30.12.2019, "Wir treten ein für Toleranz"

 
„Wir treten ein für Toleranz“

9.7.2019, "Normale Menschen, so wie wir"

„Normale Menschen, so wie wir“
Memory mit Bildern aus der Synagoge spielten die Kinder.
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Renner, Julia

VON JULIA RENNER

Vöhl - Wie vermittelt man Kindern die Gräueltaten des Nationalsozialismus? Die Landkulturboten in der Vöhler Synagoge stellen sich auch dieser Aufgabe. Während des besonderen Ferienjobs hatten Celina Henkler und Leo Wilden am Montag Besuch aus dem Vöhler Kindergarten.

„Wisst ihr denn, was eine Synagoge ist?“, wollte Leo Wilden von den Mädchen und Jungen wissen. „Eine Kirche“, ruft eines der Mädchen im Stuhlkreis. Henkler und Wilden, beide 15 Jahre alt, erklären den Kindern den jüdischen Glauben und die Judenverfolgung mit einfachen Worten. „Sie waren normale Menschen, so wie wir auch, aber manche mochten sie nicht und brachten sie deshalb weg.“ Die Drei- bis Sechsjährigen hören aufmerksam zu.

„Mit Zahlen können die Kinder nicht viel anfangen“, war sich Leo Wilden zuvor bereits sicher. Mit Celina Henkler hat er deshalb nicht nur einen lockeren Stuhlraum aufgebaut, sondern auch ein Memory-Spiel vorbereitet. Die beiden Ferienjobber haben dafür Gegenstände aus der Synagoge fotografiert. Mit diesen gehen die Kleinen im Anschluss noch durch das ehemalige jüdische Gotteshaus. Sie sollen einige dieser Gegenstände finden. Wer etwas entdeckte, bekam eine kleine Leckerei. „Das spielerische Element ist wichtig“, sagt Wilden.

Zusammen mit den 21 Kindern ist auch Kindergartenleiterin Marion Fichtenau in die Synagoge gekommen. Wilden hatte bei ihr angefragt, ob sie nicht einmal mit einer Klasse zu einer Führung kommen wolle. Sie sagte spontan zu, bereits im vergangenen Jahr war sie mit einer Gruppe zum Besuch in der Synagoge.

Auch jüngeren Kindern könne man diesen Teil der deutschen Geschichte näher bringen, findet sie. „Kinder können gut unterscheiden zwischen Gut und Böse“, sagt sie. „Man kann ihnen vermitteln, dass jeder seinen Platz hat. Niemand ist besser oder schlechter als jemand anders.“ In kleiner Runde fragt sie ein paar Mädchen und Jungen: „Darf man einfach in eine Kirche gehen und alles kaputt hauen?“ Die Antwort der Kinder ist eindeutig: „Nein!“

Jeweils zwei Wochen sind stets zwei Landkulturboten in der Synagoge, unter anderem, um in der Ferienzeit Führungen anzubieten. Montags bis freitags, zwischen 9 und 12 sowie von 13 bis 16 Uhr stehen die Türen für Besucher offen. Auch an weiteren Projekten arbeiten die Kulturboten während des Ferienjobs. So erstellt Celina Henkler eine Präsentation über jüdische Familien in ihrem Wohnort Basdorf, während Leo Wilden tiefer in das Thema Euthanasie einsteigt. Zum Abschluss des Landkulturbotenprojekts werden die Arbeiten vorgestellt.

Für die beiden Schüler ein spannender Ferienjob, bei dem sie selbst noch viel lernen, erzählen sie. Den Nationalsozialismus mache man sich durch die Arbeit noch einmal ganz anders bewusst, sagt Leo Wilden.

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Renner, Julia

23.12.2019, Ein Heim für verstoßene "Mischlingskinder"

 
Ein Heim für verstoßene „Mischlingskinder“
HistorikerinEva-Kathrein Hack
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Hennig, Armin

Vöhl-Asel - Einer der letzten Vorträge der Reihe „Facetten des Rassismus“ des Förderkreises der Synagoge behandelte eine Einrichtung, bei der Vöhl gewissermaßen ein historisches Alleinstellungsmerkmal besaß: Das Albert-Schweitzer-Heim für „Mischlingskinder“ in Asel.

Nach der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg und in einer Gesellschaft, die durch die Rassenlehre der Nazis geprägt war, standen Frauen unter Druck, wenn sie ein Kind zur Welt brachten, das einen Vater mit afrikanischen Wurzeln hatte.

Referentin Eva-Kathrein Hack ist in den 50ern in Asel aufgewachsen und hatte Kontakt mit den Kindern, die von 1956 bis 1959 auf dem Weinberg eine Heimat fanden. Als Heimatkundlerin hatte sie sich die Geschichte des Heims vorgenommen und Forschungsliteratur studiert. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass Asel bei Fachgelehrten zu Unrecht in schlechtem Licht steht - wenn man die gesellschaftlichen Verhältnisse der Nachkriegsjahre als Maßstab nimmt.

Schwierigkeiten mit Verwandten, schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder ein Zukünftiger, der bei der Familienplanung bei null anfangen wollte, führten dazu, dass etwa ein Drittel von 6800 Frauen ihre Kinder in staatliche Fürsorge gaben. Die Vermittlung an kinderlose afro-amerikanische Paare war ein Ansatz, oft blieb aber nur die Heimunterbringung, wo die farbigen Außenseiter unter Druck gerieten.

Um der Diskriminierung aus dem Weg zu gehen, entwickelte die Pfarrersfrau Irene Dilloo einen eigenen Ansatz. Die „Mischlingskinder“ sollten in einem Heim unter ihrer Fürsorge aufwachsen und dabei drei Stufen der Akzeptanz durchlaufen: Annahme der eigenen Hautfarbe, Vergebung der weißen Gesellschaft und Vergebung der eigenen Mutter. Das Haus auf dem Weinberg war das Ausweichquartier für Dilloo, die ihr Konzept bereits mit 16 Kindern nahe Wuppertal realisiert hatte.

Die Miete im ehemaligen Bergarbeitererholungsheim in Asel lag bei 750 Mark, sie war „kein Preis der Nächstenliebe“, so der Autor einer Münchner Illustrierten. Mit der Überschrift „Haus der Verstoßenen“ prägte der Journalist einen Begriff, der dem Albert-Schweitzer-Heim bis in die neuere Forschungsliteratur gefolgt ist.

Aufgrund der hohen Miete nutzte Dilloo sämtliche Kanäle beim Sammeln von Spenden und wurde damit international bekannt. Die permanente Öffentlichkeitsarbeit sorgte aber auch dafür, dass die Jugendämter den Verstoß gegen geltende Richtlinien aus der Welt schaffen wollten. Die Kinder wurden 1959 auf dem Schulweg abgefangen und kamen unter Obhut der Behörden oder zurück zu den Müttern, die Druck auf die Ämter wegen Rückgabe ihrer Kinder ausgeübt hatten. Foto: hennig  ahi

 

11.12.2019, Leben mit Widersprüchen

 Leben mit Widersprüchen
 
 
„Unter den Wolken“: Dieser Song der „Toten Hosen“ geriet zum rockigsten Moment des alternativen Weihnachtsoratoriums von Paul Hoorn und Freunden in der Vöhler Synagoge. Foto: Armin Hennig
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Hennig, Armin

VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Mit ihrem dialektischen Weihnachtskonzert „Und die Finsternis hat es nicht begriffen“ gastierten Paul Hoorn und Freunde zum zweiten Mal in der Alten Synagoge in Vöhl.

Die Neuauflage des Plädoyers für ein Leben in Vielfalt und mit den Widersprüchen dieser Welt geriet spiritueller als im Vorjahr. Im komplett abgedunkelten Raum disputierten die Stimmen von Paul Hoorn, Matthias Manz und Karolina Petrova das Für und Wider eines Weihnachtskonzerts und einer angemessenen Liedauswahl für einen alternativen Entwurf.

Dabei übernahm der Kopf der Gruppe die Rolle des Spielverderbers, der mit seiner resignierten Einstellung jeden Wunsch des Traditionalisten an der Gitarre nach wenigstens ein bisschen heile Welt zum Fest, unterläuft.

Als Stimme von oben griff Carolina Petrova mit geistreichen Gegenvorschlägen und dem Verweis auf die jiddischen Traditionen vermittelnd in den Disput ein und lieferte die Vorlage zur Eröffnung „In der Finster.“

Ein düsterer Akkordeonlauf und ein Schmerzensruf eröffneten den musikalischen Dreiklang aus jiddischer Leidenserfahrung, Nachkriegselend („Zur halben Nacht“) und christlicher Tradition („Es ist ein Ros’ entsprungen“). Die inhaltlichen und musikalischen Wechselwirkungen zwischen der zu allen Zeiten gern gesungenen Vorlage und der Neubesinnung in der Trümmerlandschaft spann den dialektischen Faden weiter. Die Verbindung von Verfolgung und Leid, Aneignung und Weiterentwicklung der Traditionen mit abschließender Rückkehr in die weihnachtliche Konvention bildete auch den folgenden Dreiklang.

