30.12.2019, "Wir treten ein für Toleranz"

 
„Wir treten ein für Toleranz“

9.7.2019, "Normale Menschen, so wie wir"

„Normale Menschen, so wie wir“
Memory mit Bildern aus der Synagoge spielten die Kinder.
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Renner, Julia

VON JULIA RENNER

Vöhl - Wie vermittelt man Kindern die Gräueltaten des Nationalsozialismus? Die Landkulturboten in der Vöhler Synagoge stellen sich auch dieser Aufgabe. Während des besonderen Ferienjobs hatten Celina Henkler und Leo Wilden am Montag Besuch aus dem Vöhler Kindergarten.

„Wisst ihr denn, was eine Synagoge ist?“, wollte Leo Wilden von den Mädchen und Jungen wissen. „Eine Kirche“, ruft eines der Mädchen im Stuhlkreis. Henkler und Wilden, beide 15 Jahre alt, erklären den Kindern den jüdischen Glauben und die Judenverfolgung mit einfachen Worten. „Sie waren normale Menschen, so wie wir auch, aber manche mochten sie nicht und brachten sie deshalb weg.“ Die Drei- bis Sechsjährigen hören aufmerksam zu.

„Mit Zahlen können die Kinder nicht viel anfangen“, war sich Leo Wilden zuvor bereits sicher. Mit Celina Henkler hat er deshalb nicht nur einen lockeren Stuhlraum aufgebaut, sondern auch ein Memory-Spiel vorbereitet. Die beiden Ferienjobber haben dafür Gegenstände aus der Synagoge fotografiert. Mit diesen gehen die Kleinen im Anschluss noch durch das ehemalige jüdische Gotteshaus. Sie sollen einige dieser Gegenstände finden. Wer etwas entdeckte, bekam eine kleine Leckerei. „Das spielerische Element ist wichtig“, sagt Wilden.

Zusammen mit den 21 Kindern ist auch Kindergartenleiterin Marion Fichtenau in die Synagoge gekommen. Wilden hatte bei ihr angefragt, ob sie nicht einmal mit einer Klasse zu einer Führung kommen wolle. Sie sagte spontan zu, bereits im vergangenen Jahr war sie mit einer Gruppe zum Besuch in der Synagoge.

Auch jüngeren Kindern könne man diesen Teil der deutschen Geschichte näher bringen, findet sie. „Kinder können gut unterscheiden zwischen Gut und Böse“, sagt sie. „Man kann ihnen vermitteln, dass jeder seinen Platz hat. Niemand ist besser oder schlechter als jemand anders.“ In kleiner Runde fragt sie ein paar Mädchen und Jungen: „Darf man einfach in eine Kirche gehen und alles kaputt hauen?“ Die Antwort der Kinder ist eindeutig: „Nein!“

Jeweils zwei Wochen sind stets zwei Landkulturboten in der Synagoge, unter anderem, um in der Ferienzeit Führungen anzubieten. Montags bis freitags, zwischen 9 und 12 sowie von 13 bis 16 Uhr stehen die Türen für Besucher offen. Auch an weiteren Projekten arbeiten die Kulturboten während des Ferienjobs. So erstellt Celina Henkler eine Präsentation über jüdische Familien in ihrem Wohnort Basdorf, während Leo Wilden tiefer in das Thema Euthanasie einsteigt. Zum Abschluss des Landkulturbotenprojekts werden die Arbeiten vorgestellt.

Für die beiden Schüler ein spannender Ferienjob, bei dem sie selbst noch viel lernen, erzählen sie. Den Nationalsozialismus mache man sich durch die Arbeit noch einmal ganz anders bewusst, sagt Leo Wilden.

