Waldecksche Landeszeitung vom 11. November 1999
©Marianne Dämmer
Großes Interesse am Erhalt des jüdischen Gotteshauses - Lebendiges Museum soll entstehen - Auf Spenden angewiesen Förderkreis „Synagoge in Vöhl" hat sich gegründet
VÖHL (md). Mit dem Ziel, die ehemalige Synagoge in Vöhl zu erhalten und sie zu einem Museum über christlich-jüdisches Zusammenleben einzurichten, gründete sich am Dienstagabend in der Vöhler Henkelhalle der Förderkreis "Synagoge in Vöhl". über 70 Menschen trugen die Gründung mit, Kurt Willi Julius steht dem Verein vor.
Der Vorstand des Förderkreises "Synagoge in Vöhl". Kurt-Willi Julius (7. v. l.) wurde zum Vorsitzenden gewählt. Karl-Heinz Stadtler hatte die Vereinsgründung engagiert vorbereitet und wurde dafür mit lang anhaltendem Applaus bedacht. (Foto: md)
Die erste Versammlung des Förderkreises "Synagoge in Vöhl" fand genau an dem Tag statt, an dem vor 61 Jahren in Deutschland Synagogen von Nationalsozialisten zerstört wurden. Die Vöhler Synagoge blieb verschont, weil sie kurz zuvor an eine christliche Familie verkauft worden war. Zu den Juden, die in jener Nacht verhaftet wurden, gehörten auch zwei Vöhler. Im Laufe der nationalsozialistischen Herrschaft wurden über 30 Männer, Frauen, und Kinder jüdischen Glaubens aus Vöhl, Basdorf und Marienhagen ermordet. Der Jahrestag der sogenannten Reichskristallnacht wurde für die Geburt des Förderkreises gewählt in Gedenken an die Opfer - aber auch um Zeichen zu setzen für die Notwendigkeit von Miteinander, von Toleranz und für einen offenen Umgang mit Geschichte.
Lebendiges Museum
In diesem Sinne hat sich das gemeinnützige Fördergremium mit seiner Satzung nicht nur zum Ziel gesetzt, die Synagoge zu erwerben, zu restaurieren - und die finanziellen Voraussetzungen für seine Arbeit zu schaffen. Mit und in dem Gebäude soll auch geworben werden für ein friedliches Miteinander von Menschen und für Toleranz ungeachtet religiöser, kultureller oder ethnischer Unterschiede. Es soll ein lebendiges Museum von überregionaler Bedeutung eingerichtet werden, das christlich-jüdisches Zusammenleben, jüdische Kultur und Religion in Vöhl und darüber hinaus zum Thema hat - Ziel für Schulklassen wie für Urlaubsgäste. "Das Museum soll das dritte Reich natürlich nicht aussparen, aber es soll sich nicht darin erschöpfen, sondern auch auf die 250jährige Geschichte des christlich-jüdischen Zusammenlebens in Vöhl eingehen und zeigen, dass Menschen verschiedener Religionen auch miteinander leben können," skizzierte Karl-Heinz Stadtler, engagiertes Mitglied des Geschichtsvereins Itter- Hessenstein, der die Vereinsgründung vorbereitet hatte.
Vorstandswahlen
Und die ging nicht ohne Wahl eines Vereinsvorstandes von statten: Kurt-Willi Julius (Kirchlotheim) steht dem Verein vor, vertreten wird er durch Heinz Schäfer (Vöhl). Kassiererin ist Christel Schiller, ihr Vertreter ist Peter Göbel (beide Vöhl). Zum Schriftführer wurde Volker König (Dorfitter) gewählt, zu seinem Vertreter Werner Eger (Marienhagen). Beisitzer sind Pfarrer Günter Maier, Anna Evers, Dieter Kunz, Friedrich Hoffmann, Walter Schaudema, Charlotte Regenbogen-Backhaus und Jürgen Evers.
