Fortsetzung
Meine Frage: Sind wir heute außer Hörweite, sehen und hören wir nicht mehr das Schreien und Zucken der gequälten, gefolterten, ermordeten Menschen in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten.
Aber auch das Gebet von Papst Franziskus kann uns auf dem Weg zum Frieden helfen. Das Gebet das er anlässlich des Besuches des Präsidenten des Staates Israel, Schimon Peres, und des Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas im Vatikan am Sonntag, 08. Juni 2014. gesprochen hat
„Herr, Gott des Friedens, erhöre unser Flehen!
Viele Male und über viele Jahre hin haben wir versucht, unsere Konflikte mit unseren Kräften und auch mit unseren Waffen zu lösen; so viele Momente der Feindseligkeit und der Dunkelheit; so viel vergossenes Blut; so viele zerbrochene Leben; so viele begrabene Hoffnungen. … Doch unsere Anstrengungen waren vergeblich. Nun, Herr, hilf Du uns! Schenke Du uns den Frieden, lehre Du uns den Frieden, führe Du uns zum Frieden! Öffne unsere Augen und unsere Herzen und gib uns den Mut zu sagen: ‚Nie wieder Krieg! Mit dem Krieg ist alles zerstört!‘ Flöße uns den Mut ein, konkrete Taten zu vollbringen, um den Frieden aufzubauen. Herr, Gott Abrahams und der Propheten, Du Gott der Liebe, der Du uns erschaffen hast und uns rufst, als Brüder zu leben, schenke uns die Kraft, jeden Tag Baumeister des Friedens zu sein; schenke uns die Fähigkeit, alle Mitmenschen, denen wir auf unserem Weg begegnen, mit wohlwollenden Augen zu sehen. Mach uns bereit, auf den Notschrei unserer Bürger zu hören, die uns bitten, unsere Waffen in Werkzeuge des Friedens zu verwandeln, unsere Ängste in Vertrauen und unsere Spannungen in Vergebung. Halte in uns die Flamme der Hoffnung am Brennen, damit wir mit geduldiger Ausdauer
Entscheidungen für den Dialog und die Versöhnung treffen, damit endlich der Friede siege. Und mögen diese Worte – Spaltung, Hass, Krieg – aus dem Herzen jedes Menschen verbannt werden! Herr, entwaffne die Zunge und die Hände, erneuere Herzen und Geist, damit das Wort, das uns einander begegnen lässt, immer ‚Bruder‘ laute und unser Leben seinen Ausdruck finde in ‚Shalom, Frieden, Salam‘! Amen.“
Mir ganz persönlich ist dieses Gebet des Papstes Ansporn, für den Frieden zu arbeiten und unseren Herrgott zu bitten, mir die Kraft dazu zu geben.
Ja, schauen wir ganz bewusst auf die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg; schauen wir auf den grausamen Zweiten Weltkrieg; schauen wir auf den Koreakrieg, den Vietnamkrieg, aber auch auf die Kriege, die heute in vielen Teilen der Welt täglich Menschenopfer fordern. In Mali, in Afghanistan, in der Ostukraine , aber auch in Bergkarabach!
Nun könnten wir fragen: Warum können wir in dieser Welt nicht friedlich miteinander leben? Warum müssen wir unsere Konflikte blutig ausfechten? Warum lernen wir nicht aus der Geschichte? Und jetzt sage ich etwas, was mich seit vielen Jahren umtreibt. Was kann ich, was können wir, jede und jeder Einzelne mit Blick auf die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt tun? Da erlebe ich bei vielen Menschen das berühmte Achselzucken. Diesem Achselzucken halte ich entgegen: Schauen wir genau hin, welche brutalen Folgen Krieg und Gewalt in der Vergangenheit gehabt haben; aber schauen wir auch auf unser angeblich so friedliches Leben. Schauen wir in unsere Familien, in unsere Vereine, in unsere Schulen, in unsere politischen Gemeinden. Ja, schauen wir uns in unserm unmittelbaren Lebensumfeld um. Überall ist Neid, ist Auseinandersetzung, die sehr oft die Würde des Menschen antastet. Und nun behaupte ich, dass diese Welt friedlicher wird, wenn jeder von uns nicht auf die unveränderbaren großen Auseinandersetzungen dieser Welt verweist, sondern ganz klein in seinem unmittelbaren Umfeld den Frieden schafft, der möglich ist. Ich behaupte - und das ist für mich lebensbestimmend -, wenn wir alle in unserem unmittelbaren Umfeld für Frieden arbeiten, dann wird die Welt friedlicher.