„Unter dajne wajsse Schtern“ war während des Zweiten Weltkriegs im Ghetto von Wilna entstanden und gestaltete mit Hoffnung in aussichtslosen Zeiten den Widerspruch in sich. Den heiteren Kontrast zum Hunger im Ghetto bildete Paul Hoorns Vertonung des kaschubischen Weihnachtsliedes von Walter Bergengruen.

Es ist eine Parodie auf den Stolz der slawischen Pommern auf ihre deftige Küche, die einen ganz anderen Kerl aus dem Jesuskind gemacht hätte, wäre die Krippe nicht in Bethlehem, sondern in den Kaschubei gestanden. Diese extrem bodenständige kulinarische Ausrichtung wirkte zunächst als krasser Gegensatz zur barocken Dichtung Johann Francks und Johann Sebastian Bachs Vertonung von „Ihr Gestirn, ihr hohen Lüfte“, doch das Finale stellte die Verbindung her.

Die finale Auflösung der dialektischen Widersprüchlichkeiten blieb der ersten Zugabe vorbehalten. „Durch den Riss in jedem Sein, kommt erst das Licht hinein“, mit dieser Zeile aus Leonard Cohens „Hymne“ spielten Paul Hoorn und Freunde ihr letztes und überzeugendstes Plädoyer gegen geschlossene Weltbilder und für das Leben mit den eigenen Widersprüchen.

 

12.11.2019, Tag zur Freude und zur Trauer

 
 Tag zur Freude und zur Trauer
 
Eine Vöhler Flötengruppe spielte jüdische Weisen. Fotos: Nadja Zecher -Christ
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Nadja Zecher-Christ

VON NADJA ZECHER-CHRIST

Vöhl - Der 9. November ist ein Tag der Freude aber auch der Trauer. Freude bescherte der Fall der Berliner Mauer (1989), für Trauer sorgte das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte, denn bei der „Reichspogromnacht“ (1938) wurden jüdische Geschäfte und Synagogen in Brand gesetzt. Auch in Waldeck-Frankenberg verloren zahlreiche jüdische Bürger durch die NS-Rassenpolitik ihr Leben.

In Vöhl wurde wieder traditionell mit einer Gedenkfeier an die Holocaust-Opfer und deren Angehörigen gedacht. Die Veranstaltung wurde mit einem Friedensgebet in der Vöhler Martinskirche eingeläutet, umrahmt von einer Flötengruppe.

„Es gibt Tage, da weiß man nach Jahrzehnten noch, wo man gewesen ist“, sagte Pfarrer Jan-Friedrich Eisenberg. Er habe im Arbeitszimmer seines Vaters im Fernsehen vom Mauerfall erfahren. Er und die Eltern hätten gespannt die Ereignisse verfolgt.

Bei der Pogromnacht und beim Mauerfall sei man jeweils mit einer Regierung konfrontiert gewesen, die sich nicht um biblische Visionen scherte und keine Pluralismen duldete. Das eine Mal sei Deutschland in Schutt und Asche gelegt und vier Millionen Menschen unbeschreibliches Leid zugefügt worden. Beim anderen Mal sei äußerlich nicht viel zerstört worden, doch der Staat habe sich als riesiges Instrument der Repression entpuppt, welches eine freie Lebensentfaltung verhinderte.

Bürgermeister Matthias Stappert hielt in der Synagoge eine Gedenkrede und befand, dass der 9. November 1989 sich gut dazu eigne, die Einheit Deutschlands zu symbolisieren. Mit dem 9. November 1938 sei jedoch Leid über die Juden in Gestalt der Reichspogromnacht gekommen. Der Geist des Nationalsozialismus in Europa rege sich seit einigen Jahren wieder deutlicher und stärker und nannte dazu den Brexit und die Visegrád-Staaten. Nationale Egoismen brächen auf und die Gefahr wuchere auch in Deutschland von rechts und links. „Ich hoffe, dass Freiheitlichkeit, Bürgersinn und Klarheit des Denkens siegreich bleiben über Dummheit, Ignoranz, Moralismus und Parolen“, betonte Stappert.

Der ehemalige Vöhler Pfarrer Günter Maier verlas das Kaddisch-Gebet auf Deutsch, Barbara Küpfer trug es auf aramäisch vor. Auf dem Klavier und Flöten wurden jüdische Weisen vorgetragen. Tom Wiesemann, Najila Nazeri, Mali Klöcker, Leo Wilden und Laura Evers entzündeten 72 Teelichter zum Gedenken an die Holocaust-Opfer.

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Nadja Zecher-Christ

12.11.2019, Auftritt mit musikalischem Humor

 
Auftritt mit musikalischem Humor und Virtuosität
 
Phantasie in Gelb: Mit „Hoch auf dem gelben Wagen“ als Teil eines Weltmusik-Hitmix boten „Quadro nuevo“ musikalischen Kleingeistern die Stirn. Foto: Hennig
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Hennig, Armin

VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Sechs Jahre ist es her, seitdem „Quadro nuevo“ zuletzt in der Alten Synagoge gastiert hatten. Da die vier Weltmusiker seitdem neue Wege gegangen sind, geriet auch das Wiederhören mit Kindheitserlebnissen wie „Hoch auf dem gelben Wagen“ oder „Die Gedanken sind frei“ zum Erstkontakt für zahlreiche Zuhörer.

Im halbstündigen Opener „Flying Carpet“ und dessen zahlreichen nahtlosen Übergängen von einer morgenländischen Region zur nächsten forderte sich das Quartett und verlangte dem Publikum ebenso viel Aufmerksamkeit wie Bewunderung ab. Auf die Tour de Force durch diverse Stile und dynamische Extreme folgte mit „Café Cairo“ die Konfrontation zwischen westlicher Walzer-Tradition und nahöstlichen Klängen, die Akkordeonist Andreas Hinterseher aber erst einmal in kreativer Karl-May-Nachfolge komponiert hatte. Bei der Erstaufführung in Kairo war es dann zu einem denkwürdigen Crossover gekommen, bei dem die afrikanischen Musiker den Walzer-Part und die vier Europäer den orientalischen Teil übernommen hatten. Eine anregende Erfahrung für alle Beteiligten.

Den Weg der Auseinandersetzung mit der lokalen Tradition wollten nicht alle Fans mitgehen, ließ Saxofonist Mulo Francel in der Ansage zum von Bundespräsident Walter Scheel und Heino in die deutschen Hitparaden gebrachten Volkslied anklingen. Die in Postfarben gerückte kreative Auseinandersetzung mit musikalischen Kindheitstraumata geriet aber so weltläufig wie vom Quartett gewohnt und damit zum Musterbeispiel für Kombination von musikalischem Humor und Virtuosität. Denn anstelle von gemächlichem Postkutschentempo begleiteten feurige Bossa-Nova-Rhythmen die bekannte Weise, die sich immer wieder atomisierte und neu zusammensetzte und dabei auch andere Welthits wie „Tequila“ aufscheinen ließ, bevor sich die nächste mehr oder minder vertraute Konstellation einstellte.

Neue Wege gingen Bassist/Percussionist D. D. Lowka und seine Mitspieler auch beim Arrangement von „Die Gedanken sind frei“. Für die ganz in blau ausgeleuchtete Jazz-Version hatte Akkordeonist Hinterseher Trompete gelernt. Pianist Chris Gall, der erstmals in Vöhl mit dabei war, sorgte an den Tasten für das Hardbop-Feeling. Eine Komposition des „Neuzugangs“ erwies sich dagegen eher als Stolperstein für die Hörgewohnheiten von langjährigen Fans. Erklangen die vermeintlich verpönten Volkslieder in gewohnter Vielfalt, so geriet das ungewöhnlich geradlinig und klar strukturierte „Thom Yorkes Guitar“ zum Fels in der musikalischen Brandung des fließenden Sounds. Orient und Okzident bildeten in der finalen Sehnsuchtsballade „Ikarus Dreams“ eine vollkommene Synthese.

In den beiden Zugaben „Der Mond ist aufgegangen“, und Variationen über Mozarts Kanon „Bona nox“ knüpften die vier Weltmusiker auf Jazz-Basis noch einmal zahlreiche Querverbindungen zwischen Volkslied, Klassik und Folklore.