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Renner, Julia

23.12.2019, Ein Heim für verstoßene "Mischlingskinder"

 
Ein Heim für verstoßene „Mischlingskinder“
HistorikerinEva-Kathrein Hack
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Hennig, Armin

Vöhl-Asel - Einer der letzten Vorträge der Reihe „Facetten des Rassismus“ des Förderkreises der Synagoge behandelte eine Einrichtung, bei der Vöhl gewissermaßen ein historisches Alleinstellungsmerkmal besaß: Das Albert-Schweitzer-Heim für „Mischlingskinder“ in Asel.

Nach der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg und in einer Gesellschaft, die durch die Rassenlehre der Nazis geprägt war, standen Frauen unter Druck, wenn sie ein Kind zur Welt brachten, das einen Vater mit afrikanischen Wurzeln hatte.

Referentin Eva-Kathrein Hack ist in den 50ern in Asel aufgewachsen und hatte Kontakt mit den Kindern, die von 1956 bis 1959 auf dem Weinberg eine Heimat fanden. Als Heimatkundlerin hatte sie sich die Geschichte des Heims vorgenommen und Forschungsliteratur studiert. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass Asel bei Fachgelehrten zu Unrecht in schlechtem Licht steht - wenn man die gesellschaftlichen Verhältnisse der Nachkriegsjahre als Maßstab nimmt.

Schwierigkeiten mit Verwandten, schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder ein Zukünftiger, der bei der Familienplanung bei null anfangen wollte, führten dazu, dass etwa ein Drittel von 6800 Frauen ihre Kinder in staatliche Fürsorge gaben. Die Vermittlung an kinderlose afro-amerikanische Paare war ein Ansatz, oft blieb aber nur die Heimunterbringung, wo die farbigen Außenseiter unter Druck gerieten.

Um der Diskriminierung aus dem Weg zu gehen, entwickelte die Pfarrersfrau Irene Dilloo einen eigenen Ansatz. Die „Mischlingskinder“ sollten in einem Heim unter ihrer Fürsorge aufwachsen und dabei drei Stufen der Akzeptanz durchlaufen: Annahme der eigenen Hautfarbe, Vergebung der weißen Gesellschaft und Vergebung der eigenen Mutter. Das Haus auf dem Weinberg war das Ausweichquartier für Dilloo, die ihr Konzept bereits mit 16 Kindern nahe Wuppertal realisiert hatte.

Die Miete im ehemaligen Bergarbeitererholungsheim in Asel lag bei 750 Mark, sie war „kein Preis der Nächstenliebe“, so der Autor einer Münchner Illustrierten. Mit der Überschrift „Haus der Verstoßenen“ prägte der Journalist einen Begriff, der dem Albert-Schweitzer-Heim bis in die neuere Forschungsliteratur gefolgt ist.

Aufgrund der hohen Miete nutzte Dilloo sämtliche Kanäle beim Sammeln von Spenden und wurde damit international bekannt. Die permanente Öffentlichkeitsarbeit sorgte aber auch dafür, dass die Jugendämter den Verstoß gegen geltende Richtlinien aus der Welt schaffen wollten. Die Kinder wurden 1959 auf dem Schulweg abgefangen und kamen unter Obhut der Behörden oder zurück zu den Müttern, die Druck auf die Ämter wegen Rückgabe ihrer Kinder ausgeübt hatten. Foto: hennig  ahi

 

11.12.2019, Leben mit Widersprüchen

 Leben mit Widersprüchen
 
 
„Unter den Wolken“: Dieser Song der „Toten Hosen“ geriet zum rockigsten Moment des alternativen Weihnachtsoratoriums von Paul Hoorn und Freunden in der Vöhler Synagoge. Foto: Armin Hennig
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Hennig, Armin

VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Mit ihrem dialektischen Weihnachtskonzert „Und die Finsternis hat es nicht begriffen“ gastierten Paul Hoorn und Freunde zum zweiten Mal in der Alten Synagoge in Vöhl.

Die Neuauflage des Plädoyers für ein Leben in Vielfalt und mit den Widersprüchen dieser Welt geriet spiritueller als im Vorjahr. Im komplett abgedunkelten Raum disputierten die Stimmen von Paul Hoorn, Matthias Manz und Karolina Petrova das Für und Wider eines Weihnachtskonzerts und einer angemessenen Liedauswahl für einen alternativen Entwurf.

