daraufhin veranlaßt, einen Antrag an den Vorstand der Raiffeisenkasse zu stellen mit der Bitte, ein Schild anzubringen, woraus hervorgehen sollte, daß an der genannten Stelle früher die Synagoge gestanden habe.

Wie schwierig dieses Ansinnen war, ist kaum nachzuvollziehen. Immer wieder wurde eine Entscheidung verschoben. Eigentlich wollte niemand solch eine Tafel haben. Bevor der frühere Geschäftsführer, Martin Sohl, dann in den Ruhestand ging, war es so weit. Die Tafel wurde angefertigt, durfte aber nicht am Gebäude selbst, sondern an der Mauer zum Grundstück Dreier hin, angebracht werden.

Im Jahr 1856 gab es im Ort 26 jüdische Familien mit 152 Personen. Die Bewohner lebten in gesicherten, aber nicht eben reichen Verhältnissen.

Die alte Synagoge (1792 gebaut), war baufällig geworden. Sie stand auf dem heutigen Grundstück Sauer, Hauptstraße - Ecke Korbacher Straße.

In einem Brief vom 30.8.1841 vom Großherzoglichen Kreisrath zu Vöhl an den Vorstand der israelitischen Gemeinde in Höringhausen wird festgestellt, daß die alte Synagoge nicht mehr zu reparieren sei. Bevor aber Pläne gemacht würden, solle erforscht werden, „ob der erforderliche Fond zum Neubau durch Umlagen oder Kapitalaufnahmen erbracht werden soll und kann".

Im Jahr 1847 verpflichten sich die männlichen Juden von Höringhausen, je nach Einkommen eine Summe zu zeichnen, die sie in den nächsten Jahren für den Bau einer Synagoge spenden wollen. Ausdrücklich sind Junggesellen mit herangezogen und jeder zwischen 15 und 60 Jahren muß so hoch zeichnen, wie eben möglich. Es kommen 258 Gulden und 20 Albus pro Jahr zusammen.

Gleichzeitig beantragt der Vorstand die Genehmigung, bei Glaubensbrüdern in den Provinzen Oberhessen und Starkenburg Kollekten erheben zu dürfen. Die Gelder werden zunächst bei einer' Sparkasse hinterlegt. (In Vöhl gab es schon seit dem 18.6.1829 eine Spar- und Leihkasse, eine der ersten in Hessen.)

Der Briefwechsel zwischen dem Reg. Bez. Biedenkopf und der hiesigen Gemeinde ist sehr rege. Es heißt u. a., daß die Finanzierung 8 Tage offen gelegt werden muß. Das erinnerte mich doch an Gepflogenheiten, die auch heute gängige Praxis sind. Außerdem steht noch nicht fest, ob die Gelder innerhalb von 3 Jahren zusammen sind, oder ob ggf. doch ein Kredit aufgenommen werden dürfe.

Der Zeitraum der Spenden ist schon sehr lang, und offensichtlich sind 1856 einige im Verzug mit ihren Zahlungen. Aber es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Gelder notfalls auf dem Rechtsweg eingetrieben werden sollen.

Als die Gemeinde einen erneuten Antrag auf Kollekten bei Glaubensbrüdern stellt wird dieser zwar bewilligt, aber gleichzeitig angefragt: „ob sich bei diesem Bauwesen auf das notwendigste beschränkt worden ist und worauf es beruht, daß die Baukosten, die früher nur zu 3.000 Gulden angeschlagen waren, jetzt auf 5.000 Gulden, also viel höher berechnet werden".

Das Grundstück, auf dem die Synagoge errichtet wurde, gehörte der Familie Simon Freudenstein. Das Wohnhaus wurde 1852 abgerissen und im Jahr 1854 mit dem Neubau des Gotteshauses einschließlich Schule und Lehrerwohnung begonnen. Mit einem großen Fest fand die Einweihung statt.