 

6.11.2019, Schwierige Wege in die neue Heimat

 
Schwierige Wege in die neue Heimat
Am Gesprächsnachmittag stellte (von links) Herbert Keim auch Öslem und Riza Aras Fragen zu ihren Leben in Deutschland. Foto: celina pohlmann
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Pohlmann, Selina

VON SELINA POHLMANN

Vöhl - Ein spannender Gesprächsnachmittag fand am Sonntag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Facetten des Rassismus“ statt. Organisiert vom Förderkreis „Synagoge in Vöhl“ stand die dritte Staffel der Reihe unter der Überschrift „Wir und die anderen“; sie stellte die Frage, wie sich unsere Gesellschaft jenen gegenüber verhält, die nach Deutschland kommen.

Zahlreiche Gäste waren eingeladen, von ihrer Flucht oder Vertreibung zu berichten - sei es aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg oder der Gegenwart. Denn „es gab schon immer Konflikte im Zusammenhang mit Zuwanderung“, erklärte Karl-Heinz Stadtler, Vorsitzender des Förderkreises.

Von den Gründen, die dazu führen das Heimatland zu verlassen, über den Fluchtweg, bis in zu der Aufnahme in Deutschland und der Frage nach gelungener Integration reichten die verschiedenen Geschichten. Sie verdeutlichten, wie vielfältig Migration ist. So kam Gerhard Stumpe aus Zierenberg 1945 als Vertriebener aus Gablonz im tschechischen Nordböhmen in einem Flüchtlingszug nach Herzhausen und dann nach Basdorf. Zwei seiner Schwestern wurden beim damaligen Bürgermeister untergebracht. Er selbst und seine Mutter mit zwei weiteren Geschwistern musste in einem neun Quadratmeter großen Zimmer leben, bis sie eine eigene Wohnung fanden. Trotz seiner bewegenden Vergangenheit, die geprägt ist von politischen Umbrüchen, Krieg und Vertreibung, habe er in Nordhessen eine neue Heimat gefunden. „Das ist mein Weg von meiner Heimat in eine neue Heimat gewesen“, sagte Stumpe.

Öslem und Riza Aras leben in Frankenberg. Sie kamen als Gastarbeiter aus dem türkischen Igdir nach Deutschland und erzählten von Problemen mit Sprachkursen und Arbeitsgenehmigungen.

Außerdem berichtete Richard Oppenheimer, der derzeit aus den USA in Bad Wildungen zu Gast ist, von seiner Mutter und Großmutter, die die Konzentrationslager der Nationalsozialisten überlebten und später in die USA emigrierten.

Auch Shams Haydari erzählte seine Geschichte. Er floh 2015 aus dem Iran und kam über Türkei und Balkanroute nach Deutschland. Den gleichen Weg nahmen die Kurdin Bayaza Rostom und der Syrer Essa Almohammad Alessa in den Jahren danach. Khadar Mahammed Dahirfloh 2016 aus Äthiopien über die Sahara, das Mittelmeer und Italien.

Jeanette Küpfer hatte ebenfalls eine beeindruckende Geschichte zu erzählen. Sie floh als einjähriges Kleinkind mit Eltern und Geschwistern nach Shanghai, lebte dort 14 Jahre und emigrierte dann zunächst nach Italien, bevor ihr Weg später nach Deutschland führte. Die Lebensberichte wurden mit Bildern aus der Heimat der Migranten und mit Karten der Fluchtrouten unterlegt. Herbert Keim (Frankenberg) und Karl-Heinz Stadtler moderierten und führten die Gespräche.

 

4.11.2019, Gelingt Integration im Landkreis?

 
Gelingt Integration im Landkreis?
Diskussion in der Vöhler Henkelhalle: (von links) Karl-Heinz Bastet, Latif Al-Homssi, Majd Ajam, Ursula Müller, Kilian Emde, Änne Vetterlein, Gerhard Gottmann, Johannes Rabe und Amir Hourizad. Foto: Selina Pohlmann
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Pohlmann, Selina

VON SELINA POHLMANN

Vöhl - „Wir und die Anderen“ war der Titel: Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Facetten des Rassismus“ hat der Förderkreis Synagoge in Vöhl am Samstagnachmittag zu einem Markt der Möglichkeiten in die Henkelhalle eingeladen. Bei Kaffee und Kuchen tauschten sich die Besucher über die Themen Flucht und Integration aus, bevor ein Rahmenprogramm dann das Thema vertiefte.

Bei einer Podiumsdiskussion diskutierten Karl-Heinz Bastet, Latif Al-Homssi, Majd Ajam, Kilian Emde, Änne Vetterlein, Gerhard Gottmann, Johannes Rabe und Amir Hourizad über die Frage, ob Integration in Waldeck-Frankenberg gelungen ist. Die Vertreter des Landkreises, Netzwerker, Ehrenamtler, Betreuer und Flüchtlinge selbst boten mit ihren verschiedenen Blickwinkeln einen „vielseitigen Blick auf die Situation“, so Moderatorin Ursula Müller.

Bei der Unterhaltung sollten aber nicht nur die guten Entwicklungen dargestellt werden, auch Verbesserungsvorschläge wurden vorgebracht. Kilian Emde, Fachdienstleiter Ausländerwesen des Landkreises, betonte, dass seit 2015 die größte Herausforderung gewesen sei, „in irgendeiner Weise für alle da sein zu wollen“. Dafür habe vor allem Personal für den hohen bürokratischen Aufwand gefehlt.

Majd Ajam kam 2015 aus Syrien nach Deutschland, studiert mittlerweile in Gießen und ist ausgebildeter Rettungssanitäter. Er habe zwar viel Hilfe erhalten und sei dafür mehr als dankbar, allerdings habe auch er eineinhalb Jahre auf die Genehmigung gewartet, andere hätten bis heute noch keine. Viele andere Asylbewerber hätten es schwer und würden es auch weiter schwer haben, wenn sie keinen direkten Kontakt zu Betreuern und zum Ausländeramt hätten.

Aus dem Publikum kam daraufhin die Frage nach der anderen Seite auf: Nach denen, die die Flüchtlinge aufnehmen. „Integration kann nur gelingen, wenn die Gesellschaft sich weiter aktiv engagiert“, sagte Johannes Rabe vom Jobcenter Korbach. Daher würden die Ehrenamtler, die sich für Toleranz und gegen Rassismus einsetzen eine schwere Last mit ihrer wichtigen Arbeit tragen.

Im Anschluss an die Diskussion wurde „Sarahs Flucht“ aufgeführt. In dem Theaterstück geht es um ein afghanisches Mädchen, das sechs Monate lang auf der Flucht war, mit dem Ziel, nach Deutschland zu kommen. Das Besondere: Das Stück handelt von der wahren Geschichte zweier Kinder, die bei dem Theaterstück selbst mitwirkten.

Die Kinder erzählten eindrücklich, welche Schwierigkeiten und traumatischen Ereignisse mit der Flucht einhergegangen waren. Angst, Gestank, Enge, Gefahr, Gewalt und Langeweile waren die schmerzhaftesten Dinge, an die sich die Kinder erinnerten. Als der Flüchtlingszug in Österreich von rechtsradikalen Demonstranten gestoppt wurde, erreichten diese Gefühle ihren Höhepunkt. Schließlich kam die Familie in einem Lager in Kassel an, heute lebt sie in Eppe.

Mit traditioneller Musik aus dem Iran des „Dilan Ensembles“ klang der Tag anschließend aus.

Bürokratische Hürde ist groß

 

26.10.2019, Zeichen gesetzt gegen Rassismus

 
Zeichen gesetzt gegen Antisemitismus
 
Facetten des Faschismus in Geschichte und Gegenwart: Vom Kinderbuchklassiker über die Aussteigerbeichte eines früheren Neonazis bis zu praktischen Handreichungen reichte die Bandbreite der präsentierten Texte in der Alten Synagoge. Foto: armin hennig
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Hennig, Armin

VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Als Reaktion auf den Anschlag von Halle setzten Besucher in der Alten Synagoge Vöhl ein Zeichen. Sie lasen aus Klassikern der Literatur gegen den Antisemitismus und aus aktuellen Texten, die sich mit dem Phänomen des Rechtspopulismus auseinandersetzen. „Das Unsägliche geht leise über das Land“, dieses bedrohliche Fazit zog Ingeborg Bachmann in ihrem Gedicht „Früher Nachmittag“ über das neue Behagen der alten Nazi-Eliten im Nachkriegsdeutschland.

Barbara Küpfer hatte sich unter dem Eindruck des Anschlags auf die Synagoge von Halle für die schaurig-subtile Momentaufnahme mit überzeitlichen Momenten entschieden. Die Täter von einst spielen keine aktive Rolle mehr im politischen Leben, manche überholt geglaubte Einstellungen kommen wieder, „da eine immer kompliziertere und unübersichtlichere Welt die Regression auf den Nationalismus und das Vertraute begünstigt, erklärte Karl-Heinz Stadtler.