Dabei übernahm der Kopf der Gruppe die Rolle des Spielverderbers, der mit seiner resignierten Einstellung jeden Wunsch des Traditionalisten an der Gitarre nach wenigstens ein bisschen heile Welt zum Fest, unterläuft.

Als Stimme von oben griff Carolina Petrova mit geistreichen Gegenvorschlägen und dem Verweis auf die jiddischen Traditionen vermittelnd in den Disput ein und lieferte die Vorlage zur Eröffnung „In der Finster.“

Ein düsterer Akkordeonlauf und ein Schmerzensruf eröffneten den musikalischen Dreiklang aus jiddischer Leidenserfahrung, Nachkriegselend („Zur halben Nacht“) und christlicher Tradition („Es ist ein Ros’ entsprungen“). Die inhaltlichen und musikalischen Wechselwirkungen zwischen der zu allen Zeiten gern gesungenen Vorlage und der Neubesinnung in der Trümmerlandschaft spann den dialektischen Faden weiter. Die Verbindung von Verfolgung und Leid, Aneignung und Weiterentwicklung der Traditionen mit abschließender Rückkehr in die weihnachtliche Konvention bildete auch den folgenden Dreiklang.

„Unter dajne wajsse Schtern“ war während des Zweiten Weltkriegs im Ghetto von Wilna entstanden und gestaltete mit Hoffnung in aussichtslosen Zeiten den Widerspruch in sich. Den heiteren Kontrast zum Hunger im Ghetto bildete Paul Hoorns Vertonung des kaschubischen Weihnachtsliedes von Walter Bergengruen.

Es ist eine Parodie auf den Stolz der slawischen Pommern auf ihre deftige Küche, die einen ganz anderen Kerl aus dem Jesuskind gemacht hätte, wäre die Krippe nicht in Bethlehem, sondern in den Kaschubei gestanden. Diese extrem bodenständige kulinarische Ausrichtung wirkte zunächst als krasser Gegensatz zur barocken Dichtung Johann Francks und Johann Sebastian Bachs Vertonung von „Ihr Gestirn, ihr hohen Lüfte“, doch das Finale stellte die Verbindung her.

Die finale Auflösung der dialektischen Widersprüchlichkeiten blieb der ersten Zugabe vorbehalten. „Durch den Riss in jedem Sein, kommt erst das Licht hinein“, mit dieser Zeile aus Leonard Cohens „Hymne“ spielten Paul Hoorn und Freunde ihr letztes und überzeugendstes Plädoyer gegen geschlossene Weltbilder und für das Leben mit den eigenen Widersprüchen.

 

12.11.2019, Tag zur Freude und zur Trauer

 
 Tag zur Freude und zur Trauer
 
Eine Vöhler Flötengruppe spielte jüdische Weisen. Fotos: Nadja Zecher -Christ
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Nadja Zecher-Christ

VON NADJA ZECHER-CHRIST

Vöhl - Der 9. November ist ein Tag der Freude aber auch der Trauer. Freude bescherte der Fall der Berliner Mauer (1989), für Trauer sorgte das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte, denn bei der „Reichspogromnacht“ (1938) wurden jüdische Geschäfte und Synagogen in Brand gesetzt. Auch in Waldeck-Frankenberg verloren zahlreiche jüdische Bürger durch die NS-Rassenpolitik ihr Leben.

In Vöhl wurde wieder traditionell mit einer Gedenkfeier an die Holocaust-Opfer und deren Angehörigen gedacht. Die Veranstaltung wurde mit einem Friedensgebet in der Vöhler Martinskirche eingeläutet, umrahmt von einer Flötengruppe.

„Es gibt Tage, da weiß man nach Jahrzehnten noch, wo man gewesen ist“, sagte Pfarrer Jan-Friedrich Eisenberg. Er habe im Arbeitszimmer seines Vaters im Fernsehen vom Mauerfall erfahren. Er und die Eltern hätten gespannt die Ereignisse verfolgt.