Der Leitspruch des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der im Jahre 1953 von jungen Menschen acht Jahre nach dem zweiten Weltkrieg mit seinen 55 Millionen Toten beim ersten großen internationalen Jugendlager auf der Kriegsgräberstätte Lommel in Belgien geprägt wurde, lautet: „Arbeit für den Frieden – Versöhnung über den Gräbern“ und bestimmt die friedenspädagogische Arbeit des Volksbundes. Diese baut auf der Erinnerung an die fürchterlichen Folgen von Krieg und Gewalt auf.
Heute hier in der Synagoge von Vöhl, vor dem Thora-Vorhang, denken wir an die grausamen Ereignisse des 09. November 1938 und der dann mit aller Brutalität des Volkszorns – auch hier im Waldecker Land – von deutschen Menschen, von Mitbürgern, Nachbarn - begangene Mord an Juden im Holocaust. Da handelten nicht asoziale Menschen, da handelten Menschen wie Du und ich, verblendet und hirnlos gemacht durch Propaganda.
Meine Generation - ich bin Jahrgang 1938, habe also noch Erinnerungen an Kriegsereignisse – kann bald nicht mehr befragt werden; deshalb ist es so wichtig, dass wir Orte der Erinnerung schaffen, Orte wie diese ehemalige Synagoge oder das Gustav-Hüneberg-Haus in Volkmarsen. Für mich als Angehöuger des Volksbundes sind natürlich historisch
aufgearbeitete Kriegsgräberstätten Orte, an denen wir deutlich machen können, welche Folgen Krieg und Gewalt haben können.
Ein Gedanke zum Schluss:
Neonationalsozialismus ist im Vormarsch: Heute zeigt er sich in Aussagen wie „Hitler und die Nazis seien nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte “, oder die Forderung nach einer “erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad”, was heißt, die Zeit des Nationalsozialismus positiv zu betrachten.
Diese Grundhaltungen sind es, meine Damen und Herren, die den Brunnen vergiften und auf eine Stimmung zielen, die endgültig zu Halle, Hanau und zur Ermordung von aufrechten Demokraten wie unserem verehrten Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke führen.
Was müssen wir tun:
Wir müssen Strategien gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entwickeln. Diese müssen wir in politisches und gesellschaftliches Handeln auf allen Ebenen umsetzen.
Wir müssen öffentlich eintreten für kulturelle Vielfalt und Toleranz.
Wie müssen Rechtsextremismus offensiv bekämpfen.
Wie hat sich unser Bundespräsident zu den Demonstrationen in Berlin am 30. August 2020 geäußert:
„Unsere Demokratie lebt“, betonte Steinmeier. Wer sich über die Corona-Maßnahmen ärgere oder ihre Notwendigkeit anzweifele, könne das tun, auch öffentlich, auch in Demonstrationen. „Mein Verständnis endet da, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen. Wer auf den Straßen den Schulterschluss mit Rechtsextremisten sucht, aber auch wer nur gleichgültig neben Neonazis, Fremdenfeinden und Antisemiten herläuft, wer sich nicht eindeutig und aktiv abgrenzt, macht sich mit ihnen gemein." Soweit unser Bundespräsident!
Meine Damen und Herren,
wir müssen – und das sage ich mit heißem Herzen - gerade junge Menschen an Fragestellungen, wie wir sie an Gedenktagen wie dem 09. November formulieren, heranführen und ihnen deutlich machen, was Verblendung bewirkt.
Dabei sollten wir als oberste Maxime unseres Handelns den Artikel 1 (1) unseres Grundgesetzes in den Mittelpunkt stellen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.