Ulrich Müller stellte in seiner Lesung aus einem im Spiegel erschienen Artikel dagegen die Techniken vor, mit denen rechtspopulistischen Einstellungen unter Kollegen oder Verwandten begegnet werden kann, ohne in eine Eskalationsspirale zu geraten. Die Bandbreite reichte von freundlichem, aber entschiedenen Widerspruch im persönlichen Gespräch bis zur Aufdeckung von Scheinzusammenhängen, bei denen ein Problem überhaupt nichts mit dem anderen zu tun hat. So etwa bei den Themen Obdachlosigkeit und der Versorgung von Asylsuchenden, da die Finanzierung der Bedürftigen aus ganz unterschiedlichen Etats stamme.

Die Schere zwischen Theorie und Praxis beziehungsweise persönlicher Überzeugung und unmittelbarer Konfrontation mit rechten Einstellungen im Alltag bestimmte die Diskussion. Denn alle Anwesenden waren in Beruf und Alltag mit Konstellationen konfrontiert worden, in denen es mit bloßem Widerspruch gegenüber Vorurteilen nicht immer getan war.

„Einem Schüler, der von einer populistischen Seite oder rechten Band verhetzt ist, kann man leicht widersprechen. Ein gestandener 60-Jähriger, der um seine gerade verstorbene Mutter trauert und dabei rassistische Überzeugungen äußert, ist hingegen schon ein schwierigerer Fall“, gab Pfarrer Eisenberg zu, der bei Musikwünschen zu Trauungen sehr genau hinsieht. Nach eingehender Prüfung des Textes hatte er das Liebeslied einer einschlägig verrufenen Band aber zugelassen.

 

8.10.2019, Rassismus und Völkermord

 
Rassismus und Völkermord
Die Ausstellungen in der Vöhler Synagoge eröffneten am Sonntag Dr. Wolfgang Werner, Dr. Hartmut Wecker und Karl-Heinz Stadtler. Zu sehen sind Zeichnungen und Fotos. Foto: Selina Pohlmann
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VON SELINA POHLMANN

Vöhl - Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Facetten des Rassismus“ des Förderkreises Synagoge in Vöhl wurden am Sonntagvormittag zwei Ausstellungen zum Thema „Rassismus und Völkermord“ eröffnet. Dies ist das zweite Themengebiet, dem sich die Veranstaltungsreihe widmet.

In der ersten Staffel ging es um die Themen „Vernichtung und Auslese“, die dritte und letzte Staffel wird ab dem 1. November unter der Überschrift „Wir und die anderen“ stehen.

Der erste Vorsitzende des Fördervereins, Karl-Heinz Stadtler, eröffnete die Ausstellungen am Sonntag mit mahnenden Worten zu aktuellen Entwicklungen in Politik und Gesellschaft. „Rassismus ist ein Thema, das uns in letzter Zeit wieder sehr bewegt hat“, erklärte Stadtler.

Insgesamt zwölf Bilder des Künstlers Enric Rabasseda erzählen auf subtile Weise von Gewalt, Unterdrückung und Ausgrenzung.

Dr. Hartmut Wecker eröffnete die Ausstellung mit Gedanken zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Es sei angesichts der aktuellen Entwicklungen, besonders seit der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 „nicht nur begrüßenswert, sondern notwendig“, dass sich der Förderverein mit dem Thema auseinandersetze. Weitere interessante Gedanken zu den einzelnen Zeichnungen gaben Bekannte Stimmen des Landkreises in Form von Kommentaren ab, die die Ausstellung nicht nur sehens-, sondern auch lesenswert machen.

Die zweite Ausstellung umfasst ebenfalls zwölf Werke, allerdings keine Zeichnungen, sondern analoge Schwarz-Weiß-Fotografien. Die Bilder des Fotografen Christoph Alexis Werner sind alle situativ entstanden, in den Jahren 2005 bis 2009, auf dem Gelände der Firma „Topf & Söhne“, kurz vor dem Abriss.

Das Unternehmen mit Sitz in Erfurt stellte die Verbrennungsöfen her, in denen in den Konzentrationslagern die Opfer des millionenfachen Völkermords verbrannt wurden. Dr. Wolfgang Werner eröffnete stellvertretend für seinen Sohn die Ausstellung in der Vöhler Synagoge und gab einen geschichtlichen Überblick zum Thema „Topf & Söhne“.

Die dritte Ausstellung, die sich Besucher momentan anschauen können, beschäftigt sich noch mit dem Thema aus der ersten Staffel „Vernichtung und Auslese“, genauer gesagt mit Eindrucken aus Gedenkstätte Hadamar, einer früheren Tötungsanstalt.

Bis zum 31. Oktober können die drei Ausstellungen in der Vöhler Synagoge noch besucht werden. Ergänzt wird das Programm durch Vorträge zum Thema Rassismus und Völkermord.

 

18.09.2019, Wahre Zahlen noch nicht bekannt

 
Wahre Zahlen noch nicht bekannt
Facetten des Rassismus: Robert Domes las in der Synagoge Vöhl aus seinem Buch „Nebel im August“ vor und sprach über die verschleierten Tötungen der Nationalsozialisten. Foto: Armin Hennig
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VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Facetten des Rassismus: Im Rahmen dieser Reihe war Robert Domes nach seiner Lesung in der Korbacher Alten Landesschule (wir berichteten) auch in der Synagoge Vöhl zu Gast. Der Journalist und Autor ließ sich zu Beginn der Lesung aus seinem Roman „Nebel im August“ etwas Zeit und stieg direkt bei fehlerhaften Fakten über die Patientenmorde im Nationalsozialismus ein. Die wahren Zahlen der oft verschleierten Tötungen ließen sich nur anhand von individuellem Aktenstudium ermitteln, eine längst noch nicht abgeschlossene Arbeit.

Viele Jahre habe man sich nur auf die Aussage eines Experten aus den 1950er-Jahren verlassen, der den Anstieg der Sterblichkeit während des Zweiten Weltkriegs im Vergleich zu den Zahlen aus Friedenszeiten gesetzt habe.

Die Auswertungen im Opferbuch eines Angehörigen-Projekts aus Hartheim bei Linz habe aber ergeben, dass jede achte Familie einen Angehörigen im österreichischen Pendant zu Hadamar verloren habe. Mehrere Besucher der Lesung mit totgeschwiegenen Verwandten bestätigten durch ihre Anwesenheit - im Verhältnis zur Besucherzahl - wie durch ihre Aussagen den Eindruck des Autors.

Robert Domes, der inzwischen in Kaufbeuren-Irsee lebt, wo auch die Anstalt ihren Sitz hatte, in der Ernst Lossa zu Tode gebracht wurde, sprach dabei ganz offen darüber, wie er sich in seiner Naivität auf den Vorschlag des Psychiatrie-Reformers Michael von Cranachs einließ, die 20 Seiten der Akte von Ernst Lossa in ein Buch zu verwandeln. „Ich dachte, das ließe sich schnell machen, in einem halben Jahr oder so. Tatsächlich habe ich sechs Jahre gebraucht“, erzählte Domes vom Anfang seines Weges zur Romanbiografie auf Augenhöhe, mit der er der Täterperspektive der Akten entkommen war. Die Suche nach Zeitzeugen und überlebenden Angehörigen war nicht der einzige Grund. Die beiden überlebenden Schwestern seien zwar auf Anhieb freundlich gewesen, aber es habe einige Zeit gedauert, bis er das Vertrauen gewonnen habe. Eher zufällig sei der Jüngeren schließlich entschlüpft, dass ihre Familien zur Volksgruppe der „Jenischen“ gehöre, einer bis heute nicht anerkannten Minderheit, die unter Begriffen wie „Fahrendes Volk“ zusammengefasst wird.

Der Versuch, sich auf institutionellem Wege schlau zu machen, führte zunächst in eine Sackgasse. Der Zentalrat deutscher Sinti und Roma erklärte sich für nicht zuständig, da die Jenischen ethnisch nicht zu ihnen gehören würden.

Dass die Familie Lossa wegen der Tuberkulose Erkrankung von Mutter Anna den gewohnten Lebensrhythmus unterbrechen musste, und im Sommer in Augsburg eine Wohnung mieten musste, geriet zum Anfang der Tragödie. Denn als das Jugendamt feststellte, dass die schwer kranke Frau nicht angemessen für ihre Kinder sorgen konnte, kamen die Kinder in staatliche Fürsorge und von der NS-Bürokratie das Etikett „Zigeuner“ verpasst.

Zu den Facetten des Rassismus gehört sicher nicht nur die Reaktion des juristisch nicht zuständigen Zentralrats der deutschen Sinti und Roma. Die Jenischen sind bis heute keine anerkannte Minderheit mit entsprechenden Rechten.