Bei der Pogromnacht und beim Mauerfall sei man jeweils mit einer Regierung konfrontiert gewesen, die sich nicht um biblische Visionen scherte und keine Pluralismen duldete. Das eine Mal sei Deutschland in Schutt und Asche gelegt und vier Millionen Menschen unbeschreibliches Leid zugefügt worden. Beim anderen Mal sei äußerlich nicht viel zerstört worden, doch der Staat habe sich als riesiges Instrument der Repression entpuppt, welches eine freie Lebensentfaltung verhinderte.

Bürgermeister Matthias Stappert hielt in der Synagoge eine Gedenkrede und befand, dass der 9. November 1989 sich gut dazu eigne, die Einheit Deutschlands zu symbolisieren. Mit dem 9. November 1938 sei jedoch Leid über die Juden in Gestalt der Reichspogromnacht gekommen. Der Geist des Nationalsozialismus in Europa rege sich seit einigen Jahren wieder deutlicher und stärker und nannte dazu den Brexit und die Visegrád-Staaten. Nationale Egoismen brächen auf und die Gefahr wuchere auch in Deutschland von rechts und links. „Ich hoffe, dass Freiheitlichkeit, Bürgersinn und Klarheit des Denkens siegreich bleiben über Dummheit, Ignoranz, Moralismus und Parolen“, betonte Stappert.

Der ehemalige Vöhler Pfarrer Günter Maier verlas das Kaddisch-Gebet auf Deutsch, Barbara Küpfer trug es auf aramäisch vor. Auf dem Klavier und Flöten wurden jüdische Weisen vorgetragen. Tom Wiesemann, Najila Nazeri, Mali Klöcker, Leo Wilden und Laura Evers entzündeten 72 Teelichter zum Gedenken an die Holocaust-Opfer.

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Nadja Zecher-Christ

12.11.2019, Auftritt mit musikalischem Humor

 
Auftritt mit musikalischem Humor und Virtuosität
 
Phantasie in Gelb: Mit „Hoch auf dem gelben Wagen“ als Teil eines Weltmusik-Hitmix boten „Quadro nuevo“ musikalischen Kleingeistern die Stirn. Foto: Hennig
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Hennig, Armin

VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Sechs Jahre ist es her, seitdem „Quadro nuevo“ zuletzt in der Alten Synagoge gastiert hatten. Da die vier Weltmusiker seitdem neue Wege gegangen sind, geriet auch das Wiederhören mit Kindheitserlebnissen wie „Hoch auf dem gelben Wagen“ oder „Die Gedanken sind frei“ zum Erstkontakt für zahlreiche Zuhörer.

Im halbstündigen Opener „Flying Carpet“ und dessen zahlreichen nahtlosen Übergängen von einer morgenländischen Region zur nächsten forderte sich das Quartett und verlangte dem Publikum ebenso viel Aufmerksamkeit wie Bewunderung ab. Auf die Tour de Force durch diverse Stile und dynamische Extreme folgte mit „Café Cairo“ die Konfrontation zwischen westlicher Walzer-Tradition und nahöstlichen Klängen, die Akkordeonist Andreas Hinterseher aber erst einmal in kreativer Karl-May-Nachfolge komponiert hatte. Bei der Erstaufführung in Kairo war es dann zu einem denkwürdigen Crossover gekommen, bei dem die afrikanischen Musiker den Walzer-Part und die vier Europäer den orientalischen Teil übernommen hatten. Eine anregende Erfahrung für alle Beteiligten.