In einem Brief des Großherzogl. hess. Rabbiners zu Gießen an den Vorstand der Israel. Religionsgemeinde in Höringhausen ist nachzulesen, wie die Feierlichkeiten ablaufen sollen. Dort heißt es unter anderem, daß Herr Levi, der Unterzeichner des Briefes, nach Korbach kommt und dort abgeholt werden möchte. Er beschreibt die Aufstellung des Festzuges, die Reihenfolge, die Schlüsselübergabe, schlägt Lieder vor und skizziert den Ablauf des Gottesdienstes. Gleichzeitig begrenzt er die Dauer der Festivität auf 2 1/2 Stunden. Er weißt auch darauf hin, daß Ordnungskommissäre angeheuert werden sollen. Er schließt mit der Hoffnung, daß die Synagoge mit Gottes Hilfe und zu seinem Lobe eingeweiht und geweiht werden könne.

Der sakrale Bau war aus rotem, behauenem Sandstein in rechteckig - gestreckten Grundriss auf niedrigem Sockel, mit Satteldach, die Giebelwände waren über die Dachfläche hochgezogen. Zur Straßenseite waren 5 Öffnungsachsen, wobei in der Mittelachse die zweiflügelige Haupteingangstür auf Sockelhöhe mit breitem Stufenzugang lag. Die Holzfenster waren sprossenunterteilt und hatten durchbrochene Bogenflächen. Zur Straße hin gab es eine Einfriedung (Staketenzaun).

Die Synagoge wurde bis 1937 als Gotteshaus benutzt, ging dann in den Besitz der Spar- und Darlehenskasse über und diente als Lagerraum.

Die Kultgegenstände der jüdische Gemeinde brachte man nach Kassel, wo sie 1938 vernichtet wurden.

Nach dem Krieg stellte man auf Anordnung der Militärregierung wieder den alten Zustand her. Es wohnten mehrere Flüchtlingsfamilien dort. Die Spar- und Darlehenskasse kaufte das Gebäude ein zweites Mal. In den fünfziger Jahren wurde das Haus rigoros umgebaut. Die Fenster- und Türöffnungen sind stark verändert und das Gebäude um volle 2 Fensterachsen verkürzt worden, damit war die Zufahrt zu den neu errichteten Lagerräumen hinter dem Haus möglich.

Schließlich wurde die Synagoge 1990 ganz abgerissen, und an gleicher Stelle das heutige Gebäude der Raiffeisenbank Freienhagen - Höringhausen (früher Spar- und Darlehenskasse) errichtet. Rechts an der Mauer, zum Haus Dreier hin, befindet sich die anfangs erwähnte Hinweistafel.

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Schule

Von 1869 an gab es in Höringhausen eine jüdische Elementarschule. Sie war zunächst Privatschule und hatte 1871 26 Schüler, 1873 waren es 23 Schüler. Ihr Lehrer hieß Benjamin Jaffa. 1886 wurde der Status, auf Antrag der jüdische Gemeinde, in ein eine „öffentl. israelitische Elementarschule" gewandelt. Daraufhin wurde diese Einrichtung, ebenso wie die christl. Schule, jährlich von der Bezirkskommission aus Vöhl visitiert.

Die Schülerzahlen gingen ständig zurück, und so besuchten bald alle Kinder die Dorfschule. Die jüdischen Kinder gingen nur noch zur religiösen Unterweisung in die Synagoge.Teilweise arbeiteten jüdische Lehrer in der Christl. Schule. In den Jahren 1909 -1912 waren gleich zwei angestellt: Herr Stern und Herr Oppenheimer.

An sich war die Zusammenarbeit im Ort gut zwischen Juden und Christen. Einige Israeliten arbeiteten im Gemeinderat mit. Sie gehörten mit zu den Vereinen und brachten sich auch sonst auf vielfältige Art ein. Natürlich wurde dieses Miteinander in den dreißiger Jahren empfindlich gestört.

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III. Der Friedhof

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in der Gemarkung Höringhausen ein jüdischer Friedhof angelegt. Wir finden ihn am Komberg, etwa 100 m von der Bahnlinie entfernt. Hinter dem Viadukt geht rechts ein Feldweg ab, und der Friedhof liegt etwas abseits mitten zwischen landwirtschaftlich genutzten Flächen. Er ist zwischenzeitlich eingezäunt. Das Tor ist abgeschlossen.