 

13.09.2019, Wie "Chanson auf Speed"


Wie „Chanson auf Speed“
Rekordtempo: Juliette Brousset und ihre Mitstreiter hinterließen beim Publikum nachhaltigen Eindruck. Foto: armin hennig
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Hennig, Armin

VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Die französische Begrüßung spielten Juliette Brousset und ihre musikalischen Mitstreiter im absoluten Rekordtempo ab. Die Gruppe „Moi et les autres“ vermittelte deshalb zum Auftakt des Auftritts in der Alten Synagoge den Eindruck „Chanson auf Speed“.

Auf den kurzen, aber intensiven Kulturschock, der eventuelle Befremdlichkeiten gleich auf die Spitze trieb, folgte die ironische Frage „Habt ihr auch alles verstanden?“, stellte die Sängerin dann ihre Band und das Programm ausführlich auf Deutsch vor. Anschließend nahm das Energiebündel sein Publikum als Chor bei einer Fahrt über die Seine gleich als staunenden Touristen-Chor mit ins Boot.

Der anschließend angestimmte Titelsong der Tour „Départ“ vermittelte die Aufbruchsstimmung zu neuen Ufern in einem raffinierten Stilmix aus Musette, Tango und Blues mit dem Akkordeon von Eric Dann als transatlantischer Brücke von Paris nach Buenos Aires und ins Mississippi-Delta, dessen musikalischer Strom sich mit typischen Seine-Klängen eine selten gehörte Synthese bildete.

„Riviere“, das anschließend den Fluss des Lebens beschrieb, bildete als klassicher Bossa Nova den Kontrast mit dankbaren Solo-Aufgaben für Bassist Dirk Kunz und Gitarrist David Heinz. Letzterer spielte auch im rockigen „Métro“ eine Hauptrolle, diese vielschichtige Symphonie der Großstadt mit positiver Hektik und Schüben von Panik geriet zum Höhepunkt der ersten Hälfte des Konzerts.

Eine Steigerung in Sachen Intensität bot nur noch „Sel“, die Umsetzung einer aus der Not geborenen Reise über das Mittelmeer, die im nassen Element und dem Untergang im Salzwasser ihr Ende findet. Im atmosphärischen Seestück bildeten die Instrumentalisten die wechselnde Charakteristik der Wellen und die Reaktionen auf das immer bedrohlichere Szenario ab, das in Juliette Broussets Aufschrei „Sel“ gipfelte.

Die gescheiterte Flucht aus Afrika bildete gewissermaßen das Gegenstück zum zuletzt erfolgreich bewältigten persönlichen Aufbruch von Mannheim nach Berlin, dem autobiografischen Kern des jüngsten Streichs „Départ“. Im zweiten Teil erfreuten „Moi et les autres“ die Freunde des klassischen Chansons auch mit einem Rückblick auf die Evolution der Band.

 

7.9.2019, Mahnende Ausstellung in Vöhler Synagoge

 
Facetten des Rassismus
Die Ausstellung „Ihr Tod reißt nicht die geringste Lücke“ wurde in der Vöhler Synagoge eröffnet. Foto: Armin Hennig
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Hennig, Armin

VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Am ersten September jährten sich gleich zwei Verbrechen des Nationalsozialismus: der Beginn des Zweiten Weltkriegs und das Euthanasie-Programm T4. Die Methoden zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ fungierten als Vorlauf zur Massenvernichtung der Juden.

Die alte Synagoge in Vöhl nahm das historisch belastete Doppeldatum zum Anlass, die Ausstellung „Ihr Tod reißt nicht die geringste Lücke“ erneut der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Die Eröffnung der Ausstellung fungierte zugleich als Start der 101-teiligen Veranstaltungsreihe „Facetten des Rassismus“, die in der Synagoge stattfindet.

In seiner Begrüßungsansprache erwähnte Karl-Heinz Stadtler seine Lektüre von Uwe Timms „Ikarien“ als Ausgangspunkt. Der Großvater seiner Frau war Eugenik-Papst Eugen Ploetz, auf dessen Theorien auch jene Elemente der Nazi-Ideologie aufbauten, die Vernichtung von als minderwertig angesehenen Menschen und Rassen zum methodisch durchgeführten Projekt erhoben hatten.

Dem in zahlreiche Lebensreform-Projekte und wissenschaftlichen Untersuchungen des frühen 20. Jahrhunderts eingebauten Rassegedanken erteilte Stadtler eine klare Absage: „Alle Menschen, egal welcher Hautfarbe, haben dieselben Emotionen, nur die Äußerungen sind der jeweiligen Kultur verpflichtet, das hat die Erforschung der menschlichen DNA gezeigt.“

In diesem Zusammenhang warnten Stadtler, der Vöhler Bürgermeister Matthias Stappert sowie die Referenten Dr. Wilhelm Völcker-Janssen und Dr. Georg Lilienthal vor den aktuellen pränatalen Eugenik-Tendenzen, die wieder mit dem Anspruch des Fortschritts und der Verbesserung der Menschheit unterwegs seien.

Ebenso einig waren sich sämtliche Redner beim Blick auf die politische Entwicklung seit der ersten Ausstellung zum Krankenmord im Nationalsozialismus in der Synagoge. Vor zehn Jahren sei es kaum vorstellbar gewesen, dass die größte Oppositionspartei im Bundestag aktive Holocaustleugner in ihren Reihen haben oder dulden könnte.

In der abschließenden Choreographie „Selektion“ stellte die Theatergruppe der Lebenshilfe gängige Vorurteile gegen Menschen mit Behinderungen sowie den Druck der Mehrheit dar, die zur letztendlich letalen Selektion führten.

 

4.9.2019, "Ziehe meinen Hut vor euch"

 
„Ziehe meinen Hut vor euch“
Sie waren als Landkulturboten in der Synagoge Vöhl im Einsatz: (von links) Laura Evers, Josephine Kowalczyk, Celina Henkler, Kira Gräbe, Emily Henkler und Leo Wilden. Foto: renner
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Renner, Julia

VON JULIA RENNER

Vöhl - Sie haben mit dafür gesorgt, dass die Arbeit des Förderkreises der Synagoge Vöhl auch über die Grenzen Waldeck-Frankenbergs hinaus bekannter wird: Sechs Schüler von ALS und Ederseeschule. Sie waren beim zweiten Durchlauf des Projekts Landkulturboten dabei.

Während der Sommerferien haben Laura Evers, Josephine Kowalczyk, Celina Henkler, Kira Gräbe, Emily Henkler und Leo Wilden jeweils zwei Wochen lang Besucher durch die Vöhler Synagoge geführt, ihnen das Gebäude und die jüdische Kultur Vöhls näher gebracht - und nebenbei an eigenen Projekten gearbeitet. Diese stellten sie zum Abschluss des Landkulturbotenprojekts jetzt vor.

Mit dem Leben jüdischer Kinder und Jugendlicher im Nationalsozialismus haben sich die Schüler ebenso beschäftigt wie mit den Themen „Juden in Basdorf“ und mit jüdischen Gottesdiensten. In zehnminütigen Präsentationen fassten sie ihre Ergebnisse in Präsentationen in der Vöhler Synagoge zusammen.

Der Kulturtourismus im ländlichen Raum werde oft unterschätzt, sagte Daniel Teppe von der Grimmheimat Nordhessen, die das Projekt mittlerweile federführend leitet. „Wir wollen mit dem Projekt auch darauf aufmerksam machen, dass wir nicht nur eine Urlaubsregion sind, sondern dass man hier auch gut leben kann. Das tragen die Kulturboten nach außen“, so Teppe.

Kreisbeigeordnete Hannelore Behle freute sich, dass das Beispiel der Vöhler Synagoge, die im vergangenen Jahr Vorreiter mit dem Projekt waren, Schule gemacht habe. Kultur und Tourismus im ländlichen Raum würden durch die Landkulturboten gestärkt. Der Landkreis sei sich des Potenzials bewusst, daher habe man das Projekt durch das „Netzwerk für Toleranz“ auch finanziell unterstützt. „Vöhler Saat ist auf guten Boden gefallen“, so Behle. Denn im kommenden Jahr wächst das Projekt weiter: In diesem Jahr sind in Nordhessen 18 Landkulturboten dabei, im kommenden werden es 36 sein. Reinhard Metka, Erster Beigeordneter der Gemeinde Vöhl, lobte den Mut der jungen Menschen, den besonderen Ferienjob anzutreten: „Ich ziehe meinen Hut vor euch.“

Auch in 2020 werde die Finanzierung vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft übernommen, sagte Karl-Heinz Stadtler, Vorsitzender des Förderkreises. Wie es danach weitergehe, sei aber noch nicht klar. Der Förderkreis sei jedenfalls „begeistert“ von den Landkulturboten - und hofft auf eine Fortsetzung in den kommenden Jahren.

