Vöhl – Dr. Harro Jenss, ehrenamtlicher Archivar der DGVS (Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten) referiert am Donnerstag, 27. Februar, um 19 Uhr in der ehemaligen Synagoge in Vöhl über das Schicksal jüdischer Ärzte im Nationalsozialismus.

Im Jahre 1933 war 1 Prozent der deutschen Bevölkerung jüdischen Glaubens, jedoch 10 Prozent der Ärzte und über 20 Prozent der Gastroenterologen., wird in einer Pressemitteilung erläutert.

Lange wurde die Zeit zwischen 1933 und 1945 in der Geschichte der Fachgesellschaft verschwiegen. Etwa ein Viertel der damals 480 Mitglieder der DGVS galten 1933 als „nicht arisch“. Fünf der sechs Mitglieder des Vorstandes bekannten sich zur mosaischen Religion oder hatten Eltern jüdischen Glaubens. Prof. Ismar Boas, der Begründer der Gastroenterologie, nahm sich 1938 in Wien das Leben. Der Tagungspräsident des Fachkongresses 1933, Prof. Hermann Strauss, starb 1944 in Theresienstadt.

Alle diese Ärzte haben aktiv und wesentlich zur wissenschaftlichen Entwicklung des damals jungen Faches Gastroenterologie beigetragen, sie versorgten Patienten in Praxen und Krankenhäusern, besuchten Kongresse. Sie waren hochgeachtet, bis die Kollegialität an die Konfession gebunden wurde. Die Ärzte verloren im März 1933 die Zulassung zur Behandlung von Kassenpatienten, im September 1938 ihre ärztliche Approbation, also die Erlaubnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs .

Der Mehrheit der jüdischen Ärzte gelang bis 1940 die Flucht ins Ausland, sie konnten dort unter größter Mühe ein neues Leben beginnen und ihre ärztliche Karriere fortsetzen. Manche hatten diese Möglichkeit nicht mehr; sie und ihre Familien wurden verfolgt, entrechtet, wirtschaftlich und wissenschaftlich ruiniert - aber auch oftmals deportiert und ermordet.

Die Initiative „Gegen das Vergessen“ der DGVS hat sich zum Ziel gesetzt, an die jüdischen Mitglieder - auch die weniger bekannten - der Fachgesellschaft zu erinnern, die aus dieser ausgeschlossen wurden. Biographien der einzelnen Ärzte geben den Vergessenen ihre Namen wieder und erinnern mit zahlreichen erstmalig publizierten Dokumenten an jene Menschen, die bis zum Frühjahr 1933 geachtete Mitglieder der Fachgesellschaft waren.

Die Arbeit der Initiative stützt sich unter anderem auf Mitgliederverzeichnisse aus den Jahren 1932/1933, die Recherchen wären allerdings nicht möglich ohne die Unterstützung der Nachfahren - meist den Enkeln - der verfolgten und entrechteten Mitglieder der Fachgesellschaft.

Der Referent Dr. Harro Jenss ist Chefarzt der Gastroenterologie im Ruhestand und derzeit ehrenamtlicher Archivar der DGVS. Den Kontakt hergestellt hat Dr. Thomas Ludolph, ehemaliger Chefarzt am Kreiskrankenhaus in Frankenberg und Vorstandsmitglied im Vöhler Förderkreis.

Der Vortrag war eigentlich für Oktober vorigen Jahres vorgesehen. Wenige Tage vorher starb Dr. Ludolph, der übrigens auch den Text der Ankündigung – mit Ausnahme dieses letzten Absatzes - geschrieben hat.
RED