Die Gemeinde Waldeck hat die Pflege übernommen. Die Kosten werdet erstattet. (Das Geld kommt vom RP, fließt aber wohl aus einem anderen Topf.)

Die Grabsteine stehen nicht mehr an den ursprünglichen Stellen, sie sind umgekippt, einige zerbrochen. Etliche sind in falscher Richtung wieder aufgestellt worden. Die Inschriften sind z. T. sehr stark verwittert.

Die letzte Belegung war 1936. An einem der Grabsteine ist ein Hinweis eingraviert, daß Alfred Rosengarten, geb. am 28.2.1906, im KZ Buchenwald umgekommen ist.

Als Kind war ich oft auf diesem Friedhof, da meine Tante ganz in der Nähe ein kleines Grundstück hatte. Für mich ging immer eine Faszination von diesem Ort aus. Damals standen die Grabsteine, wie schon gesagt, noch etwas anders, und es waren noch mehr Einfassungen zu sehen. Was ich zunächst nicht verstand, waren die Steine, die ab und an auf einem Grabstein zu finden waren. Später begriff ich, daß Angehörige oder Freunde der Verstorbenen damit dokumentierten, ich war da, ich denke noch an dich. - Blumenschmuck ist den Juden eher fremd.

Damals war der Friedhof noch nicht eingefriedet. Es waren noch Reste einer früher vorhandenen Hecke und die Pfosten des Eingangstores zusehen. Das Tor war kaputt.

Im Laufe der Jahre kamen ab und an Angehörige der ehemaligen jüdische Einwohner, und einer war ganz entsetzt, als Schafe an diesem heiligen Ort grasten. Er beschwerte sich, und so wurde der Zaun gebaut.

Ein Grab ist für einen Juden eine heilige Stätte, die für alle Zeiten bestehen bleibt. Er würde auch nie einer Feuerbestattung zustimmen, auch wenn dieses die übliche Praxis in dem entsprechenden Land sein sollte. Hier sind Worte der Bibel „aus Staub bist du geworden und zu Staub sollst du werden" für jeden Juden bindend.

Das Leben der Juden lief in strenger Ordnung ab. Alles war genauestens geordnet und geregelt und wurde schriftlich festgelegt.

So gab es u. a. eine „Mosaisch - religiöse Begräbnisordnung".

Lt. Schreiben vom 26.3.1844 wurde die Einführung einer Begräbnisordnung in allen Israel. Gemeinden der Provinz Oberhessen angestrebt. Jeder Vorstand einer Gemeinde wurde angeschrieben und gebeten, zu dem beiliegenden Entwurf Stellung zu nehmen und sich innerhalb von 14 Tagen zu äußern.

Die Begräbnisordnung umfaßt 30 Artikel und beschreibt genau den Ablauf der Formalitäten. Sie beginnt mit den rituellen Abläufen im Privatbereich jeder Familie, dem Melden des Todesfalles und weißt darauf hin, daß alle „medizinisch - polizeilichen Verordnungen" strikt einzuhalten sind. Auch die Anfertigung eines Sarges und das Ausheben des Grabes sind festgeschrieben. Ist kein Familienangehöriger da, so muß der Vorstand der israelitischen Gemeinde all diese Aufgaben wahr nehmen.

Nach Möglichkeit soll ein Leichenwagen angeschafft werden. Acht Gemeindeglieder sollen mindestens dem Leichenwagen folgen. Muß die Leiche getragen werden, so sind doppelt so viele Menschen erforderlich, da beim Tragen gewechselt werden muß. Alle, die sich dem Leichenzug anschließen wollen, versammeln sich vor dem Haus des Verstorbenen und begleiten die Bahre, bzw. den Wagen bis zum Friedhof und bleiben dort, bis der Leichnam der Erde übergeben ist und die Gebete verrichtet sind. Jeder männliche Jude zwischen dem 15. und 60. Lebensjahr ist verpflichtet, diesen Dienst auszuüben. Sollte er verhindert sein, kann er sich vertreten lassen. Er wird jedoch niemals aus dieser Pflicht entlassen.

Wichtig ist in Artikel 13, daß alle Leichenträger und -begleiter anständig, wenn es geht, in schwarz gekleidet sein sollen und eine Kopfbedeckung, sprich Hut, tragen.