Den Weg der Auseinandersetzung mit der lokalen Tradition wollten nicht alle Fans mitgehen, ließ Saxofonist Mulo Francel in der Ansage zum von Bundespräsident Walter Scheel und Heino in die deutschen Hitparaden gebrachten Volkslied anklingen. Die in Postfarben gerückte kreative Auseinandersetzung mit musikalischen Kindheitstraumata geriet aber so weltläufig wie vom Quartett gewohnt und damit zum Musterbeispiel für Kombination von musikalischem Humor und Virtuosität. Denn anstelle von gemächlichem Postkutschentempo begleiteten feurige Bossa-Nova-Rhythmen die bekannte Weise, die sich immer wieder atomisierte und neu zusammensetzte und dabei auch andere Welthits wie „Tequila“ aufscheinen ließ, bevor sich die nächste mehr oder minder vertraute Konstellation einstellte.

Neue Wege gingen Bassist/Percussionist D. D. Lowka und seine Mitspieler auch beim Arrangement von „Die Gedanken sind frei“. Für die ganz in blau ausgeleuchtete Jazz-Version hatte Akkordeonist Hinterseher Trompete gelernt. Pianist Chris Gall, der erstmals in Vöhl mit dabei war, sorgte an den Tasten für das Hardbop-Feeling. Eine Komposition des „Neuzugangs“ erwies sich dagegen eher als Stolperstein für die Hörgewohnheiten von langjährigen Fans. Erklangen die vermeintlich verpönten Volkslieder in gewohnter Vielfalt, so geriet das ungewöhnlich geradlinig und klar strukturierte „Thom Yorkes Guitar“ zum Fels in der musikalischen Brandung des fließenden Sounds. Orient und Okzident bildeten in der finalen Sehnsuchtsballade „Ikarus Dreams“ eine vollkommene Synthese.

In den beiden Zugaben „Der Mond ist aufgegangen“, und Variationen über Mozarts Kanon „Bona nox“ knüpften die vier Weltmusiker auf Jazz-Basis noch einmal zahlreiche Querverbindungen zwischen Volkslied, Klassik und Folklore.

 

6.11.2019, Schwierige Wege in die neue Heimat

 
Schwierige Wege in die neue Heimat
Am Gesprächsnachmittag stellte (von links) Herbert Keim auch Öslem und Riza Aras Fragen zu ihren Leben in Deutschland. Foto: celina pohlmann
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Pohlmann, Selina

VON SELINA POHLMANN

Vöhl - Ein spannender Gesprächsnachmittag fand am Sonntag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Facetten des Rassismus“ statt. Organisiert vom Förderkreis „Synagoge in Vöhl“ stand die dritte Staffel der Reihe unter der Überschrift „Wir und die anderen“; sie stellte die Frage, wie sich unsere Gesellschaft jenen gegenüber verhält, die nach Deutschland kommen.

Zahlreiche Gäste waren eingeladen, von ihrer Flucht oder Vertreibung zu berichten - sei es aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg oder der Gegenwart. Denn „es gab schon immer Konflikte im Zusammenhang mit Zuwanderung“, erklärte Karl-Heinz Stadtler, Vorsitzender des Förderkreises.

Von den Gründen, die dazu führen das Heimatland zu verlassen, über den Fluchtweg, bis in zu der Aufnahme in Deutschland und der Frage nach gelungener Integration reichten die verschiedenen Geschichten. Sie verdeutlichten, wie vielfältig Migration ist. So kam Gerhard Stumpe aus Zierenberg 1945 als Vertriebener aus Gablonz im tschechischen Nordböhmen in einem Flüchtlingszug nach Herzhausen und dann nach Basdorf. Zwei seiner Schwestern wurden beim damaligen Bürgermeister untergebracht. Er selbst und seine Mutter mit zwei weiteren Geschwistern musste in einem neun Quadratmeter großen Zimmer leben, bis sie eine eigene Wohnung fanden. Trotz seiner bewegenden Vergangenheit, die geprägt ist von politischen Umbrüchen, Krieg und Vertreibung, habe er in Nordhessen eine neue Heimat gefunden. „Das ist mein Weg von meiner Heimat in eine neue Heimat gewesen“, sagte Stumpe.

