Donnerstag, 06. November 2025, Waldeckische Landeszeitung / Landkreis
Momente von großer Schönheit
Franz Schuberts „Schwanengesang“ erklingt in der Synagoge Vöhl

Vöhl – Franz Schubert hat das klavierbegleitete Sololied, das bis dahin eher ein Nebenprodukt im Schaffen vieler Komponisten war, zu einer ästhetisch eigenständigen musikalischen Gattung entwickelt und in seinem nur 31 Jahre währenden Leben mehr als 600 Liedkompositionen geschaffen. Seine Gestaltungskunst gipfelt in den drei großen Liedzyklen, die man sozusagen als „Magna Charta“ dieses Genres verstehen kann: „Der Schwanengesang“, „Die schöne Müllerin“ und „Die Winterreise“.
Den „Schwanengesang“ hatte der aus Vöhl stammende und heute im Opernchor des Staatstheaters Kassel wirkende Bariton Christian Backhaus für sein Rezital in der Synagoge Vöhl ausgewählt und dabei den ursprünglichen Zyklus von 14 Liedern um vier Nummern erweitert. In der Erstveröffentlichung durch den Wiener Verleger Haslinger besteht der „Schwanengesang“ aus sieben Liedern nach Texten von Ludwig Rellstab, sechs Liedern nach Heinrich Heine und einem, dessen Text von Johann Gabriel Seidl stammt. In Christian Backhaus´ Version kamen noch ein Lied von Rellstab (Herbst) sowie drei von Seidl (Der Wanderer an den Mond, Am Fenster und Sehnsucht) hinzu.
Schubert hat die einzelnen Elemente des Liedes, Text, Gesang und Klavierbegleitung, emanzipiert und jedem eine eigenständige Bedeutung zugewiesen. Das Klavier begleitet nicht nur, es gestaltet auch deskriptiv und lautmalerisch und greift kommentierend in den Text ein.
Mit Anna Todorova hatte Backhaus eine versierte Pianistin an seiner Seite, die ihn konzentriert und einfühlsam unterstützte, obwohl ihr mit dem sehr obertonarmen und träge reagierenden Digitalpiano in der Synagoge kein optimales Arbeitsgerät zur Verfügung stand. Dennoch vermochte sie Momente von großer Eindringlichkeit und Schönheit zu kreieren. So etwa im einleitenden Impromptu in Ges-Dur von Schubert, in dem sie die weit schwingende Melodie über den gebrochenen Akkorden sehr plastisch und bewegend herausarbeitete und im kontrastierenden Mittelteil dramatische Akzente setzte.
Christian Backhaus scheint eine genuine Affinität zum Liedgesang zu besitzen. Er bringt alle stimmlichen und gestalterischen Mittel mit, die es zu einer überzeugenden und nachhaltigen Liedinterpretation bedarf. Er singt sehr textverständlich, seine Stimme hat einen großen Ambitus, der bis ins metallisch strahlend Tenorale geht und auf der anderen Seite in tiefste Bassregionen, quasi von „Tristan“ bis „Sarastro“.
Seine Phrasierung ist präzise und überzeugend und er verfügt über eine große Palette stimmlicher Register, die den lyrischen Stücken oft dramatischen Impetus verleihen. Ihm gelang das spielerisch heitere Moment wie etwa in der eröffnenden „Liebesbotschaft“ oder in der abschließenden „Taubenpost“ ebenso überzeugend wie die dramatische Kumulation in „Kriegers Ahnung“ oder besonders auch in Heinriche Heines „Atlas“.
In Liedern wie „In der Ferne“ (Nr. 6) oder „Der Wanderer an den Mond“ (Nr. 16) verband er lyrische Elemente mit dramatischen Ausbrüchen und grandiosen Schlusssteigerungen. Besonders anrührend gestaltete er auch die lyrisch-kontemplativen Kompositionen wie etwa das bekannte „Ständchen“ (Leise flehen meine Lieder).
Es war ein Konzert mit beispielhaft dargebotener Liedkunst, die auch das Publikum unmittelbar berührte. Zum Abschluss gab es stehende Ovationen für Christian Backhaus und Anna Todorova, die diese mit zwei Zugaben, absoluten Highlights aus Schuberts Liedschaffen, belohnten: „An die Musik“ (O holde Kunst) und „Du bist die Ruh“ nach einem Gedicht von Friedrich Rückert.DR. HARTMUT WECKER