Die Schüler haben in der Zeit „viel gelernt“, sagte Kira Gräbe. Besonders deutlich sei geworden: „So etwas darf sich in der Geschichte niemals wiederholen.“

 

17.7.2019, Musikalische Lebensfreude

 
 Musikalische Lebensfreude
 
Das Quartett „Kata y Co“ gab in der Alten Synagoge in Vöhl ein beschwingtes Konzert voll lateinamerikanischer Lebensfreude. Foto: Armin Hennig
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Hennig, Armin

VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Für die Gruppe „Kata y Co“ und das Programm „Summer Samba“ wich die Alte Synagoge in Vöhl von der Routine der Sommerpause ab. Zur Freude sämtlicher Zuhörer, die ein beschwingtes Konzert voll lateinamerikanischer Lebensfreude erlebten, hinter der sich oft auch Trauer verbirgt.

Bassist Henry Altmann legte nicht nur am siebensaitigen Bass das rhythmische Fundament. Mit profundem Wissen und heiteren Histörchen vermittelte der musikalische Kopf des Projekts rund 50 Jahre Bossa Nova, Samba und Tango und die oft tragikomischen Umstände der Entstehung.

Schon das Eröffnungsstück „A Felicitade“ aus Orfeu negro erwies sich als unmittelbar wirksame Einstimmung in das Lebensgefühl des Bossa nova. Dieses lässt sich mit dem Paradoxon zusammenfassen: „Je schlechter es mir geht, desto heiterer gebe ich mich.“ Nach tiefer schwermütiger Introduktion mit Morgenstimmung von Bass und Cello schaltete die Band auf extrem lebhaften Bossa Nova um, dessen hellen Tönen aber jegliche Bodenhaftung fehlte. Erst das Finale bot rhythmisch geerdete Lebensfreude mit sattem Sound.

Weitere Kompositionen von Antonio Carlos Jobim bildeten den roten Faden, um die sich Werke von musikalischen Mitstreitern mit Joao Gilberto rankten. Der Gitarrist hatte den einzigartigen Rhythmus während seines zwei Jahre andauernden Asyls im Badezimmer der Schwester entwickelt. Das Zusammenwirken der Glocken mit dem Klatschen der Waschfrauen hatte zur Initialzündung in „Bim Bom“ geführt. Das in sämtlichen Klangfarben schillernde Wechselspiel von Cello, Bass, Piano mit der Alt-Stimme von Katharina Mais Mezzo geriet zum eindrucksvollen Höhepunkt des Konzerts, das die Zuhörer mit zahlreichen Spielarten und der Vorgeschichte der Songs vertraut machte.

Bei „Insensatez“ für das sich Jobim von Fryderyk Chopins c-moll Polonaise inspirieren ließ, integrierte das Quartett die Vorlage als Glanzpunkt für Martin Alexander Terens in die Ballade für Bossa Nova. Cellist Adranik Sargasyan verzauberte die Zuhörer immer wieder mit atmosphärisch gestrichenen Eröffnungen und tänzerisch gezupften Pizzicati bei der Begleitung des Gesangs von Katharina Mai, die ihre Opernausbildung auch bei der mimischen Umsetzung des lyrischen Gehalts einsetzte und die Geschichte im Gesichtsausdruck erzählte.

In Astor Piazzollas komplexem Tango Melodram „La Bicycletta blanca“ übernahm sie noch die Rolle der Rezitatorin der existenzialistischen Aktualisierung des Neuen Testaments, deren musikalische Umsetzung die volle Aufmerksamkeit von Mitspielern wie Zuhörern abverlangte. Das vollkommen beeindruckte Publikum sparte denn auch nicht mit Beifall.

Schillerndes

Wechselspiel

Viel Beifall für

gelungenen Auftritt

 

20.5.2019,  Frische Songs und viele Klesmer-Klassiker

 
Frische Songs und viele Klesmer-Klassiker
 
Akzentuierter Auftritt: Die Gruppe „Aufwind“ in der Besetzung (von links) Claudia Koch, Hardy Reich, Janek Skirecki, Andreas Rohde und Jan Hermerschmidt. Foto: Armin Hennig
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Hennig, Armin

VON ARMIN HENNIG

Vöhl - Zur musikalischen Feier des 20-jährigen Bestehens ist „Aufwind“ die Idealbesetzung, denn das Klesmer-Quintett aus Berlin hatte nicht erstmals zum ersten Geburtstag des Synagogenvereins aufgespielt, sondern seitdem vier weitere Auftritte in Vöhl absolviert.

Mit frischen Songs vor der Pause und einem reichhaltigen Best of im zweiten Teil begeisterten die fünf Musiker gleichermaßen langjährige Fans wie Klesmer-Novizen. Denn für eigens angereiste Nachfahren der Vöhler Juden gerät der Auftritt von „Aufwind“ zum erstmaligen Live-Kontakt mit dem jiddischen Jazz, in einem Konzert, das viele Musikstile streift und keinen Lebensbereich auslässt.

Schon der erste Titel beginnt außerhalb des Ghettos, wenn auch hinter Gittern. Denn in „Lemotschniki“ erzählen sich drei Kriminelle ihre Vorgeschichte. Als Geigerin singt und spielt Claudia Koch überaus glaubwürdig die Rolle der Frau, die sich, mittels einer Saite um den Hals ihres Gatten, weitere Misshandlungen erspart hatte. Auf die groteske Humoreske aus dem Untergrund von Odessa folgt ein Naturidyll mit nachdenklichem Hintergrund. Die Vertonung von Itzik Mangers Reaktion auf Wolkenbilder und vorbeifliegende Vögel illustriert den Gedankenflug über die Vergänglichkeit der Welt durch den permanenten Wechsel der Instrumente zwischen den Strophen.

Die gut nachvollziehbare Art und Weise, in der bezeichnender Einsatz Instrumente und unmittelbar ansprechende Arrangements das Geschehen nachvollziehbar machen, unterscheidet „Aufwind“ positiv von schlichter gestrickten Ensembles, deren Stücke alle auf den Umschlag von tiefster Traurigkeit auf rasant jubilierende (Über-)Lebensfreude ausgerichtet sind. Im Schlaflied einer Mutter, die längst müder als ihr Kind ist, markiert das Absinken der Begleitstimmen auf immer tiefere Töne, bis zum letzten solistischen Basslauf von Janek Skirecki den Erfolg der Bemühungen.

Die Fähigkeit zur Integration anderer Musikstile macht Klesmer zur idealen Grundlage für Weltmusik, und eröffnet den Solisten zugleich ein freies Feld für Soli und Duette. In der Rolle des lange getrennten Liebespaares, das vor der Versöhnung erst einmal seine Differenzen ausräumen muss, spielen sich Jan Hermerschmidt und Claudia Koch gegenseitig die Themen zu und überbieten einander immer wieder bei virtuosen Läufen, ehe der letzte gemeinsame Durchgang den wieder erreichten Einklang hörbar macht.

Im Verlauf des Konzerts bereicherte der Wechsel zwischen Sopran-, Alt und Baritonklarinette mit unterschiedlichen Stimmfarben das Klangbild. Andreas Rohde setzte mit dem Bandoneon einige Tango-Akzente, Hardy Reich glänzte immer wieder als Sänger-Darsteller mit Mandoline oder Banjo, so auch in der mit Claudia Koch in der Rolle der Squaw als Western-Klamotte in der drastisch in Szene gesetzten Zugabe „Schnucki, ach Schnucki, fahrn mer nach Kentucky“.

 

26.3.2019 Interessante Lernorte

Waldeckische Landeszeitung, 26.03.2019

Interessante Lernorte
„Lebendiges Gedenken“: (von links) Claudia Papst-Dippel,ihr Landtagskollege Dimitri Schulz und Karl-Heinz Stadtler vor dem Mahnmal im Garten der Vöhler Synagoge. Foto: pr
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Vöhl - Die AfD-Landtagsabgeordneten Claudia Papst-Dippel und Dimitri Schulz haben mit Stefan Ginder (Fraktionsvorsitzender der AfD im Kreistag) und Hakola Dippel (Kreistagsmitglied und Sprecher des Stadtverbandes Volkmarsen) das Gustav-Hüneberg-Haus in Volkmarsen, die Synagoge in Vöhl und den Internationalen Suchdienst ITS in Bad Arolsen besucht.