Öslem und Riza Aras leben in Frankenberg. Sie kamen als Gastarbeiter aus dem türkischen Igdir nach Deutschland und erzählten von Problemen mit Sprachkursen und Arbeitsgenehmigungen.

Außerdem berichtete Richard Oppenheimer, der derzeit aus den USA in Bad Wildungen zu Gast ist, von seiner Mutter und Großmutter, die die Konzentrationslager der Nationalsozialisten überlebten und später in die USA emigrierten.

Auch Shams Haydari erzählte seine Geschichte. Er floh 2015 aus dem Iran und kam über Türkei und Balkanroute nach Deutschland. Den gleichen Weg nahmen die Kurdin Bayaza Rostom und der Syrer Essa Almohammad Alessa in den Jahren danach. Khadar Mahammed Dahirfloh 2016 aus Äthiopien über die Sahara, das Mittelmeer und Italien.

Jeanette Küpfer hatte ebenfalls eine beeindruckende Geschichte zu erzählen. Sie floh als einjähriges Kleinkind mit Eltern und Geschwistern nach Shanghai, lebte dort 14 Jahre und emigrierte dann zunächst nach Italien, bevor ihr Weg später nach Deutschland führte. Die Lebensberichte wurden mit Bildern aus der Heimat der Migranten und mit Karten der Fluchtrouten unterlegt. Herbert Keim (Frankenberg) und Karl-Heinz Stadtler moderierten und führten die Gespräche.

 

4.11.2019, Gelingt Integration im Landkreis?

 
Gelingt Integration im Landkreis?
Diskussion in der Vöhler Henkelhalle: (von links) Karl-Heinz Bastet, Latif Al-Homssi, Majd Ajam, Ursula Müller, Kilian Emde, Änne Vetterlein, Gerhard Gottmann, Johannes Rabe und Amir Hourizad. Foto: Selina Pohlmann
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Pohlmann, Selina

VON SELINA POHLMANN

Vöhl - „Wir und die Anderen“ war der Titel: Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Facetten des Rassismus“ hat der Förderkreis Synagoge in Vöhl am Samstagnachmittag zu einem Markt der Möglichkeiten in die Henkelhalle eingeladen. Bei Kaffee und Kuchen tauschten sich die Besucher über die Themen Flucht und Integration aus, bevor ein Rahmenprogramm dann das Thema vertiefte.

Bei einer Podiumsdiskussion diskutierten Karl-Heinz Bastet, Latif Al-Homssi, Majd Ajam, Kilian Emde, Änne Vetterlein, Gerhard Gottmann, Johannes Rabe und Amir Hourizad über die Frage, ob Integration in Waldeck-Frankenberg gelungen ist. Die Vertreter des Landkreises, Netzwerker, Ehrenamtler, Betreuer und Flüchtlinge selbst boten mit ihren verschiedenen Blickwinkeln einen „vielseitigen Blick auf die Situation“, so Moderatorin Ursula Müller.

Bei der Unterhaltung sollten aber nicht nur die guten Entwicklungen dargestellt werden, auch Verbesserungsvorschläge wurden vorgebracht. Kilian Emde, Fachdienstleiter Ausländerwesen des Landkreises, betonte, dass seit 2015 die größte Herausforderung gewesen sei, „in irgendeiner Weise für alle da sein zu wollen“. Dafür habe vor allem Personal für den hohen bürokratischen Aufwand gefehlt.

Majd Ajam kam 2015 aus Syrien nach Deutschland, studiert mittlerweile in Gießen und ist ausgebildeter Rettungssanitäter. Er habe zwar viel Hilfe erhalten und sei dafür mehr als dankbar, allerdings habe auch er eineinhalb Jahre auf die Genehmigung gewartet, andere hätten bis heute noch keine. Viele andere Asylbewerber hätten es schwer und würden es auch weiter schwer haben, wenn sie keinen direkten Kontakt zu Betreuern und zum Ausländeramt hätten.