Die Reihenfolge des Leichenzuges (Conductes) ist folgende: 1. Leichenwagen, 2. Rabbiner, Vorsänger oder Lehrer und Gemeindevorsteher, 3. übrige Gemeinde. Menschen die krank sind oder aus Armut keine angemessene Kleidung besitzen sind von diesen Pflichten entbunden.

Es ist vorgesehen, daß mehrere. Gemeinden gemeinschaftlich einen Friedhof betreiben. Auch hierfür sind genaue Regularien vorgesehen.

Das laute Ausrufen von Leichenbegängnissen ist untersagt. Es darf nur von Haus zu Haus eingeladen werden. Die Kollekten sind vor dem Trauerhaus oder auf dem Friedhof einzusammeln, aber nicht während des Zuges.

Der Sohn des Verstorbenen spricht das Kaddisch und die übrigen Gebete der Vorsänger oder Lehrer laut, die anderen Teilnehmer murmeln nur mit. Will jemand eine Grabrede halten, so ist die offizielle Genehmigung des Rabbiners oder des Vorstandes einzuholen.

Abweichungen von dieser Ordnung müssen beschlossen und dem Gr. Rabbiner der Provinz mitgeteilt werden.

Die Gebührensätze werden vor Ort festgelegt und sind ebenfalls genehmigungspflichtig.

Ausdrücklich werden auch Strafen vorgesehen, wenn diese Ordnung nicht eingehalten wird.

Ähnlich wie die eben vorgestellte Verordnung ist die "Anordnung der Wache bei Kranken und Todten in der Gemeinde in Höringhausen" aufgebaut.

Dort wird festgelegt, wer im Krankheitsfalle zu benachrichtigen ist und wer verpflichtet ist, Krankenpflege und -wache zu übernehmen. So ist jeder Mensch zwischen 15 und 60 Jahren heran zu ziehen. Bei Männern halten Männer Wache, bei erkrankten Frauen Frauen. Diese Wache ist rund um die Uhr zu leisten. Im Sommer genügen für die Nachtwache zwei Personen, im Winter sind vier erforderlich. Da wird um Mitternacht gewechselt und es ist ein "Übergabegespräch" angesagt.

Auch hier wird Strafe erhoben, wenn sich jemand diesen Verpflichtungen ohne zwingenden Grund entzieht. Ist jemand verhindert, kann er Vertretung nehmen, diese ist aber von ihm zu bezahlen.

Kosten, die auf Grund von Armut nicht beglichen werden können, gehen zu Lasten der Israel. Gemeinde.

In dieser Verordnung wird noch einmal ausdrücklich auf die zuvor erläuterte Begräbnisordnung verwiesen, die ausdrücklich anerkannt wird.

Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde verpflichten sich durch Unterschrift, diese Verordnung anzunehmen und schicken sie zum Gr. Rabbiner nach Biedenkopf, wo sie genehmigt wird.

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Schlußbemerkung

Es gäbe sicherlich noch sehr vieles zu berichten, besonders über die Sitten, die Bräuche die religiösen Feste, das Miteinander der Menschen im Ort. Aber ich will hier schließen.

Bedanken möchte ich mich bei allen, die mir Material zur Verfügung gestellt haben als da sind: Herr Figge, Herr Mettenheimer (auch Dias), Frau Böhme, Frau Zimmermann (Dias), Herr Olischläger und Herr Albrecht. Das Ortssippenbuch von Herrn Friedrich Sauer hat mit gute Dienste erwiesen.

Die Bücher Juden in Waldeck, Jüdische Gemeinden in Hessen, Synagogen in Hessen und Jüdische Religion zog ich ebenfalls zu Rate.

Ganz wichtig aber waren mir die Gespräche, die ich mit vielen Menschen hier aus dem Ort geführt habe. Sie beantworteten meine Fragen und erinnerten sich an sehr vieles. Auch heute ist es leider noch nicht selbstverständlich, daß man über die Zeit des Nationalsozialismus unbefangen und offen spricht.

Zum Schluß bedanke ich mich bei Ihnen allen, die Sie mir so lange zugehört haben.

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