Die erste Station war im Gustav-Hüneberg-Haus in Volkmarsen die jüdische Schachtmikwe aus dem 16. Jahrhundert. Der Verein „Rückblende - gegen das Vergessen“ hatte das Haus im vergangenen Jahr erworben. Vom Vorsitzenden des Vereines, Ernst Klein, erhielten die Besucher einen Überblick über die wertvolle Arbeit des Vereines. „Durch diese Ausstellung lebendig gemachte Geschichte erleichtert auch den Bezug zur Gegenwart“, meinte Hakola Dippel. „Der kritische Besucher“ könne sehr leicht „Parallelen der Entwicklung in der heutigen Zeit erkennen“.

„Die Synagoge Vöhl strahlt lebendiges Gedenken aus und ist für mich darüber hinaus ein kulturelles Zentrum im Landkreis“, sagte Claudia Papst-Dippel. Ihr Landtagskollege Dimitri Schulz, Mitbegründer der Bundesvereinigung Juden in der AfD (JAfD), zeigte sich beeindruckt davon, dass sowohl in Volkmarsen als auch in Vöhl lebendige Gedenkstätten und interessante Lernorte entstanden seien. Der Vorsitzende des Fördervereines, Karl-Heinz Stadtler, habe es geschafft, innerhalb von einer guten Stunde das jüdische Leben in Vöhl vor dem inneren Auge entstehen zu lassen.

Der Suchdienst in Bad Arolsen habe zum Abschluss noch einmal deutliche Hinweise darauf geliefert, dass noch immer viel Aufarbeitungsbedarf bestehe, so die Abgeordneten. Beeindruckend sei die riesige Menge der Schicksale, die dort sozusagen gespeichert sind und die mehr und mehr online sichtbar werden.

Man könne nur den Hut vor den Mitarbeitern ziehen, die sich mit schwersten Schicksalen befassen müssen und doch eine in die Zukunft gerichtete Arbeit haben, so die Besucher. Selbst wenn es nur noch wenige Überlebende der NS-Zeit gebe, so sei die Arbeit doch für die Familien und Nachfahren sinnvoll.

„Ich werde die drei Orte, die ich heute kennengelernt habe, zum Besuch weiter empfehlen“, sagte Schulz nach der Reise durch den Landkreis.  red

 

13.3.2019, Heitere Ständchen und schaurige Romantik

Heitere Ständchen und schaurige Romantik
Eingespieltes Team: Pianistin Masako Ono und Bariton Christian Backhaus beim Konzert. Foto: zecher-christ
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Nadja Zecher-Christ

Vöhl - Liebhaber der Klassik sind Samstagabend in der gut gefüllten Vöhler Synagoge voll auf ihre Kosten gekommen. Bariton Christian Backhaus aus Vöhl und Pianistin Masako Ono aus Leipzig bescherten einen faszinierenden Liederabend unter dem Motto „Von Abendrot bis Morgentod“.

Zu Gehör kamen Gedichtvertonungen von Franz Schubert, Robert Schumann und Carl Loewe. Zunächst konnte man Werken von Robert Schumann lauschen. Den Auftakt bildete das heitere Ständchen, Op. 36/2 - „Komm’ in die stille Nacht“ nach Robert Reinick. Lebensfreude pur vermittelten „Zwei venezianische Lieder - „Leis’ rudern hier, mein Gondolier“ (I) und „Wenn durch die Piazzetta die Abendluft weht“ (II) nach Thomas Moore. Mit dramatischem Gesang trug Backhaus die Ballade Belsazar, op. 57 - „Die Mitternacht zog näher schon“ vor, bei dem Heinrich Heine den Untergang des babylonischen Königs Belsazar beschreibt. Einen Ohrenschmaus bescherte Ono, als sie einfühlsam „Träumerei“ aus Schumanns „Kinderszenen“ spielte. Sehnsuchtsvoll kam „Lust der Sturmnacht op. 35/1 - „Wenn durch Berg und Tale draußen“ nach Justinus Kerner daher.

Zauberhaft waren Franz Schuberts romantische Kunstlieder, wie das schwärmerische „Du bist die Ruh“ aus „Schwanengesang“, D.957 nach Friedrich Rückert und Kriegers Ahnung - „In tiefer Ruh liegt um mich her“ nach Ludwig Rellstabs Liebeslyrik. Eine unheimliche, spannungsvolle Atmosphäre verbreitete die Ballade „Der Zwerg“ op. 22/1 - „Im trüben Licht verschwinden schon die Berge“ nach Matthäus von Collin, ebenso wie der Erlkönig op. 1 - „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ nach Johann Wolfgang von Goethe.

Den Abschluss bildete Schauerromantik von Carl Loewe, wie Der späte Gast, Op. 7/2 - „Was klopft ans Thor?“ nach Willibald Alexis, die nordische Volksballade Herr Oluf op. 2/2 - „Herr Oluf reitet spät und weit“ nach Johann Gottfried Herder und Der Totentanz op. 44 Nr. 3. - „Der Türmer, der schaut zu Mitten der Nacht“ nach Goethe. Mit stehendem Applaus und Bravorufen forderte das begeisterte Publikum eine Zugabe ein und bekam diese auch: „O du, mein holder Abendstern“ aus Richard Wagners „Tannhäuser“.  nz

 

5.2.2019, Sinfonie der Steppe

 
Sinfonie der Steppe
 
Perlende Klänge und Kehlkopfgesang: Nasaa Nasanjargal, Ganzorig Davaakhuu, Omid Bahadori und Naraa Naranbaatar verzauberten das Publikum mit einer Melange aus mongolischer und orientalischer Musik. Foto: Nadja Zecher-Christ
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Nadja Zecher-Christ

VON NADJA ZECHER-CHRIST

Vöhl - „Sedaa“ bedeutet auf Persisch „Stimme“ und ist der Name einer faszinierenden Musikgruppe. Am Samstagabend entführten die Meistersänger Nasaa Nasanjargal, Naraa Naranbaatar und Hackbrettspieler Ganzorig Davaakhuu aus der Mongolei gemeinsam mit dem iranischen Multiinstrumentalisten Omid Bahadori in der voll besetzten Vöhler Synagoge in eine exotische Welt zwischen Orient und mongolischer Steppe.

„Es ist höchste Zeit, dass wir uns wieder haben blicken lassen“, sagte Omid Bahadori. Es sei schon drei Jahre her, dass sie hier gespielt hätten. Das Publikum begab sich mit den Musikern auf eine Reise entlang der Seidenstraße, bei der sie auch Titel der neuen CD „East West“ präsentierten. Es kamen auch exotische Musikinstrumente wie die Pferdekopfgeige, das Yochin (mongolisches Hackbrett) und die Bischgur (mongolische Oboe) zum Einsatz.

Ein Hörgenuss war der Kehlkopfgesang von Nasaa Nasanjargal und Naraa Naranbaatar, bei dem ein lang gezogener, metallischer Ton den Raum erfüllte. Brummen, Pfeifen und nasale Laute erinnerten an ein Didgeridoo. Beeindruckend war der Untertongesang mit seinen unglaublich tiefen Klängen. Zum Gesang gesellten sich die perlenden Klänge des Hackbretts von Ganzorig Davaakhuu.

Die orientalische Prise fügte Omid Bagadori hinzu. Er gab das Tempo mit Gitarrenklängen und Percussion-Instrumenten vor, das sich über einen Klangteppich aus mongolischen Tönen legte. Dabei entstand eine gelungene Melange aus mongolischer und orientalischer Musik. Zwischen den einzelnen Stücken brandete donnernder Applaus auf.

Vorm geistigen Auge konnte man die Pferde durch die Wüsten- und Steppenlandschaft der Mongolei galoppieren sehen. Bei ernsten Themen, die sich mit Umwelt oder Unfreiheit der Nomaden befassten, muteten die Töne der Pferdekopfgeige, wie ein Wehklagen an. Auch Empfindungen wie Liebe und Sehnsucht wurden akustisch umgesetzt.

Das Publikum war am Ende so begeistert, dass es mit lauten Jubelrufen und donnerndem Applaus noch eine Zugabe einforderte.

 

30.1.2019, Große Kunst inmitten des Grauens

 
Große Kunst inmitten des Grauens
Winfried Radeke berichtete aus der Forschung und der Aufführungspraxis.
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VON KARL-HERMANN VÖLKER

Vöhl - „Ich wandre durch Theresienstadt, das Herz so schwer wie Blei…“ schrieb die jüdische Dichterin Ilse Weber, die als Kinderkrankenschwester im Ghetto Theresienstadt arbeitete, bis sie am 6. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Ihr Gedicht, geschrieben für ihren durch einen Kindertransport nach England geretteten Sohn Hanu, stand am Beginn des 159. Synagogenkonzertes in Vöhl mit dem Ensemble „Zwockhaus“.