Aus dem Publikum kam daraufhin die Frage nach der anderen Seite auf: Nach denen, die die Flüchtlinge aufnehmen. „Integration kann nur gelingen, wenn die Gesellschaft sich weiter aktiv engagiert“, sagte Johannes Rabe vom Jobcenter Korbach. Daher würden die Ehrenamtler, die sich für Toleranz und gegen Rassismus einsetzen eine schwere Last mit ihrer wichtigen Arbeit tragen.

Im Anschluss an die Diskussion wurde „Sarahs Flucht“ aufgeführt. In dem Theaterstück geht es um ein afghanisches Mädchen, das sechs Monate lang auf der Flucht war, mit dem Ziel, nach Deutschland zu kommen. Das Besondere: Das Stück handelt von der wahren Geschichte zweier Kinder, die bei dem Theaterstück selbst mitwirkten.

Die Kinder erzählten eindrücklich, welche Schwierigkeiten und traumatischen Ereignisse mit der Flucht einhergegangen waren. Angst, Gestank, Enge, Gefahr, Gewalt und Langeweile waren die schmerzhaftesten Dinge, an die sich die Kinder erinnerten. Als der Flüchtlingszug in Österreich von rechtsradikalen Demonstranten gestoppt wurde, erreichten diese Gefühle ihren Höhepunkt. Schließlich kam die Familie in einem Lager in Kassel an, heute lebt sie in Eppe.

Mit traditioneller Musik aus dem Iran des „Dilan Ensembles“ klang der Tag anschließend aus.

Bürokratische Hürde ist groß

 

26.10.2019, Zeichen gesetzt gegen Rassismus

 
Zeichen gesetzt gegen Antisemitismus
 
Facetten des Faschismus in Geschichte und Gegenwart: Vom Kinderbuchklassiker über die Aussteigerbeichte eines früheren Neonazis bis zu praktischen Handreichungen reichte die Bandbreite der präsentierten Texte in der Alten Synagoge. Foto: armin hennig
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Hennig, Armin

VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Als Reaktion auf den Anschlag von Halle setzten Besucher in der Alten Synagoge Vöhl ein Zeichen. Sie lasen aus Klassikern der Literatur gegen den Antisemitismus und aus aktuellen Texten, die sich mit dem Phänomen des Rechtspopulismus auseinandersetzen. „Das Unsägliche geht leise über das Land“, dieses bedrohliche Fazit zog Ingeborg Bachmann in ihrem Gedicht „Früher Nachmittag“ über das neue Behagen der alten Nazi-Eliten im Nachkriegsdeutschland.

Barbara Küpfer hatte sich unter dem Eindruck des Anschlags auf die Synagoge von Halle für die schaurig-subtile Momentaufnahme mit überzeitlichen Momenten entschieden. Die Täter von einst spielen keine aktive Rolle mehr im politischen Leben, manche überholt geglaubte Einstellungen kommen wieder, „da eine immer kompliziertere und unübersichtlichere Welt die Regression auf den Nationalismus und das Vertraute begünstigt, erklärte Karl-Heinz Stadtler.

Ulrich Müller stellte in seiner Lesung aus einem im Spiegel erschienen Artikel dagegen die Techniken vor, mit denen rechtspopulistischen Einstellungen unter Kollegen oder Verwandten begegnet werden kann, ohne in eine Eskalationsspirale zu geraten. Die Bandbreite reichte von freundlichem, aber entschiedenen Widerspruch im persönlichen Gespräch bis zur Aufdeckung von Scheinzusammenhängen, bei denen ein Problem überhaupt nichts mit dem anderen zu tun hat. So etwa bei den Themen Obdachlosigkeit und der Versorgung von Asylsuchenden, da die Finanzierung der Bedürftigen aus ganz unterschiedlichen Etats stamme.

Die Schere zwischen Theorie und Praxis beziehungsweise persönlicher Überzeugung und unmittelbarer Konfrontation mit rechten Einstellungen im Alltag bestimmte die Diskussion. Denn alle Anwesenden waren in Beruf und Alltag mit Konstellationen konfrontiert worden, in denen es mit bloßem Widerspruch gegenüber Vorurteilen nicht immer getan war.