Der Vereinsgründung voraus ging am Dienstagabend ein Erfahrungsaustausch: Professor Dietrich Krause-Villmar von der Gesamthochschule Kassel informierte über vergleichbare Projekte sowie Möglichkeiten der Förderung und sagte den Vöhlern seine Unterstützung zu. Er betonte, es sei für Aufarbeitung von Geschichte nichts sinnvoller, als damit vor Ort zu beginnen: "Die Stunde der Wahrheit ist der eigene Ort." Vertreter eines Fördervereins aus Weimar-Roth berichteten über ihre Erfahrungen bei der Restaurierung und Nutzung der Rother Synagoge. Sie reagierten erfreut über die derart große Zahl von Menschen, die sich in Vöhl für den Erhalt der Synagoge stark machen - die Rother Fördergruppe zählt lediglich 24 Mitglieder. In dem Umstand, dass ein Förderkreis Eigentümer der Synagoge wird, sahen sie auch Positives - so könne die Kommune auch keine Forderungen stellen. Außerdem habe ein Verein die Möglichkeit, flexibler zu agieren.
Kommune miteinbeziehen
Stadtler betonte, der Forderverein strebe trotz der Entscheidung der Gemeindevertreter die Zusammenarbeit mit der Kommune weiterhin an. Die Gemeindevertretung Vöhls hatte vor zwei Wochen mit den Stimmen der CDU, FWG und FDP abgelehnt, die Synagoge in den Besitz der Gemeinde zu übernehmen, hatte aber einem noch zu gründenden Förderverein einen Betrag in Höhe von 40 000 Mark für den Kauf des Hauses zur Verfügung gestellt.
Schon zuvor hatten 170 Bürgerinnen und Bürger schriftlich erklart, dass sie einen Förderverein unterstützen würden, allerdings zunächst unter der Prämisse, dass die Gemeinde die Synagoge kaufe. Eine Woche nach dem Beschluss der Gemeinde hatten, angeregt vom Geschichtsverein Itter-Hessenstein, rund 50 Menschen beschlossen, dennoch einen Förderverein zu gründen und als Termin den Jahrestag der sogenannten Reichskristallnacht, den 9. November, angegeben.
Da der Kaufpreis für die Synagoge 45 000 Mark beträgt, ist der neugegründete Förderkeis zunächst damit beschäftigt, das fehlende Geld für den Erwerb plus Steuer zu sammeln. Am Dienstag abend kamen 2050 Mark zusammen, weitere 100 Mark aus einer Kollekte überbrachte der Vorstand der evangelischen Kirche von Sachsenhausen.
Dr. Michael Neumann hatte seine Unterstützung und 50 000 Mark aus dem Topf des Landesamtes für Denkmalpflege für Renovierung des Haues zugesagt. Außerdem signalisierten Privatleute und der Kellerwaldverein ebenfalls Hilfsangebote.
Spenden und Fördergelder
Die Kosten für die Renovierung des Hauses werden nach einen Gutachten rund 230 000 Mark betragen. Der Betrag soll über Fördergelder und Spenden in die Kasse kommen. Dass das auch geschieht, dafür setzten sich nun der sechsköpfige Vorstand und sieben Beisitzer ein. Dabei unterstützt werden sollen sie von einem noch zu gründenden eigenständig arbeitenden Beirat, der die Federführung bei der Konzeption und der Umbaufinanzierung übernehmen wird. Um den Sakralraum der Synagoge wieder so herzurichten, wie er einmal aussah, werden Bildmaterial und Zeitzeugen gesucht. Fotos und Informationen nimmt Volker König, Vorsitzender des Geschichtsvereins Itter-Hessenstein, entgegen unter Telefon 05631/4732.
Der Sakralraum der 1827 erbauten Synagoge in Vöhl - das Foto zeigt unter anderem die Frauenempore - soll erhalten bleiben und später als kulturelle Begegnungsstätte genutzt werden. (Foto: md)
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