Daraus entwickelte sich am internationalen Holocaust-Gedenktag ein tief beeindruckender Abend. Er war geprägt von bitterer Poesie, melancholischem Witz und bewundernswerter Auflehnung todgeweihter Komponisten und Textdichter.

Theresienstadt - das war eine ehemalige tschechoslowakische Garnisonstadt für etwa 4000 Soldaten, die von den deutschen NS-Besatzern ab 1940 zu einem Sammellager vorwiegend für jüdische Bürger umgerüstet wurde. Dort waren zeitweilig bis zu 50 000 Menschen eingepfercht. Auch die letzten Transporte von Juden aus dem heutigen Kreisgebiet von Waldeck-Frankenberg führten 1942 in dieses angebliche „Altersghetto“, das Nazi-Propagandisten mit verblenderischer Kulisse beim Besuch von Rotkreuz-Delegationen vorführten.

Es war dieses Leben „als ob“, in einem Gedicht beschrieben von Ghetto-Bewohner Dr. Leo Strauß (1897-1944), das das Ensemble Zwockhaus in der Vöhler Synagoge mit beklemmender Schärfe in Liedern und Texten sichtbar machte: Es gab im Ghetto tatsächlich nicht nur Theater und Orchester, sondern auch drei tschechische und fünf deutsche sogenannte „Kabaretts“, wie Moderator Winfried Radeke berichtete. In jüngster Zeit seien diese in der Zwangsgemeinschaft des Lagers entstandenen Kulturformen einer künstlerischen Elite immer besser erforscht, letzte Zeugnisse der Kabarettisten wiederentdeckt worden.

„Aus schlichten Liedern soll ein bisschen Glück und gütiges Vergessen erblühen“, heißt es in einem Text, mit dem Ilse Weber ihren Mithäftlingen gegen die Verzweiflung helfen wollte. Maria Thomaschke (Mezzosopran), Andreas Joksch (Tenor) und Nikolai Orloff (Klavier) ließen, musikalisch fein auf einander abgestimmt, in Liedern wie diesem Wehmut mitschwingen. Sie zeigten aber auch mit deklamatorischer Unerbittlichkeit, wie damals die Kabarett-Künstler von Theresienstadt mit sarkastischen Parodien selbst beim Schnulzentraum vom „kleinen Café“ auf „Wien“ nur noch den realistischen Reim „Terezin“ zu Papier brachten.

Selbstironie über die „gelben Fleckerln“ (die zwangsweise zu tragenden Judensterne), über die „schönste Stadt der Welt“, Ansingen gegen die Verzweiflung im Schluss-Couplet „Jetzt ist alles aus“ - dem Publikum in Vöhl stockte manchmal sekundenlang die Hand zum Applaus.

Erst am Schluss gab es langen, herzlichen Beifall für vier Künstler, die am Abend des Holocaust-Gedenktages ein Stück Hochkultur inmitten des Grauens von Theresienstadt sehr eindrucksvoll zu würdigen wussten.

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Melancholie, Satire, bissiges Chanson: Die Künstler des Ensembles „Zwockhaus“ mit (von links) Nikolai Orloff, Maria Thomaschke und Andreas Jaksch erinnerten in der Vöhler Synagoge an ermordete, aber unvergessene Kulturschaffende des Ghettos Theresienstadt. Fotos: Karl-Hermann Völker
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30.8.2019, Auftakt Facetten des Rassismus

Vorträge, Lesungen, Ausstellungen, Filme und Musik bis Dezember in Vöhler Synagoge

Auftakt für große Reihe "Facetten des Rassismus"

Start für Veranstaltungsreihe: Karl-Heinz Stadtler, Vorsitzender des Förderkreises der Synagoge, wirbt für die Reihe „Facetten des Rassismus“.

Vöhl – „Facetten des Rassismus“ heißt die größte Veranstaltungsreihe, die der Förderkreis der Synagoge Vöhl je gestemmt hat. Ausstellungen, Lesungen, Filme, Vorträge, ein Konzert und einen „Markt der Möglichkeiten“ gibt es. Auftakt ist am Sonntag.

Eine der Besonderheiten Reihe: Der Eintritt ist – abgesehen vom Konzert – bei allen Angeboten frei. Die Veranstaltungen im Überblick.

Sonntag, 1. September, 10 Uhr: Ausstellung „Ihr Tod reißt nicht die geringste Lücke...“. Dr. Wilhelm Völcker-Janssen führt ein, Dr. Georg Lilienthal referiert zu „Krankenmord im Nationalsozialismus“. Die Theatergruppe des Lebenshilfe-Werks wirkt mit.

Samstag, 7. September, 17 Uhr: Eröffnung der Ausstellungen „Bäume, Schienen, Zäune. Ein Versuch, das Gesehene auf dem Gelände der Gedenkstätte Buchenwald künstlerischen Mitteln zu verarbeiten“ vom Lebenshilfe-Werk Weimar-Apolda sowie „Die Gedenkstätte in der früheren Tötungsanstalt Hadamar“ mit Dr. Wolfgang Werner. Sonntag, 8. September, 14 bis 17 Uhr: Offene Synagoge.

 
 Auftakt Facetten II
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Autor Robert Domes liest in der Synagoge

Dienstag, 10. September, 19 Uhr: Kino mit Spielfilm zum Thema; Donnerstag, 12. September, 19 Uhr: Lesung mit Autor Robert Domes aus „Nebel im August“ (Kooperation mit Alter Landesschule und Thalia in Korbach). Donnerstag, 19. September, 19 Uhr: Vortrag mit Dr. Georg Lilienthal „Lebensborn-Kinder. Die letzten Opfer der SS“; zudem Gespräch mit Lebensborn-Kind Adolf Kopp aus Asel, der seine Eltern nicht kennt. Donnerstag, 26. September, 19 Uhr: Katharina Oehl referiert unter dem Titel „Auf der Suche nach der eigenen Identität. Die gewaltsame Eindeutschung polnisch-deutscher Kinder.“

2. Staffel

Freitag, 4. Oktober, 19 Uhr: Vortrag mit Ruth Piro-Klein „Krankenpflege im Nationalsozialismus“. Sonntag, 6. Oktober, 10 Uhr: Eröffnung der Ausstellungen „Zeichnungen von Enric Rabasseda über Faschismus, Krieg und die Hintergründe“, Einführung von Dr. Hartmut Wecker sowie „Ehemaliges Firmengelände J.A. Topf & Söhne Erfurt“ mit der Einführung von Alexis Werner. Montag, 7. Oktober, 19 Uhr: Rebekka Schubert „J.A. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“, Vortrag.

Sonntag, 13. Oktober, 14 bis 17 Uhr: Offene Synagoge. Donnerstag, 17. Oktober, 19 Uhr: Vortrag von Dr. Udo Engbring-Romang „Die Diskriminierung und Verfolgung von Sinti und Roma im 20. Jahrhundert“ (in Zusammenarbeit mit der VHS). Sonntag, 20. Oktober, 19 Uhr: Karl-Heinz Stadtler, „Belzec, Sobibor, Treblinka – Die vergessenen Mordlager im Holocaust. Ein Reisebericht“. Donnerstag, 24. Oktober, 19 Uhr: Dr. Christoph Franke über medizinische Experimente und die Rolle der Behringwerke bei Menschenversuchen im KZ Buchenwald.

3. Staffel

Freitag, 1. November, 18 Uhr: Ausstellung von Pro Asyl „Menschen und Rechte sind unteilbar“; um 20 Uhr Konzert „Migrantig“ mit Andrea Pancur, Hansjörg Gehring und Ian Chapman (Karten 15 Euro, beides in der Henkelhalle). Samstag, 2. November, 14 bis 19 Uhr: Markt der Möglichkeiten in der Henkelhalle mit Musik, Lesungen, Kurzfilmen. Sonntag, 3. November, 14 bis 18 Uhr: Migranten berichten in der Henkelhalle über Flucht und Heimat.

 Auftakt Facetten III
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Gedenken in der Vöhler Synagoge.

Samstag, 9. November, 19.30 Uhr: Gedenken zum Pogrom in der Martinskirche, 20 Uhr Gedenkfeier in der Synagoge. Sonntag, 17. November, 14 bis 17 Uhr: Offene Synagoge. Donnerstag, 21. November, 19 Uhr: Vortrag mit Jana Bonn „Antisemitismus – Struktur und aktuelle Ausformungen“. Sonntag, 1. Dezember, 15 Uhr: Eva-Kathrein Hack über „Mischlingskinder“ im Nachkriegs-Asel. Sonntag, 8. Dezember, 14 bis 17 Uhr: Offene Synagoge. Dienstag, 10. Dezember, 19 Uhr: Multimedialer Abend über den Buchenwald-Überlebenden Stéphane Hessel (mit Arolsen Archives).

Infos über die Synagoge und den Förderkreis gibt es hier.

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