„Einem Schüler, der von einer populistischen Seite oder rechten Band verhetzt ist, kann man leicht widersprechen. Ein gestandener 60-Jähriger, der um seine gerade verstorbene Mutter trauert und dabei rassistische Überzeugungen äußert, ist hingegen schon ein schwierigerer Fall“, gab Pfarrer Eisenberg zu, der bei Musikwünschen zu Trauungen sehr genau hinsieht. Nach eingehender Prüfung des Textes hatte er das Liebeslied einer einschlägig verrufenen Band aber zugelassen.

 

8.10.2019, Rassismus und Völkermord

 
Rassismus und Völkermord
Die Ausstellungen in der Vöhler Synagoge eröffneten am Sonntag Dr. Wolfgang Werner, Dr. Hartmut Wecker und Karl-Heinz Stadtler. Zu sehen sind Zeichnungen und Fotos. Foto: Selina Pohlmann
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Privat

VON SELINA POHLMANN

Vöhl - Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Facetten des Rassismus“ des Förderkreises Synagoge in Vöhl wurden am Sonntagvormittag zwei Ausstellungen zum Thema „Rassismus und Völkermord“ eröffnet. Dies ist das zweite Themengebiet, dem sich die Veranstaltungsreihe widmet.

In der ersten Staffel ging es um die Themen „Vernichtung und Auslese“, die dritte und letzte Staffel wird ab dem 1. November unter der Überschrift „Wir und die anderen“ stehen.

Der erste Vorsitzende des Fördervereins, Karl-Heinz Stadtler, eröffnete die Ausstellungen am Sonntag mit mahnenden Worten zu aktuellen Entwicklungen in Politik und Gesellschaft. „Rassismus ist ein Thema, das uns in letzter Zeit wieder sehr bewegt hat“, erklärte Stadtler.

Insgesamt zwölf Bilder des Künstlers Enric Rabasseda erzählen auf subtile Weise von Gewalt, Unterdrückung und Ausgrenzung.

Dr. Hartmut Wecker eröffnete die Ausstellung mit Gedanken zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Es sei angesichts der aktuellen Entwicklungen, besonders seit der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 „nicht nur begrüßenswert, sondern notwendig“, dass sich der Förderverein mit dem Thema auseinandersetze. Weitere interessante Gedanken zu den einzelnen Zeichnungen gaben Bekannte Stimmen des Landkreises in Form von Kommentaren ab, die die Ausstellung nicht nur sehens-, sondern auch lesenswert machen.

Die zweite Ausstellung umfasst ebenfalls zwölf Werke, allerdings keine Zeichnungen, sondern analoge Schwarz-Weiß-Fotografien. Die Bilder des Fotografen Christoph Alexis Werner sind alle situativ entstanden, in den Jahren 2005 bis 2009, auf dem Gelände der Firma „Topf & Söhne“, kurz vor dem Abriss.

Das Unternehmen mit Sitz in Erfurt stellte die Verbrennungsöfen her, in denen in den Konzentrationslagern die Opfer des millionenfachen Völkermords verbrannt wurden. Dr. Wolfgang Werner eröffnete stellvertretend für seinen Sohn die Ausstellung in der Vöhler Synagoge und gab einen geschichtlichen Überblick zum Thema „Topf & Söhne“.

Die dritte Ausstellung, die sich Besucher momentan anschauen können, beschäftigt sich noch mit dem Thema aus der ersten Staffel „Vernichtung und Auslese“, genauer gesagt mit Eindrucken aus Gedenkstätte Hadamar, einer früheren Tötungsanstalt.

Bis zum 31. Oktober können die drei Ausstellungen in der Vöhler Synagoge noch besucht werden. Ergänzt wird das Programm durch Vorträge zum Thema Rassismus und Völkermord.