Kor­bach/Vöhl – Der hüb­sche vio­let­te Ein­band mit dem ein­ge­präg­ten Wort „Al­bum“, um­rahmt von Mus­tern, die ei­ne fei­ne Struk­tur er­ge­ben, weckt so­fort die Neu­gier­de. Der Ge­ruch von al­tem Pa­pier lässt das Al­ter nur er­ah­nen. Dün­ne, ver­gilb­te Sei­ten mit per­sön­li­chen Ver­sen in fei­ner Süt­ter­lin-Hand­schrift, und ein­zel­ne Blät­ter, die dro­hen aus der Bin­dung zu fal­len: Das Poe­sie­al­bum von Sel­ma Roth­schild hat mehr als ein Jahr­hun­dert über­dau­ert.

„Für mich ist es ei­ne Sen­sa­ti­on“, sagt Karl-Heinz Stadt­ler. Der Vor­sit­zen­de des För­der­krei­ses Syn­ago­ge in Vöhl be­schäf­tigt sich seit vie­len Jah­ren mit den Ge­schich­ten der Ju­den, die in Vöhl leb­ten, be­vor sie von den Na­zis de­por­tiert wur­den. Dar­un­ter war auch Sel­ma Roth­schild, die als ei­ne von „Vöhls letz­ten Ju­den“ im Jahr 1942 in ei­nem Ver­nich­tungs­la­ger um­ge­bracht wur­de.

Um­so fas­zi­nie­ren­der ist das Ge­schenk an den För­der­kreis, den Re­na­te Ma­haj aus Kor­bach mög­lich ge­macht hat. Die 66-jäh­ri­ge Rent­ne­rin in­ter­es­siert sich für al­les, was in Süt­ter­lin ver­fasst ist. „Es macht mir Spaß, das zu über­set­zen.“ So stö­ber­te sie wie­der ein­mal im La­ger ei­nes Un­ter­neh­mens, das bei Haus­halts­auf­lö­sun­gen ent­rüm­pelt. Und sie stieß auf das al­te Al­bum, des­sen 48 Ein­trä­ge sie in Ver­ein­fach­te Aus­gangs­schrift über­trug.

„Auf dem Pfad, der dich durchs Le­ben lei­tet, sieh o Freun­din vie­le Ro­sen blü­hen. Und der Bach des Er­den­le­bens ge­lei­te sil­bern dir ins Meer der Zeit da­hin.“ Poe­ti­sche Sprü­che wie die­se en­den mit per­sön­li­chen Wor­ten: „Zur blei­ben­den Er­in­ne­rung an un­se­re Freund­schaft schrieb die­ses dei­ne Ro­sa Kai­ser“. Vöhl, den 27. De­zem­ber 1880. „Ich wur­de ganz trau­rig“, sagt Re­na­te Ma­haj. „Es ste­hen so vie­le lie­be Wün­sche dar­in. Doch sie ha­ben nichts ge­nützt. Die Ge­schich­te von Sel­ma Roth­schild hat so ein schlim­mes En­de ge­nom­men.“

Die Jü­din war am 10. Fe­bru­ar 1867 in Vöhl ge­bo­ren wor­den. Mit 13 Jah­ren hat­te sie ih­re ers­ten Freun­din­nen und Ver­wand­te in ihr Poe­sie­al­bum ein­tra­gen las­sen. Ins­ge­samt fin­den sich 48 Ein­trä­ge aus den Jah­ren zwi­schen 1880 bis 1901. Auch Er­in­ne­run­gen von Ho­tel­be­su­chern sind dar­in zu le­sen. Denn ihr Va­ter Mo­ritz Roth­schild be­trieb das an­ge­se­he­ne Ho­tel „Prinz Wil­helm“ in Vöhl.

In Schön­schrift ver­ewig­ten sich Weg­be­glei­te­rin­nen aus Vöhl, Gäs­te aus der Fer­ne, jü­di­sche und christ­li­che Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­ge und Be­kann­te, die Sel­ma Roth­schild Glück und Got­tes Se­gen wünsch­ten. Ein­zel­ne Sinn­sprü­che er­schei­nen im Nach­hin­ein ma­ka­ber: „Ler­ne lei­den oh­ne zu kla­gen.“

„Das Büch­lein muss da­hin, wo es her­ge­kom­men ist“, sag­te sich Re­na­te Ma­haj. Da­her hat sie es der Syn­ago­ge ge­schenkt. Aus wel­chem Haus­halt das Buch stammt, konn­ten Re­na­te Ma­haj und Karl-Heinz Stadt­ler bis­lang nicht er­fah­ren, wo­bei sie es zu ger­ne wüss­ten.

Fo­tos der Ori­gi­nal­sei­ten und die Tran­skrip­tio­nen sind nun im Mu­se­um der Syn­ago­ge so­wie auf der In­ter­net­sei­te syn­ago­ge-vo­ehl.de (Ru­brik „Vöh­ler Ju­den“ - „Die Syn­ago­ge in Vöhl“) zu se­hen. Elizabeth Foo­te aus Salt La­ke Ci­ty in den USA und Karl-Heinz Stadt­ler ha­ben zu­dem In­for­ma­tio­nen über die Per­so­nen, die sich im Poe­sie­al­bum ein­tru­gen, zu­sam­men­ge­stellt.

Das Poe­sie­al­bum soll re­stau­riert wer­den, was laut Karl-Heinz Stadt­ler meh­re­re Hun­dert Eu­ro kos­ten wird. Spen­den an den För­der­kreis „Syn­ago­ge in Vöhl“: Spar­kas­se Wal­deck-Fran­ken­berg; BIC: HELA­DE­F1­KOR; IBAN: DE 5652 3500 0500 0700 7222.